Die Frau Pfarrerin und andere Heimatgeschichten. Jeremias Gotthelf
Vermögen in solchen Händen werden müßte, zum Fluch für seine Kinder, zum Fluch für seine Mitbürger, denen seine Kinder nichts Gutes, sondern lauter Böses zudachten, und mit Geld läßt sich viel verrichten, wie man alle Tage erfährt. Das machte Hans Berner den meisten Kummer, denn, wo kein Herz mehr im Menschen ist, wie kann man ihm wieder eins hineinmachen? Und hier sah er nicht klar, wer schuld daran war; er hatte große Lust, diese Schuld nicht ganz auf seine und seiner Frauen Schultern zu nehmen. Aber dieser teilte er seine Erlebnisse mit, und auch ihr blutete das Herz, denn was schlägt wohl tiefer, als wenn man seine Kinder schweben sieht über dem Abgrunde, in dem Leib und Seele untergeht; erschrecken Eltern doch schon, daß ihnen die Glieder klingen, wenn sie ein Kind an einem Loche sehen, wo es höchstens ein Bein brechen kann. Aber die Frau war auch eine verständige Frau und nicht bloß eine blinde Mutter; sie trat daher nicht auf die Seite der Söhne, sondern war in der Hauptsache mit dem Vater durchaus einig, und so trat sie mit ihrem Rat zu seinem Rat, und was das eine nicht fand, fiel dem andern ein, und wo Mutter und Vater auf diese Weise Rat halten, da steht ihnen auch Gott bei und stärket ihre Augen.
Des andern Morgens um sechs erwartete Hans Berner seine Söhne. Da selben Morgen Rat war, so war er als Ratsherr angezogen, aber an der Wand hing sein Metzgerkittel; schöne Metzgerwaffen und Stöcke zierten die Wände, und in der Ecke stand eine Lade mit Büchern, aber nicht solchen, welche man jetzt hat. Die meisten hatten hölzerne Deckel, waren mit Schweinsleder überzogen, und wer sie in eine Tasche hätte stecken wollen, müßte eine andere Kutte gehabt haben, als man sie heutzutage trägt.
Er mußte lange auf seine Söhne warten; endlich erschienen sie. Sie hatten fast das Aussehen von armen Sündern, wollten trotzig aussehen, aber sie hatten Katzenjammer an Leib und Seele. Da kann der Mensch nicht lange trotzig aussehen, er fällt immer wieder zusammen, und eines jämmerlichen Gesichtes kann er sich nicht erwehren.
Vor ihnen stand Hans Berner groß und mächtig, und wie er so dastand, hätte er männiglich Ehrfurcht eingeflößt; denn man sah ihm an, er war nicht nur ein Metzger, auch nicht bloß so ein Ratsherr, sondern er war ein Mann, und er fühlte es, daß er einer war. Und als der Vater so ernst und groß und schweigend vor ihnen stand, da fühlten es auch die Söhne, daß sie als Buben vor einem Manne stunden, und sie konnten sich des Zitterns fast nicht erwehren. Aber auch der Vater konnte sich der Tränen fast nicht erwehren, als er seine Söhne, die bald Männer sein sollten, noch so wie Buben vor sich sah, aber er bezwang sich, nahm sich zusammen, daß weder Zorn noch Weichheit über ihn kamen, und sprach endlich zu seinen Söhnen: »Was ich schon lange vermutet habe, das sah und hörte ich gestern, jetzt weiß ich, was ihr treibt, und was ihr denkt; wir hätten Ursache, die Mutter und ich, uns die Augen aus dem Kopf zu weinen oder euch zu verstoßen, denn wie gut ihr es mit uns meint, das wisset ihr, und wohin euer Leben führt, das wisset ihr freilich nicht, aber wir wissen es. Ihr werdet ein Leben führen, welches die Menschen verfluchen und Gott verdammt, denn wer Vater und Mutter den Tod wünscht, der hat kein Herz mehr für einen Menschen und keine Furcht vor Gott.
Noch leben wir aber, und das Vermögen ist unser, und Gleiches mit Gleichem könnten wir vergelten und, wie ihr es aus unsern Händen möchtet, dafür sorgen, daß es nicht in eure Hände käme, denn, wie wir es erworben, so können wir es auch aufbrauchen. Das wollen wir einstweilen nicht, aber das wollen wir, daß unser Vermögen in keine solchen Hände kommt, wie die euren gegenwärtig sind, das wollen ich und die Mutter nicht.
Ich bin ein Metzger und habe wenig die Schule besucht, aber manchen Abend habe ich durchgelesen, und ihr habt ein Sündengeld in der Schule gekostet, aber noch kein Buch habe ich in euren Händen gesehen, seit ihr aus der Schule seid, und des Abends seid ihr anderswo als daheim.
Dort in jenem dicken Buche las ich einmal von einem Ritter, der durch seine Tapferkeit reich geworden war und geachtet im ganzen Lande. Der bauete oberhalb dem Städtlein Brugg eine Burg, desgleichen man im ganzen Lande nicht sah, und nannte sie Besserstein, und die Burg war fest, daß sie niemand einzunehmen vermochte. Dieser Ritter hatte aber zwei Söhne, und die freuten sich auch auf ihres Vaters Tod und rieten ab, wie sie dann hoch leben wollten und Land und Nachbarn schädigen und plündern von ihrer sichern Burg aus. Das vernahm der Vater, ließ seine Söhne vor sich kommen und sprach: ›Liebe Söhne, dieses Haus habe ich erbauet meinem Hause zum Trost, dem ganzen Lande zu Nutz. Nun aber ich euer Vorhaben vernommen hab, will ich nicht, daß von diesem Hause aus das Land geschädigt werde, noch daß ich Ursache haben soll des Schadens, welchen das Land empfangen soll.‹ Und er bezwang die beiden Knaben, daß sie mit eigener Hand das Schloß anzünden mußten, daß es verbrannte, also daß niemand darin wohnen mochte. Gestern beim Heimfahren kam mir diese Geschichte in Sinn, und wenn ich auch kein Ritter bin und keine Burg erbauet habe, so erkannte ich doch die Wahrheit in dieser Geschichte, daß, was die Eltern mit dem Segen Gottes erworben haben, sie den Kindern nicht zum Fluche hinterlassen, es eher verderben sollen. Und so sind die Mutter und ich entschlossen, es also zu machen: wir wollen, was wir erworben, brauchen, wie wir wollen; dafür wollen wir sorgen, daß es in euren Händen nicht zum Fluch werde. Aber ehe wir es machen wie jener Ritter, wollen wir es versuchen, mit Gottes Hülfe euch anders zu machen und eure Hände sauber. In die Kur wollen wir euch nehmen; wollt ihr derselben euch unterwerfen, und schlägt sie an, wohl und gut, so sollt ihr wieder unsere lieben Kinder werden, und unser Vertrauen, daß ihr unser Andenken in Ehren halten, nicht schänden werdet, wollen wir wieder auf euch setzen. Wollt ihr euch aber nicht unterziehen, wohlan, so wollen wir uns unser Andenken selbst sichern und zwar also, daß ihr nichts mehr daran machen könnt. Jetzt bedenkts, in drei Tagen will ich Antwort! Aber, aber vergeßt es nicht, wenn Hans Berner einmal die Augen offen hat, so ist er nicht mehr blind, und wer ihn einmal betrogen hat, betrügt ihn nicht wieder, und hat er einmal einen Entschluß gefaßt, so bricht ihn niemand wieder. Ihr sollt es erfahren, daß ich Hans Berner bin und nicht nur in der Metzg, nicht nur auf dem Rathause, sondern auch zwei solchen Buben gegenüber, die nichts können und nichts sind, die im Zustande, wie sie jetzt sind, nicht acht Tage ein ehrlich Brot sich erwerben könnten. Jetzt geht, in drei Tagen will ich Antwort, und, was ich dann sagen werde, das hält Hans Berner, und Hans Berner und seine Frau sind eins!«
So redete Hans Berner mit seinen Söhnen, und wie tausend Zentner lasteten seine Worte auf ihnen, und ächzend und bangend brachten nach drei Tagen die Söhne ein Ja hervor, daß sie sich unterwerfen wollten.
Eine harte Kur wurde angefangen; sie gelang endlich, und mit Freuden werden Hans Berner und seine Frau ihre Augen schließen, denn sie wissen, ihre wacker gewordenen Söhne werden ihr Andenken ehren und im Segen besitzen, was sie im Segen erworben.
Eine alte Geschichte zu neuer Erbauung
Es wechselt die Gestalt des Himmels. Heute scheint aus tiefblauem Grunde die goldene Sonne, auf milder Winde leisem Hauche wiegen sich und schwimmen Ströme ihres freundlichen Lichtes auf die errötende Erde nieder; morgen ist der blaue Grund ein ungeheurer Schoß schwarzer Wolken geworden, Hagel, Schnee und Regenfluten brechen aus den unergründlichen Schlünden, und wilde Stürme peitschen sie nieder auf die trübselige Erde. Wenn am blauen Himmel keine Wolke geht, in der Sonne Gold die bräutliche Erde glänzt, jeder Baumzweig von blühenden Hoffnungen schwellt, und das Auge des Menschen würde wonnetrunken, und seine Seele würde loben den Herrn, weil seine Hand die wüsten Wolken verzehrt, die Erde mit Pracht geschmückt, mit Hoffnungen gesegnet, weil sein Ratschluß endlich Sturm und Wechsel aufgehoben und das Schöne bleibend gemacht unter dem Himmel: so würde der Herr, der die Sonne hinausführt aus der Morgenröte gleich einem Bräutigam aus seinem Gezelte, der verschlossen hält die Winde in ihren Kammern, und dessen Hand die Wolken ballt, dem Wechsel rufen, dem törichten Menschenkinde das Eitle seines Lobes zeigen und ihm predigen im Sturmwinde, daß das Bleibende nicht hienieden zu suchen sei, und daß der, der die Natur geschaffen, die Natur nicht ändere, denn was er getan, ist wohlgetan. Dieses Gesetz des Wechsels erstreckt sich über alles, was unter dem Himmel ist, berührt oder geboren wird aus den Elementen; auch das Menschengeschlecht ist ihm untertan. Wer träumen würde, in langem Frieden, wo die Kräfte im Gleichgewicht liegen, ein Interesse das andere gebunden hat, wie auch zuweilen im Gleichgewicht die Elemente schweben und einander auf immer gebunden zu haben scheinen,