Kalendergeschichten: Naturgeschichten & Sagen für das ganze Jahr. Anzengruber Ludwig
und auch gerne, je eher je lieber, hinausgeworfen sähe, so wird er sich nun selber sagen: »Sachte, Freundchen, gegen Gewohnheit hilft nur das Abgewöhnen.«
Und nun geht er mit Bedacht und Ueberlegung an die Arbeit, ein Mann, der nicht nur etwas zu erzählen weiß, sondern auch etwas zu sagen hat. Unter dem Erzählen blättert er den Kalender, den die Menschen in ihrem Herzinnersten tragen, auf und wo er auf eine gute Seite trifft, da spricht er zum Bessern, und wo er eine böse findet, zum Guten; dieses »Belehrsame« hängt jeder richtigen »Kalendergeschichte« an. Es mag da eine kleine Eitelkeit mit unterlaufen, die Voraussetzung, manches besser zu wissen, als andere, vielleicht auch ein großer Irrtum, die Anschauung, daß sein Besseres auch wirklich das Bessere sei; doch schon allein das Aussprechen einer offenen, ehrlichen Meinung hat das Gute für sich, daß es die Leute veranlaßt, mitunter auch auf eine andere als die eigene zu hören.
Ehe er aber an sein Erzähl- und Lehramt geht, sieht er sich vorerst den Leserkreis seines Kalenders genauer an. Es ist dies gleichsam eine Gesellschaft, in die er eingeführt wird, und als Mann von Welt weiß er, daß es sehr unschicklich wäre, eine Sprache zu reden, welche in diesem Kreise nicht verstanden würde, daß es dagegen sehr gewinnend und einnehmend läßt, sich so weit als thunlich in die Art der Versammelten zu schicken, freilich muß deren Art auch danach sein, daß sich ein anständiger Mann darein schicken kann. In einem ängstlichen Kreise, wo man stets fürchtet, das Kind mit dem Bade zu verschütten, wird er nicht einmal an die Wanne rühren, sondern nur sein Bedauern für das liebe Kleine nachdrücklich aussprechen, das nun, sauber gewaschen, gleichwohl im Unreinen – im Badewasser – sitzen gelassen werde. Unter unbefangenen Gesellen wird er nicht anstehen, wie 'n Jahrmarktsmann mit dem Sonnenmikroskop, Floh und Laus, die uns ins Ohr und in' Pelz gesetzt werden, elefantengroß an die Wand zu werfen. Für das erste Stück werden ihn freilich Kraftgeister einen Reaktionär und für das zweite Kleingeister einen Revolutionär schelten; weil aber bei Zuwendung dieser Titel das einzig Beunruhigende, die Kostenfrage, entfällt, da die Verleihung taxfrei geschieht, so braucht er sich dadurch nicht anfechten zu lassen, er weiß ja nur zu gut, daß es noch keinem auf der Welt gelungen ist, es allen Leuten recht zu machen, daß man nur den Gläubigen predigen kann, und daß noch keiner zu einem »besseren« Glauben bekehrt wurde, dem sein alter eben noch »gut« genug war. Es muß erst der Zweifel die alten Götter entwerten, ehe sie der Mensch im Tausche gegen neue aufgibt. Nun treibt aber der Kalendermann beileibe nicht einen Hausierhandel mit neuen Göttern, er verlegt sich bloß auf den Umsatz guter, edler, schöner und fruchtbringender Gedanken, – mag solche vor tausend Jahren ein weiser Heide ausgesprochen haben, oder heutigestags ein warmherziger Mensch aussprechen – und bequemt er sich dabei auch nach Land und Leuten, sein Absehen hat er doch auf die Welt und die Menschen, denn er ist der Ueberzeugung, käm' morgen der jüngste Gerichtstag – er glaubt 'n allerdings nicht so nah' und zum Frommen mancher Frommen wäre vielleicht zu wünschen, er fiele ganz aus – aber käm' er morgen, so wird es nicht heißen: »Warst du ein guter unierter oder nicht unierter Grieche, Katholik, Protestant, Jude, Türke oder Fetischanbeter?« Sondern die Frage wird lauten: »Warst du ein guter Mensch?« Und nur der Unglaube, der mit Unthat Hand in Hand gegangen, hat zu bangen. Daß aber die Ahnung, die Frage werde so und nicht anders lauten, die Herzen der Menschen durchzittert, zeigt das zu allen Zeiten nachweisbare, in unsern Tagen aber allgemein rege gewordene Streben nach Humanität; »Menschlichkeit« schreibe ich zu deutsch, denn so gut auch die Sache ist, das Wort »Menschenliebe« ist mir doch noch zu gut dafür, die liegt wohl des Weges, aber eine Strecke weiter. Nun dieses Streben nach Menschlichkeit braucht heutzutage nicht erst an einzelnen vorgeschrittenen Exemplaren unseres Geschlechtes nachgewiesen zu werden, es hat sich verallgemeinert, es zwingt selbst den Widerwilligen in einem oder dem andern Stücke zur Nachgiebigkeit und dringt durch den wetterfesten Lack von Konfession, Nationalität und Parteianschauung. (Letztere ist freilich oft nur Wasserfarbe.)
In diesem Sinne hat der Kalender-Geschichtenschreiber sein Absehen auf Welt und Menschen, wenn er sich gleich Land und Leuten anbequemt, und darum wird auch alles, was er aufgreift, um davon belehrsam zu erzählen, jedem Leser mehr oder minder nahe gehen, und wenn er noch obendrein seine Meinung so einzukleiden versteht, daß sie ehrlichen Leuten zu Kopf und Herzen spricht, dann wird er seine »Kalender-Geschichte« haben, die vorhält, die man gerne auch des öftern liest, weil sie, über das letzte Wort hinaus, Gedanken anregt oder im Gemüte nachklingt.
Vorliegendes Büchlein enthält eine Anzahl Geschichten, aus verschiedenen Jahrgängen verschiedener Kalender gesammelt; da durch die jedesmalige Rücksichtnahme auf den Leserkreis derselben bei Wahl und Behandlung der Stoffe die einzelnen Arbeiten verschiedenartige Färbung erhielten, so daß sie sich jetzt als Ganzes, nicht wie aus einem Gusse darstellen, so ließ ich mich die Mühe nicht verdrießen, durch diese Einleitung wenigstens darzuthun, daß sie einer Gattung angehören und was es mit dieser für eine Bewandtnis habe. Ich verwahre mich aber gegen den Verdacht, daß ich bei den Färbungen selbst Farbe gewechselt hätte, daß ich irgend welche etwa als Schutz- oder Nutzfarbe angenommen, um mich den Blicken meiner Feinde zu entziehen, oder Harmlose anzulocken und zu verderben, welches Verhalten von zeitgenössischen Gelehrten mehreren niederen Tiergattungen zugeschrieben wird, schon im Hinblick auf diesen Umstand möchte ich es mir doch höchlich verbeten haben, in die Kategorie dieser Farbkünstler gezählt zu werden. Auch habe ich weder Lock- noch Appetitfarbe angenommen, um Schwirbler zu fangen, und bei Gefräßigen auf deren Verdauung zu spekulieren, wie einige Pflanzen thun, – darunter Fliegenfalle und Vogelbeerstrauch, – und durch solche ebenso fein ausgeklügelte, als unschöne Handlungsweise gegen die bisher als unschuldig verschrieene Pflanzenwelt ein leider nicht ganz unberechtigtes Mißtrauen erwecken. Ich habe nur Farbe auf anderes übertragen und auch das nur, wo es mit meinem Denken und Fühlen verträglich war, Helläugige werden ohnedies, trotz der Buntheit der Farben, merken, daß eine Hand sie aufgetragen.
Indem ich dieses Bändchen der verehrlichen Lesewelt übergebe, zerbreche ich mir durchaus nicht den Kopf darüber, worin ich es etwa dem einen oder dem anderen nicht zu Dank gemacht hätte, denn manchmal bekommt man in dieser Hinsicht Dinge zu hören, auf die man bei allem Scharfsinne nicht verfallen wäre. Ich denk' mir's, daß einige die Erzählungen: »Treff-Aß«, »Zu fromm«, »Der Verschollene« für zu zahm erklären werden und dem entgegen andere, die daran Gefallen finden, wieder anderes für gar sehr gewagt; so, ganz sicher – um weitere Anführungen zu meiden, sei das vornehmste herausgegriffen – »Die Märchen des Steinklopferhanns«, und da hätt' ich zum Schlusse nur noch paar Worte über besagte Zahmheit und beklagtes Wagnis beizufügen.
Will's zwar nicht glauben, aber gesetzt, ein skrupulöser Freigeist machte mir den Vorwurf, daß ich in die Erzählung »Der Verschollene« eine Gespenstergeschichte hineinspielen lasse, so müßt' ich ihm sagen, er habe keine glückliche Hand fürs Lesen und was ihn ärgert, stäk' nicht im Buche, sondern in seinem Kopfe. Ich hab' mir die Gespenstergeschichte lediglich als eine Erfindung des Polizeiagenten, der sie vorträgt, gedacht, will es ein anderer damit anders halten und den Fall der Selbstanzeige, von dem dabei die Rede ist, als Geschehnis hinnehmen und den ganzen Spuk im Gehirn des geisteskranken Verbrechers rumoren lassen, so habe ich auch gegen diese Auffassung nicht das geringste einzuwenden; ich weiß es wohl, diese beiden Lesarten sind nur für jene, die zwischen den Zeilen sich auswissen, und es gibt noch eine dritte, die einfach das Gespenst als handelnde Person gelten läßt. Niemand wird sagen können, daß ich in der genannten Erzählung dem Gespensterglauben das Wort rede, aber es lag auch nicht in meiner Absicht, ihm auf den Leib zu rücken und vorliegenden Falls hielt ich dafür, es sei besser, daß das Gruseln die mich Mißverstehenden nachdenklich mache, als daß ich ihnen und mir durch unzeitigen Spaß oder trockenen Ernst die Stimmung verderbe. Kurz, ich habe hier auf die Gefahr eines Mißverstehens hin mir die Einheitlichkeit der Wirkung gewahrt und hier, wie anderswo, die Gelegenheit, landläufigerweise Aufklärerei zu treiben, verschmäht; wenn ich dagegen manchmal jene ergreife, den Leuten nach dem Sinne zu reden, so lasse ich mir das nicht verübeln, es geschieht, unabträglich meiner Meinung, damit ich den Leuten zeige, daß ich um ihr Denken und Fühlen Bescheid weiß, nicht davon schwatze wie ein Blinder von der Farbe und mir für Fälle, wo ich wider das eine oder das andere meine Karte auswerfe, wenigstens das Vertrauen sichere, daß ich es auf ein ehrlich' Spiel abgesehen habe, – »freilich, mit Finessen, halt ja mit sakrische Finessen!«
Damit genug über den einen