Friedrich Schiller: Philosophische Werke. Friedrich Schiller

Friedrich Schiller: Philosophische Werke - Friedrich Schiller


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des Geschmacks. In dieses Reich tritt auch der König – sobald er von seinem Throne herabsteigt (denn Throne haben ihre Privilegien), und auch der kriechende Höfling begibt sich unter seine heilige Freiheit, sobald er sich zum Menschen aufrichtet. Alsdann aber möchte Ersterm zu rathen sein, mit dem Ueberfluß des Andern seinen Mangel zu ersetzen und ihm so viel an Würde abzugeben, als er selbst an Grazie nöthig hat.

      Da Würde und Anmuth ihre verschiedenen Gebiete haben, worin sie sich äußern, so schließen sie einander in derselben Person, ja in demselben Zustand einer Person nicht aus; vielmehr ist es nur die Anmuth, von der die Würde ihre Beglaubigung, und nur die Würde, von der die Anmuth ihren Werth empfängt.

      Würde allein beweist zwar überall, wo wir sie antreffen, eine gewisse Einschränkung der Begierden und Neigungen. Ob es aber nicht vielmehr Stumpfheit des Empfindungsvermögens (Härte) sei, was wir für Beherrschung halten, und ob es wirklich moralische Selbstthätigkeit und nicht vielmehr Uebergewicht eines andern Affektes, also absichtliche Anspannung sei, was den Ausbruch des gegenwärtigen im Zaume hält, das kann nur die damit verbundene Anmuth außer Zweifel setzen. Die Anmuth nämlich zeugt von einem ruhigen, in sich harmonischen Gemüth und von einem empfindenden Herzen.

      Eben so beweist auch die Anmuth schon für sich allein eine Empfänglichkeit des Gefühlvermögens und eine Uebereinstimmung der Empfindungen. Daß es aber nicht Schlaffheit des Geistes sei, was dem Sinn so viel Freiheit läßt und das Herz jedem Eindruck öffnet, und daß es das Sittliche sei, was die Empfindungen in diese Uebereinstimmung brachte, das kann uns wiederum nur die damit verbundene Würde verbürgen. In der Würde nämlich legitimiert sich das Subjekt als eine selbständige Kraft; und indem der Wille die Licenz der unwillkürlichen Bewegungen bändigt, gibt er zu erkennen, daß er die Freiheit der willkürlichen bloß zuläßt.

      Sind Anmuth und Würde, jene noch durch architektonische Schönheit, diese durch Kraft unterstützt, in derselben Person vereinigt, so ist der Ausdruck der Menschheit in ihr vollendet, und sie steht da, gerechtfertigt in der Geisterwelt und freigesprochen in der Erscheinung. Beide Gesetzgebungen berühren einander hier so nahe, daß ihre Grenzen zusammenfließen. Mit gemildertem Glanze steigt in dem Lächeln des Mundes, in dem sanftbelebten Blick, in der heitern Stirne die Vernunftfreiheit auf, und mit erhabenem Abschied geht die Naturnothwendigkeit in der edeln Majestät des Angesichts unter. Nach diesem Ideal menschlicher Schönheit sind die Antiken gebildet, und man erkennt es in der göttlichen Gestalt einer Niobe, im Belvederischen Apoll, in dem Borghesischen geflügelten Genius und in der Muse des Barberinischen Palastes.

      Wo sich Grazie und Würde vereinigen, da werden wir abwechselnd angezogen und zurückgestoßen; angezogen als Geister, zurückgestoßen als sinnliche Naturen.

      In der Würde nämlich wird uns ein Beispiel der Unterordnung des Sinnlichen unter das Sittliche vorgehalten, welchem nachzuahmen für uns Gesetz, zugleich aber für unser physisches Vermögen übersteigend ist. Der Widerstreit zwischen dem Bedürfniß der Natur und der Forderung des Gesetzes, deren Gültigkeit wir doch eingestehen, spannt die Sinnlichkeit an und erweckt das Gefühl, welches Achtung genannt wird und von der Würde unzertrennlich ist.

      In der Anmuth hingegen, wie in der Schönheit überhaupt, sieht die Vernunft ihre Forderung in der Sinnlichkeit erfüllt, und überraschend tritt ihr eine ihrer Ideen in der Erscheinung entgegen. Diese unerwartete Zusammenstimmung des Zufälligen der Natur mit dem Nothwendigen der Vernunft erweckt ein Gefühl frohen Beifalls ( Wohlgefallen), welches auflösend für den Sinn, für den Geist aber belebend und beschäftigend ist, und eine Anziehung des sinnlichen Objekts muß erfolgen. Diese Anziehung nennen wir Wohlwollen – Liebe; ein Gefühl, das von Anmuth und Schönheit unzertrennlich ist.

      Bei dem Reiz (nicht dem Liebreiz, sondern dem Wollustreiz, stimulus) wird dem Sinn ein sinnlicher Stoff vorgehalten, der ihm Entledigung von einem Bedürfniß, d. i. Lust verspricht. Der Sinn ist also bestrebt, sich mit dem Sinnlichen zu vereinbaren, und Begierde entsteht; ein Gefühl, das anspannend für den Sinn, für den Geist hingegen erschlaffend ist.

      Von der Achtung kann man sagen, sie beugt sich vor ihrem Gegenstande; von der Liebe, sie neigt sich zu dem ihrigen; von der Begierde, sie stürzt auf den ihrigen. Bei der Achtung ist das Objekt die Vernunft und das Subjekt die sinnliche Natur.

      Bei der Liebe ist das Objekt sinnlich, und das Subjekt die moralische Natur. Bei der Begierde sind Objekt und Subjekt sinnlich.

      Die Liebe allein ist also eine freie Empfindung, denn ihre reine Quelle strömt hervor aus dem Sitz der Freiheit, aus unsrer göttlichen Natur. Es ist hier nicht das Kleine und Niedrige, was sich mit dem Großen und Hohen mißt, nicht der Sinn, der an dem Vernunftgesetz schwindelnd hinaufsieht, es ist das absolut Große selbst, was in der Anmuth und Schönheit sich nachgeahmt und in der Sittlichkeit sich befriedigt findet; es ist der Gesetzgeber selbst, der Gott in uns, der mit seinem eigenen Bilde in der Sinnenwelt spielt. Daher ist das Gemüth aufgelöst in der Liebe, da es angespannt ist in der Achtung; denn hier ist nichts, das ihm Schranken setzte, da das absolut Große nichts über sich hat und die Sinnlichkeit, von der hier allein die Einschränkung kommen könnte, in der Anmuth und Schönheit mit den Ideen des Geistes zusammenstimmt. Liebe ist ein Herabsteigen, da die Achtung ein Hinaufklimmen ist. Daher kann der Schlimme nichts lieben, ob er gleich Vieles achten muß; daher kann der Gute wenig achten, was er nicht zugleich mit Liebe umfinge. Der reine Geist kann nur lieben, nicht achten; der Sinn kann nur achten, aber nicht lieben.

      Wenn der schuldbewußte Mensch in ewiger Furcht schwebt, dem Gesetzgeber in ihm selbst, in der Sinnenwelt zu begegnen, und in allem, was groß und schön und trefflich ist, seinen Feind erblickt, so kennt die schöne Seele kein süßeres Glück, als das Heilige in sich außer sich nachgeahmt oder verwirklicht zu sehen und in der Sinnenwelt ihren unsterblichen Freund zu umarmen. Liebe ist zugleich das Großmütigste und das Selbstsüchtigste in der Natur: das erste, denn sie empfängt von ihrem Gegenstande nichts, sondern gibt ihm alles, da der reine Geist nur geben, nicht empfangen kann; das zweite, denn es ist immer nur ihr eigenes Selbst, was sie in ihrem Gegenstande sucht und schätzt.

      Aber eben darum, weil der Liebende von dem Geliebten nur empfängt, was er ihm selber gab, so begegnet es ihm öfters, daß er ihm gibt, was er nicht von ihm empfing. Der äußre Sinn glaubt zu sehen, was nur der innere anschaut; der feurige Wunsch wird zum Glauben, und der eigene Ueberfluß des Liebenden verbirgt die Armuth des Geliebten. Daher ist die Liebe so leicht der Täuschung ausgesetzt, was der Achtung und Begierde selten begegnet. So lange der innere Sinn den äußern exaltiert, so lange dauert auch die selige Bezauberung der platonischen Liebe, der zur Wonne der Unsterblichen nur die Dauer fehlt. Sobald aber der innere Sinn dem äußern seine Anschauungen nicht mehr unterschiebt, so tritt der äußere wieder in seine Rechte und fordert, was ihm zukommt – Stoff. Das Feuer, welches die himmlische Venus entzündete, wird von der irdischen benutzt, und der Naturtrieb rächt seine lange Vernachlässigung nicht selten durch eine desto unumschränktere Herrschaft. Da der Sinn nie getäuscht wird, so macht er diesen Vortheil mit grobem Uebermuth gegen seinen edleren Nebenbuhler geltend und ist kühn genug, zu behaupten, daß er gehalten habe, was die Begeisterung schuldig blieb.

      Die Würde hindert, daß die Liebe nicht zur Begierde wird. Die Anmuth verhütet, daß die Achtung nicht Furcht wird.

      Wahre Schönheit, wahre Anmuth soll niemals Begierde erregen. Wo diese sich einmischt, da muß es entweder dem Gegenstand an Würde, oder dem Betrachter an Sittlichkeit der Empfindungen mangeln.

      Wahre Größe soll niemals Furcht erregen. Wo diese eintritt, da kann man gewiß sein, daß es entweder dem Gegenstand an Geschmack und an Grazie oder dem Betrachter an einem günstigen Zeugniß seines Gewissens fehlt.

      Reiz, Anmuth und Grazie werden zwar gewöhnlich als gleichbedeutend gebraucht; sie sind es aber nicht, oder sollten es doch nicht sein, da der Begriff, den sie ausdrücken, mehrerer Bestimmungen fähig ist, die eine verschiedene Bezeichnung verdienen.

      Es gibt eine belebende und eine beruhigende Grazie. Die erste grenzt an den Sinnenreiz, und das Wohlgefallen an derselben kann, wenn es nicht durch Würde zurückgehalten wird, leicht in Verlangen ausarten. Diese kann Reiz genannt werden. Ein abgespannter Mensch kann sich nicht durch innre Kraft in Bewegung setzen, sondern muß Stoff von außen empfangen und durch leichte Uebungen


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