Man erzieht nur mit dem Herzen gut. Daniel Zindel
Team. Essen vorbereiten, wickeln, Spaziergang im Freien, Aufstehen in der Nacht, Wäsche aufhängen und den Geschirrspüler ausräumen – es entstehen Arbeitsteilungen und Verantwortlichkeiten. Man arbeitet zusammen und grenzt sich ab.
Unser Zusammenleben im Familienhaus braucht solche Zuständigkeiten und Strukturen. Unter Struktur versteht man die »Anordnung der Teile eines Ganzen zueinander« (Duden). Auch in einer Familie sorgt ein gegliederter Aufbau dafür, dass wir gut zusammenleben und -arbeiten können.
Für uns sind Strukturen und Beziehungen keine Widersprüche, sie unterstützen sich sogar gegenseitig. Gute Strukturen entlasten unsere Beziehungen, weil wir dann als Familie nicht alles permanent ad hoc neu erfinden und aushandeln müssen. Strukturen entlasten wie ein stützendes Gerüst. Sie basieren auf längerfristigen Abmachungen, die wir mit beharrlicher Geduld aufrechterhalten. Sie bewahren uns davor, als Eltern permanent und unmittelbar zu agieren und zu intervenieren. So wie gute Zäune gute Nachbarn schaffen, so ermöglichen gute Strukturen Klarheit: Wann und wie wir essen, wo die Sportsachen hingehören, welchen Beitrag jeder in der Familie bezüglich der anfallenden Arbeiten leistet. Die Kunst des Zusammenlebens in der Familie hat mit der Kunst zu tun, im Familienhaus lebensfördernde Strukturen zu setzen.
Strukturen, die dem Leben dienen, sollen maßvoll sein. Überregulierte Familien sind gestresste Familien. Eine Familie tickt nun mal nicht wie das Qualitätsmanagement eines Universitätsspitals. Aber auch in unterregulierten Familien kann viel Druck vorhanden sein, denn ein Chaos in Bezug auf Ordnung, Sauberkeit, Schlaf- und Essgewohnheiten erzeugt ebenfalls viel Unfrieden.
Also: Arbeiten Sie nicht nur in der Familie, sondern an der Familie. Bauen Sie in entspannten Zeiten an Ihren Familienstrukturen! Wenn gerade alle hungrig sind und der Kühlschrank leer ist, wäre es wenig ratsam, an der familiären Einkaufsregelung zu arbeiten.
Rituale
Ebenso lebensfördernd wie angemessene Strukturen sind Rituale, wenn ihr Maß und ihr Stellenwert stimmen. Rituale tragen zu einer guten (Zeit-)Strukturierung bei, stärken die Gemeinschaft, stiften Sinn und bannen Angst: »Das kenn ich, das kann ich, das ist mir vertraut.« Gute (wiederkehrende) Gewohnheiten und lebendige Familientraditionen entbinden uns von dem Zwang, uns stets etwas Neues und Originelles einfallen lassen zu müssen. Rituale sind ebenfalls Teil der Familienidentität:
Bei schönem Wetter wird am Sonntagabend gegrillt. Gemüse und Fleisch sind auf Metallspießen aufgereiht. Jedes Familienmitglied empfängt den Grillspieß und streift die Köstlichkeiten auf den Teller. Nach dem Essen nimmt jedes Familienmitglied seinen Spieß und versucht, ihn so zu werfen, dass er im Rasen stecken bleibt. Das Spiel ersetzt die Vorwäsche und macht zusätzlich Spaß.
Familienrituale haben ihre Kehrseiten, wenn wir zum Beispiel damit Intimität vermeiden wollen. Im Ritual kommen wir uns äußerlich nahe und scheinen eine Einheit zu sein, dabei sind wir in dieser »Pseudointimität« innerlich weit voneinander entfernt. Wir absolvieren lediglich eine förmliche Übung. Rituale dienen dem Leben nicht, wenn wir nur aus Pflichtgefühl bei der Sache sind, uns jedoch in unserem Herzen schon längst davon verabschiedet haben.
Alles hat seine Zeit – auch Rituale, die sich mit dem Heranwachsen unserer Kinder wandeln.
Warum ist das so? Tragende Strukturen und lebendige Rituale gelingen nur, wenn sie zur Entwicklungsstufe eines Kindes passen. Je größer die Altersspanne unter den Kindern, desto herausfordernder wird es in einer Familie, diese für alle stimmig auszugestalten. Zudem beruhen sie auf der Grundlage von Freiwilligkeit und Verbindlichkeit. Das ist immer eine Gratwanderung.
Die Macht in der Familie
Die Familie ist kein herrschaftsfreier Raum. Es geht in einer Familie außerdem um die Verteilung von Macht, die zum Wachstum aller verwaltet werden muss. Das Familienhaus ist neben dem Beziehungsraum also auch ein Rechtsraum, wo es Rechte und Pflichten gibt, wo Verantwortlichkeiten und Kompetenzen festgelegt werden. Wer bestimmt die Essenszeiten oder wie das Familienbudget ausgegeben wird? Wer ist der Boss in der Familie?
Wir gehen davon aus, dass Mann und Frau, Mutter und Vater die elterliche Verantwortung gemeinsam auf Augenhöhe tragen, wenn sie die leiblichen Eltern aller Kinder sind. Wir schlagen weiter vor, dass sie in ihrer Ebenbürtigkeit abhängig von ihren Kompetenzen und Fähigkeiten in den verschiedenen Themen mal die Leitung übernehmen und sich ein anderes Mal dem Gegenüber unterordnen.
Ich bin als Mutter schnell im Denken und Reden. Meine Stärke wird mir im Umgang mit den Kindern manchmal zur Schwäche, weil ich Konflikte blitzartig und sehr direkt angehe. In Konflikten mit den Teenagern haben wir als Eltern entschieden, dass mein Mann die Gesprächsführung übernimmt. Ich habe dann zwar noch ergänzt, doch er war am Ball.
Ihre Spiritualität kann Ihnen dabei helfen, damit diese Balance der gegenseitigen Wertschätzung und Unterordnung gelingt. Eine Aussage des Apostels Paulus ist uns beiden für unser Miteinander als Mann und Frau wie auch als Eltern wegweisend geworden: »Ordnet euch aus Achtung vor Christus bereitwillig einander unter.«5 Wenn wir beide uns Christus unterstellen und uns von ihm etwas sagen lassen, stärkt das unser Miteinander und verhindert Machtkämpfe. In der Regel.
Fragen Sie sich, was für Sie die oberste Instanz ist. Ist es Gott? Oder Ihre gemeinsame Liebe? Ist es die Achtung voreinander in der Familie oder die Ehrfurcht vor dem Leben? Entschließen Sie sich, sich als Elternpaar diesem höchsten Gut unterzuordnen. Das, was uns absolut heilig ist, soll Macht über uns beide haben und nicht unsere selbstsüchtigen Wünsche.
Für Christinnen und Christen stellt sich die Frage, was mit der Aussage ist, die gleich unmittelbar auf die gegenseitige Unterordnung folgt: »Ihr Ehefrauen sollt euch euren Männern unterordnen, so wie ihr euch dem Herrn unterordnet«?6 Wir interpretieren dieses Wort nicht patriarchalisch, wie es wohl Paulus gedacht hat, sondern partnerschaftlich:
Ich lese diese Bibelstelle so: »Haupt sein heißt nicht, sich als Häuptling aufzuspielen, sondern den Kopf hinzuhalten.« Es geht also darum, mich als Mann hinzustellen, meinen Platz in der Partnerschaft und Familie ganz einzunehmen, Verantwortung zu tragen und Schutz zu gewähren, damit alle wachsen können. Das ist eine Dienstfunktion und keine Machtposition. Nicht immer habe ich das gemacht: Als unsere vier Kinder klein waren, war ich intensiv mit Weiterbildungen und meinem Beruf beschäftigt. In meiner Arbeitssucht und gelegentlichen Fahnenflucht vor der Familie nahm ich das »Hauptsein« zu wenig wahr.
Als Eltern haben wir viel mehr Macht, als uns normalerweise bewusst ist, vor allem, wenn wir uns als Team gut in die Hände spielen. Diese Macht müssen wir in der Verantwortung vor Gott oder den Werten, denen wir uns unterstellen, zum Wohl aller wahrnehmen. Macht im Dienst an allen Familienmitgliedern zu verwalten, braucht viel Weisheit und Demut.
Oikos und Ökonomie
»Haus« heißt auf Griechisch »oikos«. Davon abgeleitet ist der Begriff »Ökonomie«. Die Familie ist eine »ökonomische« Größe. Wir müssen zusammen auf allen Ebenen haushalten und wirtschaften: Geld verdienen, einkaufen, kochen, Fenster putzen, Kehricht entsorgen, Steuerunterlagen bereitstellen, Arzttermine planen. Jede Familie ist ein kleines Unternehmen und es kann nicht genug betont werden, was sie im Endeffekt gesellschaftlich alles leistet.
Ich brauchte eine Weile, bis ich kapiert hatte, dass nach dem Arbeitsschluss im Geschäft nicht einfach Feierabend angesagt war. Ich wollte mich im Schoß der Familie, der erwarteten Relax-Oase, gehen lassen und meine Kinder und meine Frau genießen. Mir wurde aber auch klar (gemacht!), dass ich mich nach der einen KMU (»Kleine und mittlere Unternehmen«) auf die zweite »KMU« (Kind-Mutter-Unterstützung) einstellen sollte. Ich nutzte den Heimweg auf dem Rad, um neue Kräfte für den nächsten Einsatz zu sammeln.
Als ich davon in einem Elternseminar erzählte, sagte ein Mann: »Ich mache es genauso. Wir wohnen in unserem Wohnblock im Erdgeschoss und ich fahre mit dem Rad an unserem offenen Küchenfester vorbei. Am Klappern der Kochtöpfe kann ich erkennen, wie die Stimmung daheim ist. Wenn es laut zugeht, mache ich mit dem Rad noch eine Zusatzrunde, damit ich gelassen und tragfähig nach Hause komme.«