Auf phantastischen Pfaden. Группа авторов

Auf phantastischen Pfaden - Группа авторов


Скачать книгу
„Angenehm. Klara Plöhn.“

      „Gefällt es Ihnen hier nicht?“ Sicherlich war es recht anmaßend von mir, dies zu fragen. Doch ich wollte gern mehr über ihren Kummer erfahren.

      „Es ist wunderschön hier. All die antiken Stätten. Sehr anregend.“

      „Aber was betrübt Sie dann so?“

      Sie blickte mich verwirrt an. Doch dann flog ein Lächeln über ihr Gesicht wie ein verschreckter Vogel. „Nun“, antwortete sie offen. „Er ist es, der mich betrübt.“

      „Er?“

      „Ja, unten in der Kajüte. Diese Reise war sein Lebenstraum, aus dem er böse zu erwachen scheint.“

      „Hat er sich ein Fieber geholt?“

      „Mag sein, dass man es so nennen könnte.“

      Ich verstand ihre Worte nicht. „Was meinen Sie damit?“

      „Ich befürchte, wir müssen ihn einer Irrenanstalt zuführen.“

      „Wieso? Was ist mit ihm geschehen? Welches Fieber kann das bewirken?“

      „Ich würde es Realität nennen“, antwortete sie. Ihre Augen bekamen einen feuchten Glanz und sie wendete sich von mir ab, blickte hinaus in die Wüste.

      „Realität?“, bohrte ich weiter.

      „Ja. Er kann es nicht verwinden. Hatte er doch solch Reisen schon viele Jahre unternommen. Hatte Abenteuer erlebt und glaubte, das alles zu kennen. Doch nun ...“

      „Doch nun?“

      „Es ist nicht so, wie er erwartet hatte.“ Sie verstummte.

      Als Reporter war ich es gewohnt, Menschen auszufragen.

      Diesmal tat ich mich schwer damit. Sie war eine attraktive Frau von zarter Gestalt, und ihre Traurigkeit betrübte mich.

      „Darf ich Ihren Gatten sprechen?“, kam es über meine Lippen.

      „Es geht nicht um meinen Gatten.“ Ihr Ton war fast ein wenig entrüstet. „Es ist Karl, der Freund meines Mannes, der uns Sorge bereitet.“

      „Oh, verzeihen Sie“, entgegnete ich.

      „Schon gut. Sie können es gern versuchen. Doch ich glaube, er ist im Moment niemandem zugänglich.“

      Sie stieß sich von der Reling ab, als hätte sie einen wichtigen Entschluss gefasst, und führte mich hinab in den Bauch des Schiffs. Zaghaft klopfte sie an einer Kajütentür. Von drinnen war ein unwirsches Gebrüll zu hören.

      „Gehen Sie besser allein hinein. Doch seien Sie auf der Hut. Er ist derzeit nicht er selbst.“

      Ich nickte und sie wendete sich ab. Ich blickte ihrer zarten Gestalt nach, bis sie wieder die Treppe hinaufgestiegen und aus meinem Sichtfeld entschwunden war.

      All meinen Mut zusammennehmend öffnete ich nun die Tür. Drinnen erblickte ich einen Mann, an einem kleinen Tisch sitzend, der über und über mit Büchern bedeckt war. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt und bot ein elendes Bild.

      Als ich eintrat, blickte er auf. „Wer sind Sie?“, herrschte er mich an.

      „Ich hörte, wir seien Landsmänner, und wollte Ihnen meine Aufwartung machen“, erklärte ich.

      „Pshaw!“, kam es verächtlich aus seinem Mund.

      Ich betrachtete ihn interessiert. Sein stellenweise ergrautes Haar war nach hinten gekämmt. Er trug einen Oberlippenbart, der im Augenblick ein wenig ungepflegt erschien, und unter der Unterlippe einen kleinen Kinnbart.

      „Was wollen Sie?“, brüllte er mich an.

      „Entschuldigen Sie mein Eindringen. Doch ich bin Reporter und schreibe einen Bericht über eine Orientreise. Da Sie weit gereist sind, dachte ich, Sie ...“

      Weiter kam ich nicht.

      Er war aufgesprungen und warf mit einem Baedeker nach mir. „Hier haben Sie Ihren Reisebericht!“ Ich konnte mich in letzter Sekunde unter dem anfliegenden Reiseführer ducken und er prallte gegen die Kajütentür.

      Der Mann sank wieder auf dem Stuhl zusammen. „Ich bin dessen nicht würdig. Nicht dieser historischen Schätze.“

      „Warum denken Sie das?“

      „Goethe würde ganz anders sehen, denken und empfinden als ich. Das ist nun leider hier im Leben nicht mehr nachzuholen.“

      Dieser Mann musste wahrlich verwirrt sein, ging es mir durch den Kopf. Was hatte er mit Goethe zu schaffen?

      Als hätte er meine Gedanken erraten, zog er den „Faust“ aus dem Bücherstapel und schleuderte ihn durch die Kajüte. „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“, schrie er in wilder Verzweiflung. „Oder sind es gar drei oder vier?“

      „Haltet ein, werter Herr“, versuchte ich ihn zu beruhigen.

      „Das ist nicht meine Welt“, schluchzte er. „Das ist nicht die Welt von Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar.“

      Sein Elend rührte mich zutiefst, auch wenn ich nicht verstand, wovon er sprach. „Wer ist Kara Ben Nemsi?“, fragte ich.

      „Kara Ben Nemsi ...“, murmelte er, als müsse er sich erst entsinnen. Dann blickte er auf, und seine wasserblauen Augen wirkten plötzlich, als sei er wieder klaren Verstandes.

      „Durch die Wüste ...“, begann er seine Erzählung.

      Durch die Wüste ritt ich mit meinem treuen Gefährten. Seine kleine, dürre Gestalt auf dem großen Pferd mag für manch einen lächerlich gewirkt haben. Doch wer ihn kannte, wusste seinen Scharfsinn, seinen Mut und seine Gewandtheit und Ausdauer zu schätzen. Keinen anderen Gefährten hätte ich mir an meiner Seite gewünscht.

      Nie habe ich jemandem davon erzählt, wie Halef in mein Leben trat. Ich hatte mich auf meiner Reise einer Karawane angeschlossen. Der halbwilde Berberhengst, so klein von Gestalt, dass meine Füße fast auf dem Boden schleiften, trabte gemächlich neben einem für ihn gewaltigen Tuareg-Hedschîn. Damals besaß ich noch nicht Rih, meinen legendären Rappen, den ich erst viel später als Geschenk von Scheich Mohammed Emin erhielt. So musste ich mich noch mit dem kleinen Berber begnügen.

      Die Sonne neigte sich dem Horizont zu. Das Abendrot tünchte die Wüste in die Farbe des Blutes. Die Kamele trotteten in gerader Linie, eins hinter dem anderen. In der Ferne glaubte ich schon eine Oase zu erkennen, die sicherlich das Ziel für die Nacht sein sollte. Doch plötzlich beschrieb der Treck einen Richtungswechsel, den ich mir nicht erklären konnte. Von meinem kleinen Pferd aus hatte ich zudem kaum Überblick über unseren Weg.

      Also sprach ich den Reiter neben mir an: „Was hat das zu bedeuten?“

      „Dieser Pfad ist verdorben“, antwortete der Targi von seinem Hedschîn herunter.

      Ich runzelte die Stirn. Was mochte das bedeuten? Doch anstatt weiterzufragen, drückte ich meine Fersen in die Flanken des Pferdes, und das Tier machte einen erschreckten Satz nach vorn. Dann verfiel es in zügigen Trab.

      „Wo wollt Ihr hin, Effendi?“, rief der Wüstenmann mir nach.

      „Ich möchte mich selbst überzeugen“, erwiderte ich.

      Dies schien ihm nicht zu gefallen, denn er war schnell aufgerückt. Ein Schritt seines Kamels waren fünf Schritte meines Pferdes. Schon ritt er wieder neben mir.

      „Ihr solltet Euch diesem Ort nicht nähern“, warnte er mich. Nun, da wir uns vom Weg der Karawane entfernt hatten und ich über die sandigen Dünen zu blicken vermochte, gewahrte ich einen dunklen Fleck im Boden.

      „Was ist das?“

      „Ein Unglücklicher, ein Todgeweihter.“

      Wir kamen rasch näher und ich musste mit Entsetzen feststellen, dass da ein Kopf aus dem Sand schaute. Er war mit einem großen Turban bedeckt, der ihm wohl das Leben gerettet hatte.


Скачать книгу