Auf zwei Planeten (Science-Fiction). Kurd Laßwitz
Antwort hinweggegangen. Wenn aber die Martier auf irgendeine Frage nicht eingehen wollten, so war es für die Menschen ganz unmöglich, sie dahin zu bringen. Die Leichtigkeit, mit welcher sie die Gedanken lenkten, und die Überlegenheit ihres Willens waren so groß, daß die Menschen ihnen folgen mußten und dabei kaum merkten, daß sie geleitet wurden. Aber Grunthe wie Saltner waren in der Tat noch so erfüllt von den Aufgaben, die ihnen auf der Insel gestellt waren, daß sie die Pläne über die Fortsetzung ihrer Reise selbst in ihren Gesprächen untereinander nur vorübergehend berührt hatten. Sie hatten sich zwar vorgenommen, in den nächsten Tagen einen definitiven Entschluß zu fassen und zu gelegener Zeit mit den Martiern darüber zu reden, bis jetzt war es aber noch nicht dazu gekommen. Grunthe glaubte nämlich, daß sie, falls nur die Erlaubnis der Martier erlangt war, jederzeit die Insel ohne Schwierigkeit würden verlassen können, weil er nach einer allerdings nur vorläufigen Untersuchung sich für überzeugt hielt, daß der Ballon mit verhältnismäßig geringer Mühe sich wieder herstellen ließe. Mit dem größten Teil ihrer Ausrüstung waren auch einige Reservebehälter gerettet worden, die komprimierten Wasserstoff enthielten. Allerdings konnte derselbe zu einer vollständigen Füllung des Ballons nicht ausreichen. Doch hoffte Grunthe, von den Martiern die Mittel zur genügenden Entwicklung des Gases zu erhalten. Er hatte bei seinen Studien auf der Insel gesehen, daß die Martier über so gewaltige Mengen elektrischen Stromes verfügten, daß er dadurch den Wasserstoff leicht aus dem Wasser des Meeres erhalten konnte. Sollte ihm aber hierzu die Beihilfe verweigert werden, so war er entschlossen, den Ballon entsprechend zu verkleinern und mit dem Reservevorrat an Gas und nur dem notwendigsten Gepäck die Heimreise anzutreten. Er hatte in der Bibliothek der Martier die Witterungsbeobachtungen gefunden, welche Jahre hindurch von ihnen am Nordpol ausgeführt waren. Daraus hatte er entnommen, daß während des Novembers regelmäßig andauernd nach Europa hinwehende Winde einzutreten pflegten, daß er aber früher keine Aussicht hatte, günstige Windverhältnisse zu erwarten. Demnach mußte er sich entscheiden, ob er sich jetzt, kurz vor Beginn der Polarnacht, unbestimmten atmosphärischen Verhältnissen anvertrauen wollte, oder ob er mitten in der Polarnacht es wagen wollte, bei günstigem Wind aufzusteigen. Das letztere schien ihm das Empfehlenswertere zu sein, da er bei gutem Wind hoffen durfte, in wenigen Tagen bewohnte Gegenden zu erreichen.
Diese Überlegungen, welche Grunthe für sich angestellt hatte, waren von ihm zwar Saltner gegenüber beiläufig erwähnt worden, doch hatte sie dieser, eben weil sie die Zeit zur Ausführung noch nicht für gekommen hielten, zunächst nicht weiter erwogen. Ihm war vorläufig die Gegenwart alles, und jetzt erst stellten ihn Las Worte unmittelbar vor die Frage, was zu tun sei, wenn die Martier fast sämtlich die Insel verließen. Zugleich aber schien ihm im Augenblick eine so schnelle Trennung von seinen innig verehrten Gastfreunden und von La und Se insbesondere als etwas kaum Mögliches. Indem ihm Grunthes Pläne momentan durch den Kopf schossen, fühlte er doch, daß er nicht sofort eine Zusage geben dürfe, und in seiner Verwirrung zögerte er mit der Antwort, während die Martier mit allerlei verlockenden Schilderungen Las Einladung unterstützten.
Zum Glück trat Grunthe jetzt ein, und die Zeremonie der Begrüßung mit den Martiern wiederholte sich. Nur La, an welcher Grunthe nach Möglichkeit vorbeisah, mußte sich mit einem steif ausfallenden martischen Fingergruß begnügen. Sie lächelte zu Saltner hinüber, und ihr Blick schien sagen zu wollen: »Wir werden ihn doch mitnehmen.«
Grunthe hatte bereits auf dem Weg von Hil gehört, daß morgen ein Fahrzeug nach dem Mars abgehe.
»Wie viele Nume verlassen uns denn?« fragte er.
»Dreiundfünfzig, darunter fünf Damen«, antwortete Jo.
»Dann ist es wohl ein bedeutendes Fahrzeug? Wenn ich recht gehört habe, sind selbst Ihre größten Raumschiffe nicht auf viel mehr berechnet.«
»Das ist richtig. Auf mehr wie sechzig können wir unsere Schiffe nicht gut einrichten, das Verhältnis zu den Richt-Bomben wird sonst zu ungünstig. Aber der ›Komet‹ ist ein vorzügliches Fahrzeug und trägt gut seine sechzig Personen – Sie haben also noch bequem Platz, und ich würde mich sehr freuen, Sie mitzunehmen.«
»Sie sind selbst der Kommandant?« fragte Grunthe.
»Ich habe die Ehre, das Raumschiff ›Komet‹ zu führen, bestimmt nach der Südstation des Mars. Sie fahren darin sicherer durch den Weltraum als in Ihrem Ballon durch die Luft der Erde. Also abgemacht, kommen Sie mit?«
»Daran ist nicht zu denken«, sagte Grunthe lächelnd. »Aber es würde mich sehr interessieren, der Abfahrt beizuwohnen. Wann findet sie statt?«
»64,63«, erwiderte Jo.
Grunthe sah ihn fragend an.
»Mittlere Marslänge«, fügte Jo hinzu.
»Sie müssen schon«, begann La, »den Herren alle Maßangaben in ihre irdische Rechnungsweise umrechnen. In unsre Messungsmethode können sie sich nicht so schnell hineinfinden. Morgen um 1,6 ist die Abfahrt, das heißt nach Ihrer Stundenrechnung um drei Uhr. Sehen Sie sich nur die Sache einmal an, Grunthe, Sie werden Lust bekommen, bald selbst eine Fahrt mitzumachen. In der nächsten Zeit geht jeden dritten Tag ein Schiff ab!«
»Der Mars«, fiel Jo ein, »ging sechs Tage vor Ihrer Ankunft durch sein Perihel – ich meine den Punkt, wo er der Sonne am nächsten steht –, und da er sich gerade jetzt auch in der Erdnähe befindet – Sie wissen, daß die Opposition vor wenigen Tagen stattfand –, so gibt es keine günstigere Reisezeit. Aber ›piken‹ Sie denn nicht?«
»Ich danke, niemals«, sagte Grunthe, die angebotenen Piks zurückweisend. Dabei starrte er geradeaus und zog seine Lippen zusammen. Er rechnete in der Eile die augenblickliche Entfernung von Mars und Erde aus.
»Wie lange Zeit pflegen Sie denn zur Fahrt zu brauchen?« fragte Saltner.
»Das kommt ganz auf die Umstände an. Bei günstiger Stellung der Planeten läßt sich die Reise auf dreißig Ihrer Tage und weniger reduzieren, ja wenn wir tüchtige Bombenhilfe geben, was freilich sehr teuer wird, so könnte man bei so großer Planetennähe wie jetzt sogar auf acht oder neun Tage herabkommen. Aber ich muß freilich bemerken, daß man eine solche Geschwindigkeit von 90 bis 100 Kilometern in der Sekunde nur unter ganz besonderen Umständen benutzen würde.«
»Ich begreife überhaupt noch nicht«, sagte Grunthe, sich wieder am Gespräch beteiligend, »wie sie Ihre Geschwindigkeit und Richtung in verhältnismäßig so kurzer Zeit verändern können. Ich weiß, daß Sie Ihr Fahrzeug mehr oder weniger diabarisch machen, daß Sie also die Anziehung der Sonne schwächer oder auch gar nicht auf dasselbe einwirken lassen können. Bei der Abfahrt heben Sie die Gravitation ganz auf, um zunächst genügend weit aus dem Anziehungsbereich der Erde zu kommen, nicht wahr?«
»Ganz richtig. Aber sprechen Sie, bitte, weiter, damit ich sehe, wie weit Sie mit den Prinzipien unserer Raumreisen vertraut sind.«
»Wenn Sie abreisen, verlassen Sie also die Erde und die Erdbahn in der Richtung ihrer Tangente mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 Kilometern in der Sekunde, denn das ist die Geschwindigkeit der Erde in ihrer Bahn, die Sie nach dem Beharrungsgesetz beibehalten. Sie kommen dadurch in immer größere Entfernung von der Sonne. Wenn Sie nun die Gravitation wieder wirken lassen, vielleicht nur schwach, so wird das denselben Erfolg haben, als wenn Sie sich mit der Geschwindigkeit der Erde in sehr großer Entfernung von der Sonne, zum Beispiel in der Entfernung des Uranus befänden, und die Bahn müßte dann eine hyperbolische werden, Sie würden sich auf einer Hyperbel von der Sonne entfernen.«
Jo machte ein Zeichen der Zustimmung.
»Nun kann ich mir wohl denken«, fuhr Grunthe fort, »daß Sie durch geschickte Kombinierung solcher Bahnen, indem Sie die Gravitation schwächen oder verstärken, in das Anziehungsgebiet des Mars gelangen können. Aber ich verstehe nicht, wie dies in so kurzer Zeit möglich ist. Sie müssen jedenfalls einen sehr weiten Weg durchlaufen, und wenn Sie sich von der Sonne entfernen wollen, so wird doch unter dem Einfluß der Gravitation Ihre Geschwindigkeit immer kleiner, niemals aber größer.«
»Sie haben darin vollkommen recht«, erwiderte Jo. »Dies war der einzige Weg, der unsern Raumschiffern in der ersten Zeit unserer Weltraumfahrten zu Gebote stand. Sie hatten damals