Die Mission der tollkühnen Bücher. Hendrik Lambertus
ihn aufhalten«, ergänzte Paulchen und setzte dazu an, mit gezogenem Säbel in den Raum zu stürmen. Reginald hielt das Piratenbuch am Arm zurück.
»Doch nicht so«, flüsterte er. »Wer weiß, wie gefährlich dieses Kapuzenwesen ist! Erst mal brauchen wir einen Plan.«
Paulchen stöhnte genervt.
»Vielleicht könnte ich eine Zauberfessel beschwören«, schlug Hedy Hexensocke vor. Die beiden anderen schauten sie fragend an.
»Wenn wir sie diesem Wesen umlegen, kann es sich nicht mehr bewegen. Aber jemand müsste es darin einwickeln. Jemand, der richtig schnell ist …«
»Das bin ich!«, sagte Paulchen und straffte sich. »Kümmere dich um das Seil, Hedy.«
»Wenn das mal gut geht«, brummte Reginald und trat zur Sicherheit einen Schritt zur Seite.
Hedy warf der Gestalt im Ledereinband-Mantel einen prüfenden Blick zu. Diese war noch immer über das Buch gebeugt und saugte Buchstabe für Buchstabe in sich hinein.
»Also gut«, murmelte Hedy und konzentrierte sich. Dann sprach sie den Zauberspruch:
»Zibel, Zabel, Zauberseil!
Zubel, Zabel, zu mir eil’!
Komm hierher, wo wir jetzt sind,
diene uns als festes Bind … äh, Band!«
Und ein Seil erschien in ihren Fingern. Es war geschmeidig und glänzte golden, als wäre es aus Licht geflochten. Stolz überreichte Hedy es Paulchen. Als das Piratenbuch das Seil an sich nahm, bewegte es sich plötzlich in seinen Händen. Eines der Enden hob sich wie der Kopf einer Schlange und schien sich suchend umzuschauen.
»Ist das normal?«, fragte Reginald misstrauisch. Das Seil wandte sich ihm zu, als würde es ihm zuhören.
»Öhm … bestimmt«, erwiderte Hedy rasch. »Paulchen, vielleicht solltest du dich mit dem Fesseln beeilen – bevor das Seil andere Pläne hat.«
»Gleich ist das Kapuzending sicher verschnürt!«, versprach Paulchen und rannte auf den Tisch in der Mitte des Raumes zu, während das Seil unruhig zuckte. Entschlossen sprang das Piratenbuch in die Luft – und landete auf der Stuhllehne direkt hinter der Kapuzengestalt. Paulchen schwang das Seil wie ein Lasso, um es ihr über die Schultern zu werfen.
In diesem Moment bäumte das Seil sich auf. Es verdrehte sich und versuchte, Paulchen zu umschlingen. Das Piratenbuch verlor das Gleichgewicht und purzelte mit raschelnden Seiten von der Stuhllehne. Es gab ein dumpfes Geräusch, als Paulchen auf dem Boden landete.
Das Kapuzending sprang vom Stuhl auf und fuhr herum. Bedrohlich überragte es das kleine Buch, das mit aufgeblätterten Seiten vor ihm lag und mit dem Lasso kämpfte.
Doch Paulchens Agentenausbildung mit Buch-Fu-Training machte sich bezahlt: Das Piratenbuch bändigte das Seil mit einigen gekonnten Handgriffen, sprang auf die Füße und stürmte der Kapuzengestalt mit einem wilden Kampfschrei entgegen. Diese zog einen Stab unter dem Mantel hervor. Er hatte einen Knauf, der wie der Kopf eines Vogels mit einem langen, gebogenen Schnabel geformt war.
Paulchen warf sich mit einem kühnen Salto auf die Gestalt.
Das Kapuzending deutete mit dem Stab auf das Piratenbuch. Ein bläulicher Lichtblitz flammte auf. Plötzlich hing Paulchen regungslos in der Luft, als hätte jemand einen Film auf »Pause« gestellt.
In Hedy klumpten sich sämtliche Seiten vor Schreck zusammen.
»Los!«, flüsterte sie besorgt. »Wir müssen Paulchen helfen!«
Die beiden Buchagenten stürmten in den Raum. Als die Kapuzengestalt ihre trippelnden Schritte hörte, drehte sie sich zu ihnen um. Ihr Vogel-Stab zeigte nun auf Hedy. Verzweifelt begann die Buchagentin einen Zauberspruch:
»Züber, Zauber, hilf mir schnell …«
Schon zuckte wieder ein Lichtblitz durch die Luft. Hedy warf sich zur Seite, doch der Blitz änderte spontan seine Richtung und erwischte sie trotzdem. Von einer Sekunde auf die andere konnte sie sich nicht mehr bewegen. Hilflos musste sie mit ansehen, wie die Kapuzengestalt auch auf Reginald zielte. Der Gentleman-Detektiv lief im Pinguin-Galopp über den Boden, um hinter ein Bücherregal in Deckung zu hüpfen. Der nächste Lichtblitz traf ihn, ehe er das Regal erreicht hatte. Er erstarrte mitten in der Bewegung.
Die Kapuzengestalt senkte den Vogelstab. Dann kam sie langsam auf die gelähmten Buchagenten zu. Unter ihrem Mantel zog sie eine Umhängetasche aus Leder hervor. Sie öffnete die Tasche und beugte sich hinunter. Ihre ausgestreckte Hand näherte sich Hedy. Dieses Ding wollte sie einfach so einpacken! Die Buchagentin spannte verzweifelt all ihre Seiten an, doch sie konnte sich nicht bewegen.
»Lassen Sie sofort das Buch in Ruhe!«, rief plötzlich jemand. Ein schmaler Menschenjunge, der eine große Brille auf der Nase trug, stand in der Tür der Lesestube. Seine Stimme klang dünn und heiser vor Aufregung.
Die Kapuzengestalt zuckte zusammen und schaute zu dem Jungen auf. Unter der Kapuze war kein Gesicht zu erkennen – nur schwarze Schatten.
»Und meinen Bruder lassen Sie auch in Ruhe!«, rief das hochgewachsene Mädchen, das hinter dem Jungen stand, und legte die Hand auf seine Schulter.
Hektisch blickte die Kapuzengestalt sich um. Dann schlug sie ihre Tasche zu und lief zu einem Bücherregal hinten im Raum. Mit dem Fingerknöchel klopfte das Wesen an einen der Buchrücken wie an eine Tür. Plötzlich wichen die Bücher nach links und rechts zur Seite, als würde man einen Vorhang aus Buchrücken aufziehen. Mitten im Regal klaffte auf einmal ein bogenförmiger Durchgang, der dort ganz und gar nicht hingehörte. Die Kapuzengestalt eilte hindurch. Hinter ihr rückten die Bücher zusammen. Keine zwei Sekunden später sah das Bücherregal wieder völlig normal aus.
»So etwas gibt es nicht!«, rief das Menschenmädchen ungläubig. »Das ist wissenschaftlich gesehen gar nicht möglich!« Sie trat an das Regal und schaute es sich ganz genau an.
»Magie«, hauchte der Junge mit großen Augen. »Wir haben richtige Magie gesehen, Mel!«
»Arthur, das ist Unsinn«, erwiderte das Mädchen. »Es muss eine logische Erklärung geben. Magie gibt es nur in deinen Fantasy-Büchern …«
Plötzlich war ein leises Plumpsen zu hören. Paulchen war zu Boden gepurzelt. Hedy und Reginald kämpften sich stöhnend wieder auf die Füße. Sie schauten sich benommen um – und erblickten die beiden Menschenkinder.
»Ups!«, machte Paulchen erschrocken.
»Ihr seht uns gar nicht!«, rief Hedy hastig.
»Wir sind schon weg!«, ergänzte Reginald, hüpfte rasch auf den Tisch und betrachtete das Buch, in dem das Kapuzending gelesen hatte, kurz durch seine Lupe. Dann huschten die drei Buchagenten in Buch-Fu-Geschwindigkeit davon, sodass nur eine Wolke Bücherstaub zurückblieb.
»He!«, rief der Junge. »Wartet doch mal!«
Die Menschenkinder versuchten, den Büchern zu folgen. Aber inmitten einer Bibliothek konnte man einen ausgebildeten Buchagenten nicht finden, wenn er es nicht wollte! Mühelos quetschten die drei sich in ein Regal und ließen die Kinder vorbeilaufen. Zur Sicherheit warteten sie einen Moment, dann setzten sie ihren Weg fort, durch den Keller und schließlich zurück zu Dinas Bücherhort.
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