Der Bergpfarrer Box 1 – Heimatroman. Toni Waidacher

Der Bergpfarrer Box 1 – Heimatroman - Toni Waidacher


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hitzköpfige Lächeln in dem markanten Gesicht. Thomas trug ein kariertes Hemd unter der Lederjoppe und dreiviertellange Krachlederne. Die Daumen hatte er hinter den Hosenträgern, vorne an der Brust, verhakt. So schlenderte er über die Tanzfläche, drehte sich im Kreis und hob stolz den Kopf.

      »Wer nennt mich einen Dieb?« rief er plötzlich mit schneidender Stimme.

      Niemand antwortete.

      Thomas ging zu einem der Tische. Die Leute, die daran saßen, wichen unwillkürlich zurück, als er sich zu ihnen beugte.

      »Du vielleicht, Hornbacher?«

      Der Angesprochene schwieg.

      »Oder du? Sterzinger?«

      Thomas Anderer hatte sich umgedreht und war direkt an den Tisch gegangen, an dem Kathies Eltern saßen.

      »Ja, genau du, Sterzinger-Bauer, du hast mich einen Kirchendieb geschimpft.«

      Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, daß die Gläser sprangen. Der Bauer antwortete nicht.

      »Feiglinge seid ihr, allesamt!« rief Thomas und fegte mit einer Handbewegung den Tisch leer. »Große Töne spucken und net das Maul aufmachen, wenn’s zur Sache geht.«

      Er war so in Rage, daß er nicht bemerkte, daß in seinem Rücken ein paar Burschen aufsprangen und langsam näherschlichen. Anton Bachmeier war ebenfalls aufgestanden. Mit einer energischen Bewegung stieß er den Stuhl um, auf dem er gesessen hatte.

      »Jetzt ist’s genug, Anderer!« schrie er und ballte beide Hände zu Fäusten.

      Dabei flackerten seine Augen böse und sahen in die Richtung, aus der drei Burschen heranschlichen. Thomas Anderer deutete den Blick richtig und drehte sich blitzschnell um. Im selben Moment stürzten sie sich auf ihn. Binnen weniger Sekunden waren sie ein einziges Knäuel, das sich unter dem Gejohle der anderen auf dem Boden wälzte, während Sepp Reisinger eiligst die Gläser und Krüge vom Tresen räumte und in Sicherheit brachte.

      Thomas steckte tüchtig ein, aber er teilte auch kräftig aus. Zwei Gegner hatte er zu Boden gestreckt, mit dem dritten rang er keuchend um die Oberhand. Anton Bachmeier umtanzte die Kämpfenden, in der Hand einen Maßkrug, mit dem er zuschlagen wollte.

      Thomas Anderer lag auf dem Rücken, und der andere, es war der Wolfgang Herbichler, kniete auf seiner Brust und drückte mit der rechten Hand gegen Thomas’ Hals. Der keuchte und rang nach Luft, und einen Moment wurde es rot und schwarz vor seinen Augen. Es krachte und splitterte, als Anton Bachmeier zuschlug und, gottlob, nur den Fußboden traf.

      Mit einer Hand stieß Thomas den Herbichler vor die Brust und erreichte so, daß er den Griff um den Hals lockerte, mit der anderen ergriff er Antons Handgelenk. Der hielt immer noch eine Scherbe des Krugs und kam damit Thomas’ Gesicht gefährlich nahe.

      Mit seiner letzten Willenskraft warf Thomas sich zur Seite und entging so dem vielleicht tödlichen Stoß. Gleichzeitig rutschte Wolfgang Herbichler von ihm herunter. Wutentbrannt über diesen gemeinen Überfall schlug Thomas blindlings zu. Es war ihm egal, wen und wohin er traf. Die anderen Männer und Burschen waren ebenfalls aufgesprungen und stürzten sich in das Getümmel. Beinahe hätten sie Thomas wieder am Boden gehabt. Mit einem lauten Schrei, Hände und Füße gebrauchend, befreite er sich schließlich und lief zum Ausgang.

      Irgend jemand hetzte hinter ihm her. Noch bevor er die Tür erreichte, riß dieser an seiner Joppe. Thomas drehte sich um und schaute in Anton Bachmeiers Gesicht. Mit aller Wucht schlug Thomas zu. Anton taumelte und fiel mit dem Hinterkopf gegen den Türpfosten. Eine Sekunde riß er die Augen auf, dann rutschte er langsam zu Boden. Auf dem Weiß der Wand zeichnete sich eine blutige Spur ab.

      Thomas war erschrocken, als er das Blut sah. Die anderen auf dem Saal schwiegen gelähmt, bis jemand seine Stimme wiederfand.

      »Holt den Doktor!« rief er. »Doktor Wiesinger.«

      Endlich erwachte die Menge aus ihrer Lethargie. Die Leute sahen Anton auf dem Boden liegen, und sie sahen das Blut.

      »Mörder!« schrie jemand, und dieser Ruf holte Thomas in die Wirklichkeit zurück.

      »Mörder, Mörder«, riefen jetzt auch die anderen. »Haltet ihn fest!«

      Thomas wandte sich um und schaute sie entsetzt an.

      »Aber… ich… das hab’ ich doch net gewollt…«, stammelte er.

      Er riß die Tür auf und rannte davon. Hinter sich hörte er den empörten Aufschrei der Leute.

      *

      Sebastian Trenker lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück. Vor ihm, auf dem Schreibtisch, lag der Text für die Predigt am morgigen Sonntag. Der Geistliche nahm einen letzten Schluck aus der Teetasse, die Sophie Tappert ihm vor ein paar Minuten gebracht hatte, und klappte das schwarze Buch zu, in das er immer seine Texte eintrug.

      Dann stand er auf, ging zu dem breiten Bücherregal hinüber und nahm einen großen Bildband heraus. Es waren herrliche Fotografien von den größten und schönsten Bergen darin. Am Einband konnte man erkennen, daß Sebastian gern und oft darin blätterte. Bevor er sich wieder setzte, öffnete er das Fenster. Laue Sommerluft wehte herein, und von drüben hörte man die Geräusche aus dem Hotel, wo der Ball stattfand.

      Sebastian gönnte seinen Schäfchen dieses Vergnügen von Herzen, wußte er doch, wie hart sie die Woche über arbeiteten. Manchmal nahm er selber daran teil. Doch heute hatte er darauf verzichtet. Immer noch beschäftigte ihn der Raub der Madonna, der auch Inhalt seiner Predigt sein würde, und jetzt wollte er einfach versuchen, sich noch ein wenig abzulenken, bis Max kam. Der Dorfpolizist war in Sachen Kirchenraub unterwegs und befragte Sebastians Amtskollegen in Engelsbach und Waldeck nach dem geheimnisvollen Besucher, den Sebastian so genau beschrieben hatte. Max wollte der Frage nachgehen, ob der Mann die beiden Kirchen ebenfalls vor dem Raub dort besucht hatte.

      Pfarrer Trenker wollte sich eben wieder setzen, als er eilige Schritte vernahm, die sich auf dem Pflaster schnell entfernten. Wenig später klingelte es an der Tür. Sebastian öffnete selber, Frau Tappert saß in der kleinen Wohnung im ersten Stock vor dem Fernsehgerät. Wahrscheinlich hörte sie das Klingeln gar nicht.

      Vor der Tür stand ein junger Bursche aus dem Dorf.

      »Hochwürden, kommen S’ schnell«, japste er. »Drüben, im Wirtshaus – der Anton, er ist tot. Eine Schlägerei mit dem Anderer-Thomas…«

      Sebastian reimte sich den Rest zusammen und drängte den Burschen hinaus. Gleichzeitig griff er nach seinem Sakko, das an der Garderobe hing, und eilte hinterher.

      »Ist der Doktor verständigt?« fragte er im Laufen.

      »Ich glaub’ schon. Ja, bestimmt ist er schon da.«

      Auf dem Saal herrschte Totenstille, als Sebastian eintraf. Der alte Bachmeier hielt tröstend seine Frau in den Armen, während der junge Doktor Wiesinger am Boden kniete und sich um Anton kümmerte.

      Als Pfarrer Trenker eintrat, sah der Arzt kurz auf. Sebastian kniete sich neben ihn und sah auf Anton, der bleich und mit geschlossenen Augen am Boden lag. Unter seinem Kopf hatte sich eine kleine Lache Blut gebildet. Aber der Pfarrer konnte sehen, daß er noch atmete.

      »Wie sieht es aus, Doktor, wird er es überleben?«

      »Grüß Gott, Hochwürden«, antwortete Toni Wiesinger und nickte. »Ja. Es sieht schlimmer aus, als es ist. Anton ist halt unglücklich gegen die Wand gestoßen. Aber die Blutung ist gestillt. Wir schaffen ihn jetzt in die Praxis, dort werde ich die Wunde nähen, und in ein paar Tagen ist alles vergessen.«

      Er schaute in die Runde.

      »Von Mord kann also net die Rede sein«, sagte er vernehmlich. »Höchstens von Körperverletzung. Aber das ist net meine Angelegenheit.«

      Er wandte sich an ein paar junge Burschen.

      »Los, packt mit an«, befahl er. »Aber vorsichtig!«

      »Kann mir mal einer erklären, was hier geschehen ist?« verlangte Sebastian Trenker.


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