Kalendergeschichten: Naturgeschichten & Sagen für das ganze Jahr. Anzengruber Ludwig
da hinaufsetzte; oben stieß er die Thüre auf.
Schwer setzte er den Fuß auf die Dielen, warf einen Blick, wie ihn nur die bübischsten Mordgesellen auf der Bühne zu werfen verstehen, nach der bewußten Ecke und murmelte: »Also hat's nicht sein können?«
Unheilbrütende Stille.
»Hat's nicht sein können?« wiederholte er mit heiserer Stimme, langte mit hartem Griff den Herrgott von der Wand. »Nicht einmal zwei Gulden siebenundfünfzig Kreuzer Münz'! Ist das schön?«
Nun begann er dem Herrgott gehörig die Meinung zu sagen, seine Reden und Hantierungen wurden immer mehr das Gegenteil von Schmeicheleien und Liebkosungen, bis er sich vor unvernünftiger Wut nimmer aus wußte und das Bild von sich warf, selbstverständlich, um es am nächsten Morgen wieder reuig vom Boden aufzuheben, an die gewohnte Stelle zu hängen und bei nächster Gelegenheit bittlich anzugehen, wenn wieder zwei Gulden siebenundfünfzig Kreuzer Münz' Tageskosten in Gefahr standen, verregnet zu werden! Ebenso selbstverständlich wird er wieder den eingegangenen Betrag durch einen dankbaren Blick quittieren, oder andernfalls dem Herrgott gehörig die Meinung sagen, denn so war einmal seine Art, mit demselben umzugehen.
»Nun,« sagt der Leser, »das ist mir ein artiger Narr;« aber er steht nicht allein, er hat gering seine hunderttausend Brüder, die Fetischanbeter, von denen wir schon viel gelesen haben. So ein Wilder geht her und macht sich in aller Geschwindigkeit aus einem Lumpenbündel, Baumstrunk oder Steinblock einen Gott zurecht, bringt auf den Knieen seine Bitten vor, werden die aber nicht gewährt, so sieht er sich nach einem tüchtigen Stocke um und prügelt seinen Herrgott weidlich durch.
Nun lacht wohl der Leser über den Welschen, von dem ich zu Anfang erzählt habe, über den »Obersten der Komödianten«, den ich ihm im weiteren Verlaufe vorführte und über die Fetischanbeter, auf die mir zuletzt zu sprechen gekommen sind; schmeichelt sich, was Bedeutendes klüger und besser zu sein, und ich könnte jetzt auf die artigste Weise schließen, indem ich ihn sein höflich bei seiner Meinung beließe. Ja, wenn nicht ein Hauptmerks noch anzubringen wäre!
Nehm' noch einmal meinen alten Narren hervor und sage: »Er hat gering nicht seine hunderttausend – er hat Millionen Brüder!«
Will's der Leser nicht glauben? Gut, wir wollen Probe machen. Es braucht keiner zu sagen, er gehöre nah' oder entfernt in die Brüderschaft, denn es wär' wider alle Vernunft, von einem Menschen zu verlangen, daß er sich selbst irgend etwas Unangenehmes nachsage! aber wer nicht dazu gehört, der möge sich melden!
Wir wollen uns daher gar nicht bemühen, heraus zu bekommen, wieviel ihrer sind, die sich an einem Bilde vergreifen, nicht weil es ihnen ein götzendienerischer Greuel ist, sondern just, weil sie glauben, dahinter steckt's! Wollen auch nicht fragen nach den Lästerern, die den Herrgott ausschimpfen, nicht nach denen, die es an seiner Statt immer besser zu machen wüßten, nicht nach jenen, die ihn stets mit dem Mund lobpreisen und durch jedes Thun verunehren, nicht nach den Verbitterten, welche ihm den Glauben aufkünden, wenn es nie und nimmer wird, wie sie es wünschen und ersehnen; nein, wir wollen nur, daß derjenige sich melde, der nie in seinem Leben eine Stunde hatte, wo er Gott wie einen seinesgleichen begreifen wollte und über ihn den Kopf schüttelte!
Meldet sich derjenige, so will ich gerne seine Meldung nachträglich bestätigen, bis dahin aber bleibe ich dabei, am Stocke allein liegt's nicht und in weiterem Sinne hat schon jeder Mensch einmal seinen Gott geprügelt!
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