Vom selben Blut - Schweden-Krimi. Åke Smedberg

Vom selben Blut - Schweden-Krimi - Åke Smedberg


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      Åke Smedberg

      Vom selben Blut - Schweden-Krimi

      Deutsch von Christine Heinzius

      Saga

      Vom selben Blut - Schweden-Krimi ÜbersetztChristine Heinzius Coverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 2007, 2020 Åke Smedberg und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726444872

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

      – a part of Egmont www.egmont.com

Kind des Todes

      Er wusste plötzlich, dass es wieder passieren würde und dass er nichts dagegen tun konnte. Es war zu stark, und er konnte nicht widerstehen. Es war vorherbestimmt, dachte er, nichts, das er verändern konnte, wie sehr er es auch versuchte.

      Er schüttelte den Kopf, holte tief Luft und begann, leise und ohne Melodie zu summen. Er wusste nicht, warum, aber es beruhigte ihn.

      Der jüngere Mann blickte zur Seite und sah ihn an. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas Angespanntes.

      »Halt an. Ich steige aus.«

      »Hier?«

      »Ja, hier.«

      »Du kommst also nicht mit?«

      »Nein, ich habe meine Meinung geändert.«

      »Ich glaube, es wäre das Beste, wenn du es tätest.«

      »Nein, ich steige aus.«

      Der Mann nickte.

      »Wie du willst. Soll ich dich nicht zurückfahren?«

      Der Jüngere beugte sich plötzlich vor und griff ins Lenkrad.

      »Halt an, habe ich gesagt. Hier!«

      »Ja, ja! Mache ich doch. Aber lass das Lenkrad los, bevor ich einen Unfall baue.«

      Der Jüngere ließ das Steuer los, und der Fahrer schaltete einen Gang runter, wurde langsamer und tat, als würde er an den Straßenrand fahren. Dann lehnte er sich plötzlich zur Seite, packte den Jüngeren im Nacken und trat gleichzeitig das Gaspedal durch. Er wartete ein paar Sekunden, während er den Griff beibehielt und spürte, wie der Körper des anderen durch die Beschleunigung nach hinten katapultiert wurde. Dann machte er eine Vollbremsung und drückte den Kopf des anderen nach vorn auf die Konsole.

      Man hörte ein knirschendes Geräusch, der andere zitterte und sackte zusammen, den Kopf auf der Konsole. Der Fahrer sah ihn einen Augenblick an. Dann lenkte er das Auto auf die Fahrbahn, beschleunigte wieder und hörte die Reifen auf dem regennassen Asphalt quietschen.

      In einer Kurve geriet er ins Schleudern, konnte den Wagen aber noch knapp auf der Straße halten. Er warf einen Blick auf den Tacho, der auf hundert absank und hörte den Motor gequält aufheulen. Ihm wurde klar, dass er auf der schmalen, gewundenen Straße wie ein Wahnsinniger gefahren sein musste. Doch er erinnerte sich nicht daran, er erinnerte sich nicht mal daran, wie er überhaupt hierhergekommen war.

      Er wandte den Kopf und sah die zusammengesunkene Gestalt neben sich. Er lauschte und hörte Atemgeräusche, jedoch keuchend und schwach. Der Kopf ruhte noch immer auf dem blutverschmierten Armaturenbrett. Der Körper war noch reglos und schlaff. Er sah wieder nach vorn, fuhr mit einer Hand über sein Gesicht und versuchte nachzudenken. Für einen kurzen Augenblick glaubte er, er könne seine Meinung noch ändern. Bremsen, wenden, in die Stadt fahren, zum nächsten Krankenhaus. In die Notaufnahme einbiegen, ihn dort abliefern und sich unbemerkt wieder davonmachen . . .

      Dann sah er ein, dass bereits alles entschieden war. Es gab keinen Weg zurück. Und plötzlich lächelte er, mit diesem Gefühl der Erleichterung, das ihn immer überkam, wenn die Verwandlung geschah, wenn er diesen letzten Schritt tat und alles mechanisch zu passieren schien, ohne dass er denken musste. Wenn er einfach nur nachgab und sich mitreißen ließ, wie von einer Flutwelle. Und gleichzeitig beobachtete er das alles von außen, von einem Punkt außerhalb seiner selbst. Entfernt, erhöht. Unerreichbar. Wie eine Art Gott, dachte er. Ja. Wie Gott.

      Ende März, der Himmel war bleigrau und hing tief. Ein trostloser Nieselregen trieb über die aufgeweichten Lehmböden, die hinter der Friedhofsmauer begannen.

      John Nielsen blieb auf dem Weg vom Parkplatz stehen, fischte eine Zigarette aus der Schachtel. Er kam bereits zu spät, trotzdem blieb er stehen, zündete die Zigarette an, sog den Rauch gierig ein und ließ ihn die Lungen füllen. Er hustete, als er spürte, wie sich die alte, wohlbekannte Mischung aus kitzelnder Atemnot und Wohlbefinden im Körper ausbreitete. Er hatte vor fast einem halben Jahr aufgehört und wusste nicht mehr, zum wievielten Mal.

      Und nun bot sich die Möglichkeit, das ein weiteres Mal zu tun, dachte er, während er auf den Rauch starrte, der in den Regenböen verschwand.

      Der Regen war stärker geworden und peitschte in sein Gesicht. Aber er blieb stehen, rauchte weiter, starrte auf die vorbeiziehenden Regenböen, spürte, wie die Nässe unter den Hemdkragen kroch. Er spielte einen Augenblick mit dem Gedanken umzukehren, zurückzugehen, sich ins Auto zu setzen und davonzufahren. Sich zu drücken.

      Dann zuckte er die Schultern, warf die Kippe auf den Weg und trat sie im Kies aus. Er ging auf die Kapelle zu, holte tief Luft, öffnete die Tür und trat ein.

      Eva und die beiden Söhne saßen ganz vorn, einen knappen Meter hinter dem Sarg. Er hatte sie und Eva seit Jahren nicht mehr gesehen. Der ältere der Jungen, Erik, hatte anscheinend Lasses Körperbau geerbt. Stiernacken und breite Schultern, einen halben Kopf größer als alle, die in seiner Nähe saßen. Als er den Kopf umwandte, sah Nielsen, dass auch die Gesichtszüge die seines Vaters waren.

      Auch Eva drehte den Kopf und sah ihn an. Einen Augenblick lang schien es, als würde sie ihn nicht wiedererkennen, dann nickte sie. Er nickte zurück und musterte die Frau rechts neben ihr. Das war Gisela. Sie saßen Seite an Seite.

      Einen Moment blieb er in der Tür stehen, dann setzte er sich auf eine der hinteren Bänke. Er erkannte Lindståhls Rücken, während seiner Zeit bei der Polizei in Söderort war er Lasses Chef gewesen. Jetzt war er über siebzig. Neben ihm saß jemand, den er nicht zuordnen konnte, der aber wahrscheinlich ebenfalls ein alter Kollege von Lasse war.

      Er zählte durch. Sieben Personen, inklusive seiner selbst. Nicht gerade eine beeindruckende Versammlung. Als hätte Lasse kaum Freunde gehabt, dachte er.

      Der Priester, der kurz innegehalten hatte, als er durch die Tür getreten war, fuhr mit seiner Predigt fort. Nielsen hörte zu Anfang nur mit halbem Ohr zu, bis eine Formulierung ihn aufhorchen ließ.

      »Lasse und ich . . .«

      Er betrachtete die breitschultrige, etwas untersetzte Gestalt vorne am Altar, hörte nun aufmerksam zu. Nach einer Weile begriff er, dass dieser Mann und Lasse Freunde aus Kindertagen waren, beide waren hier an der Küste aufgewachsen und anscheinend während der Schulzeit und in ihrer Jugend unzertrennlich gewesen.

      In seiner Erzählung ging es darum, wie sie heimlich einen alten Motorkahn ausgeliehen hatten, den auf Grund fuhren und an Land zurückschwammen, halbtot vor Erschöpfung und Kälte retteten sie sich schließlich auf eine Brücke. Dann erzählte er von einem Einbruch in einem Ferienhaus, bei dem der Besitzer sie ertappt hatte. Es war im Spätherbst und schon dunkel gewesen, und sie waren davongekommen, weil sie in den Wald hineingelaufen waren, von den wenigen Schlucken Likör und Branntwein war ihnen so schwindelig, dass sie keine Ahnung von der Gegend oder der Himmelsrichtung hatten. Sie verbrachten die Nacht im Wald, wo sie herumirrten, orientierungslos über Windbruch und Baumstümpfe stolperten, immer mehr blaue Flecken bekamen und sich zerschlagen fühlten. Und immer nüchterner wurden.

      Dann schwieg er, sah sich die kleine Versammlung an und schüttelte leicht den Kopf.

      »Ja,


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