Festländer und Meere im Wechsel der Zeiten. Wilhelm Bölsche

Festländer und Meere im Wechsel der Zeiten - Wilhelm Bölsche


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kleinen Knaben beibringen als die wahre Karte in der Geographie. Aber schon ist an kleinen Anzeichen merkbar, daß auch hier keine Rast der Dinge sein kann. Das Wandelbild gleitet still unter uns weiter. Mit einer unhemmbaren Elementarkraft, die zuletzt wenn nur die Zeit gegeben ist, tatsächlich großartiger und stärker ist, als der wildeste im Augenblick verheerende Zyklon, – stärker selbst als die mythische Regenwolke, die vierzig Tage und vierzig Nächte regnete; denn diese Wolke hätte nur zerstören können, diese Urkraft aber baut. Sie tieft Land zu Meer und türmt neue Erdteile aus den Wassern, sie wirft das Gebirge in den Ozean, aber sie baut im gleichen Zeitenraum ein neues bis hoch über die Grenze des Himmelsschnees; sie hat das Leben nicht vernichtet oder bloß in armen Spuren mit einer Arche auf dem Bestand erhalten; rastlos hat sie auch ihm immer neue Bedingungen eröffnet, immer neue Möglichkeiten, an denen es sich in eigener Folgerichtigkeit ohne Überstürzung selbst wandeln und steigern konnte. Nicht vom zerstörenden Fluß der Sintflut kündet die Muschel im Stein; sondern vom Fließen der Karte in Urwelt, Gegenwart und Ferne.

      Abb. 1. Wagerecht aufeinander geschichtete Gesteinsmassen in einem Steinbruch bei Gingen a. F. in Württemberg, die in der Juraperiode so abgelagert wurden.

      Nach dem Besinnen über diese seltsamen Muschelfunde war es die größte nächste Erkenntnis, die zur Grundlage hier einer wirklichen Wissenschaft führte: daß man sich allmählich überzeugen mußte, man stände vor Geschehnissen, die zum Teil jedenfalls noch vor allem Menschendasein auf der Erde lägen. Mit dieser Erkenntnis ist recht eigentlich die Geologie im heutigen Sinne begründet worden. In einen Abgrund der Erdgeschichte lernte man sehen, der erst unter, erst vor aller sogenannten menschlichen »Geschichte« gähnte. Anfangs erschien es noch als eine Möglichkeit, wenigstens dort hinunter einen Abglanz der alten Mythe fallen zu lassen: man träumte von plötzlichen wüsten Katastrophen, die den großen Wandel der Land- und Wassergestaltung mindestens damals noch beherrscht haben sollten, wobei allerdings nicht mehr von Strafgerichten die Rede sein konnte, denn der Mensch war ja noch gar nicht dabei. Auch das erwies sich aber nach kurzer Herrschaft als ein geologische Märchen. Auch vor der Zeit des Kulturmenschen hatten keine jähen Sintfluten, keine die ganze Erde von einem Tag zum andern grob verwüstenden Schrecken gelegen. In langsamem Werden war auch dort immer eine der alten Erdperioden in die andere übergegangen, und langsam, im Schritt dieser allgemeinen Entwicklung, hatte sich auch jene Veränderung der Karte vollzogen.

      Als man aber das sicher erfaßt hatte, da war die Bahn frei zu einer bedeutsamsten dritten Erkenntnis, die erst ins Herz der ganzen Sache traf. Dieser geheimnisvolle geschichtliche Wechsel der Land- und Meerverteilung, der so durch die Jahrmillionen ging, war jedenfalls in gewissem Sinne nicht bewirkt worden durch besondere, erst neu zu entdeckende Vorweltskräfte der Natur, sondern es arbeiteten durchweg in ihm Naturvorgänge, die wir noch heute ganz genau auf der Erde beim Werk beobachten können, wenn auch dieses Werk in dem kurzen Maßstab, den wir erst anlegen, nur ganz gemächlich dabei vorschreitet, – vielfach so gemächlich, daß der ungeübte Blick sich leicht darüber täuschen kann, als rücke es überhaupt nicht vor.

      Wehrli A.-G., phot.

      Abb. 2. Das Matterhorn.

      Wenn in wilder Sturmnacht das Meer brüllt und die Wogen Stoß um Stoß gegen die Deiche rennen wie Sturmwidder gegen eine Festung, dann ergreift auch uns ja heute, so fern uns die alten Völkersagen allmählich liegen mögen, etwas Revolutionsangst vor der Natur. Aber die Nacht vergeht, und die Meeresfläche ruht feierlich still in ihrem Blau unter der Sonne: wie stark erscheint der Gegensatz des Naturfriedens in diesem Bilde! Und wir wandern an solchem frischen Morgen landeinwärts, über uns gehen ein paar schöne weiße Wolken, geisterhaft schwebend und zerfließend in ihrem Himmelsazur, mit, neben uns rinnt ein Bächlein leise singend durch den Wiesenplan, uns vertraut in dieser lieben Heimlichkeit seit Kindertagen. Tauperlen glänzen noch in der Frühsonne von den grünen Halmen. Fern lösen sich zarte Nebelschleier, das violette Gebirge wird hell mit ein paar Schneegipfeln. Die Ahnen unseres Volkes sind schon über diese Pässe gezogen, wie heute lag damals bereits der Schnee, wie heute drängten die Wolken herauf gleich Herden weißer Schäfchen und zerstiebten wieder zu wesenlosem Schein, während die uralten Granitriesen in unerschütterlicher Herrlichkeit ragten, ein Bild der Ewigkeit. Friedlich wie ein murmelndes Bächlein scheint über solche Landschaft auch der gewohnte Kreislauf der Natur hinzuziehen. Man denkt an das Bibelwort, das diesem Kreislauf so schön als die ewige Friedensverheißung hinter den Sintflutschrecken setzt: »So lange die Erde steht, soll nicht aufhören Samen und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.«

      Merkwürdig aber, wie der Standpunkt wechseln muß. Der Naturforscher, der sich wenig um die Sintflut sorgt und selbst der wildesten Sturmflut der Küste doch nur eine untergeordnete Rolle in jenem großen Wandel des Geologischen beimißt, weiß, daß eine der nachhaltigsten Revolutionen unserer Erdoberfläche sich fort und fort gerade in diesen scheinbar idyllischen Naturbildern vollzieht. Nur der langsame Gang, mit unsern Menschenmaßen des Alltagslebens gemessen, verschleiert das dämonisch Ungeheure des Ereignisse hier. Könnten wir unsern Zeitblick ändern, Jahrhunderttausende in einem Augenblick sehen: wir würden ein Schauspiel erleben, das sich mit jeder Sintflut messen könnte, ja sie überböte. Von diesem sonnenhellen blauen Meeresspiegel stiege es unsichtbar herauf wie ein geheimnisvoller Zauber gegen dieses ganze Land, zu diesen Bergen. Und von ihm berührt, zerbrächen die Berge, lösten sich auf, rasselten in unermeßlichen Trümmern und Scherben flutend ins Flachland herab. Das Land selber aber höhlte sich allenthalben, sänke ein, zerbröckelte, während es gleichzeitig wie eine teigartige Masse in das Wasser hinausquölle.

      In Wahrheit ist der Zauber, der da waltet, aber auch nichts anderes als Wasser selbst. Es ist das Wasser des Ozeans, das allerdings nicht in einer schwarzen Schauernacht über die Lande aufbäumt, das aber unablässig, Tag um Tag, Jahr um Jahr, Jahrtausend um Jahrtausend unsichtbar in Gestalt wassergetränkter Luft auf diese Feste heraufkriecht und hier in dem allbekannten Kreislauf vom höchsten Fels bis zum tiefsten Tal alles durchfeuchtet, durchrieselt, durchströmt, um endlich wieder heimzukehren in seinen großen Urschoß. Diese »geheime Sintflut« braucht nicht plötzlich zu kommen, sie ist beständig über uns, um uns. Um unsere Ahnen floß sie schon, und sie hat höher, als die Bibel weiß, bereits über allen Bergen der Erde gestanden, lange ehe der Mensch mit seiner Kultur begann. Ihr Kommen kündigt sich nicht mit Finsternis an, sondern recht eigentlich gerade ein Kind der Sonne über dem blauen Meer ist sie ihrem innersten Ursprung nach.

      Wenn die Sonne die Flächen des Ozeans erwärmt, so befreit sich still ein Teil des Wassers dort von seinem gewöhnlichen Zustande und steigt als feiner Dunst, feiner Wasserschwaden in die Lüfte empor. Dort bald verdichtet, fällt ein großer Teil dieser wandernden Wasserstäubchen allerdings wieder in den Mutterschoß zurück. Aber ein anderer Teil breitet sich in diesem freien Spiel weit aus allen Meeresgrenzen hinaus auch über die Lande aus, er verschwebt bis zu den fernsten Bergen, und wenn er dort jetzt auch zur Verdichtung kommt, so erscheint er inmitten der Feste als Feuchte, die scheinbar vom Himmel fällt. Sie sinkt herab als Tau und als Regen, als Hagel, Reif und Schnee. Viel von ihr verdunstet sogleich neu in die Luft hinein. Aber nicht alles kann so bewältigt werden. Regentröpfchen vereinigen sich zu feinsten Wasseräderchen; die verschmelzen zu Bächlein, der Bach wird zum Fluß. Vieles senkt sich zunächst in die Tiefe des Bodens, durchfeuchtet die innere Feste, bricht aber wieder als Quell vor. Immer aber auch auf der oberen Fläche folgt die rieselnde Welle dem Zwang nach der Tiefe, als Tröpfchen wie als Strom zuletzt rinnt sie abwärts, vom Gebirge zum Flachland, bis sie endlich die eigene Heimat, das Meer, wieder erreicht hat, mit dessen Verdunsten und Verdampfen im Sonnenkuß das rastlose Spiel neu beginnt.

      Nun aber diese Kreisbahn, die vom Standpunkt des Wassers doch immer nur wie eine einfache Wanderschaft erscheinen könnte, die die Dinge im Fluß hält, aber zuletzt nichts ändert, ist von der schier unfaßbar einschneidendsten Bedeutung für das Land selbst. Wie jeder Pilger mit dem Tritt seines Fußes Teilchen von dem Boden abschürft, den er überschritten hat; wie man sagt, daß jeder Heimkehrende etwas Staub der Fremde an den Sohlen mitbringt: so gräbt auch jedes wandernde Wassertröpfchen seine Spur ein


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