LARP: Nur ein Spiel?. Daniel Steinbach
Wir spielen mit Träumen und Ängsten, nicht leichtfertig, nicht so, dass wir zu Spielverderbern werden, sondern so, wie Kinder die Erwachsenenwelt spielen – zugleich ernsthaft und doch genau wissend, dass es so wichtig nicht ist.
Darum kann Live-Rollenspiel auch eine gute Übung in Humor sein, im Lachen über sich selbst: Da stehe ich nachts um 3.00 Uhr mit sechzig erwachsenen Männern, alle trotz der sommerlichen Wärme in schweren Rüstungen aus Leder und Metall, im Regen auf einem rutschigen Feld, um ein paar „Dracheneier“ aus Styropor sicher durch die Nacht zu bringen. Als mir das bewusst wurde, musste ich einfach lachen, und mein Lachen steckte all die anderen nächtlichen Helden an, wir lachten über unsere Verrücktheit und hatten doch Spaß daran.
Ich erlebe oft mindestens so verrückte, aber völlig bierernste Veranstaltungen, politische, kulturelle und auch kirchliche, Vernissagen, Jubiläen, Feierstunden; niemand benimmt sich normal und „echt“, alle spielen Rollen, manchmal mit aufgesetzter Wichtigkeit, manchmal auch sichtlich unwohl, aber niemand lacht. Ein Großteil unseres Lebens ist unreflektiertes Rollenspiel, und Humor ist eine wichtige Möglichkeit, den Rollen nicht zu viel Macht über unsere Seele zu lassen.
Eine letzte mir wichtige Lernchance hat sicher mit meinem spirituellen Interesse zu tun. Ich frage mich, warum Fantasy in allen Formen, als Literatur und Film, als Pen&Paper und Live-Rollenspiel, so viele Menschen fasziniert. Warum spielen wir uns in eine andere ganz irreale Welt? Weil wir, so glaube ich, in der realen, der alltäglich-selbstverständlichen Welt einen Mangel spüren! Einen Mangel an Abenteuer und Geheimnis. Natürlich kann das Live-Rollenspiel diesen Mangel nicht ausgleichen, aber es kann ihn (sicher nicht immer) bewusst machen, in einer immer mehr von Sinn entleerten Konsumwelt, in der alles beliebig und austauschbar scheint.
Abenteuer und Geheimnis sind für mich auch Worte meines Glaubens, in dem es um das Abenteuer Leben geht, in das wir geschickt sind, und um das unendliche Geheimnis Gottes.
KONZEPTION UND GRUNDIDEE DER STAPELFELDER ROLLENSPIELE
In der Jugendbildung, die schon lange erlebnispädagogische Elemente einsetzt, ist Live-Rollenspiel eine nicht ungewöhnliche Methode. Mir ist allerdings nicht bekannt, dass diese Methode auch anderswo in der Erwachsenenbildung eingesetzt wird. Das ist unvertraut und erscheint vielen unseriös.
Auch als ich Bildungsarbeit mit Märchen begonnen habe oder Bogenschießen in Lernprozesse integriert habe, gab es Misstrauen (Kinderei, Gewaltverherrlichung), freilich immer nur bei denen, die nicht an solchen Bildungsangeboten teilgenommen hatten.
Bislang gab es – neben kürzeren Rollenspiel-Elementen in Seminaren mit Familien und Unternehmen – drei Live-Rollenspiel-Wochenenden in der Katholischen Akademie. In jedem ging es um eine Grundfrage des Lebens, aber – zumindest für mich – auch um eine Perspektive des Evangeliums, freilich in aller Offenheit, als Deutungs-Angebot, nicht als Vereinnahmung.
Die Teilnehmenden waren überwiegend „Ersttäter“, mit denen ich in Kursen über meine Erfahrungen mit Live-Rollenspiel gesprochen hatte. Allerdings kamen die Erwachsenen, die die Mehrheit bildeten, häufig aus Berufen, in denen sie mit Menschen arbeiten. Das Alter war sehr gemischt. Beim letzten Wochenende war die jüngste sehr aktiv Mitspielende 10 Jahre alt, die älteste gut 80 und fast blind, und sie hat diese Blindheit wunderbar in ihre Rolle integriert. Ebenfalls ganz unterschiedlich waren der soziale und weltanschauliche Hintergrund – Handwerker und Therapeutinnen, Computer-Fachleute und Pädagogen, Kirchennahe und Kirchenferne, eher traditionell Lebende und Menschen mit hochmodern-mobilen Lebensweisen.
Die Plot-Idee wurde in einer kleinen Gruppe erfahrener Rollenspieler vorbereitet, wichtig war uns dabei, dass es viele „offene Stellen“ gab, an denen die Mitspieler wirklich entscheiden konnten, in welche Richtung sich das Spiel entwickelt.
Im ersten Rollenspiel-Wochenende Das dunkle Labyrinth ging es um eine relativ schlichte Spielidee: eine Verwünschung lag auf der Spielwelt Cal’Annon (Tor des Lichts). Diese konnte nur im Miteinander völlig gegensätzlicher Charaktere und im Ausgleich widerstrebender Interessen aufgehoben werden, wobei, das war so nicht vorplanbar, gerade die scheinbar Kleinen den entscheidenden Beitrag leisteten.
Beim zweiten Con Sternenstaub ging es um die Doppeldeutigkeit eines vom Himmel gefallenen kostbaren Sternes, und damit um die Doppeldeutigkeit all dessen, was uns zufällt, uns geschenkt wird, mit dem wir begabt sind. Es lag an den Mitspielenden, ob aus dem zu Sternenstaub zerfallenen Stern nur Neid und Zwietracht erwachsen würde oder ob die Gemeinschaft den plötzlichen Reichtum und die Aussicht auf magische Macht aushalten würde. Die Spiel-Gemeinschaft entschied sich im Spiel (auch das war offen) dann dafür, den Stern mittels eines Rituals wieder zurückzuschicken.
In der bislang letzten und nach Meinung aller Mitspielenden besten Con Schattenspiel ging es um Schuld und Sühne. Ein Mord wurde begangen, um einen anderen Tod zu rächen. Die Mörderin wurde enttarnt und zum Tode verurteilt, aber dann zeigte sich, dass auch die Anklagenden nicht unschuldig waren, freilich auch, dass die Mörderin mit ihrer Rachsucht den Falschen getroffen und nur den Teufelskreis von Unrecht und Vergeltung beschleunigt und verstärkt hatte. Es gab Untersuchungen und Gerichtsverfahren, doch am Ende wurde aus Rache und Zorn Trauer, und aus Trauer die Einsicht, dass in raschen Verurteilungen die Gefahr von mehr und neuem Unrecht liegt. Das war keineswegs vom Plot zwingend vorgegeben, auch die Möglichkeit weiterer Hinrichtungen war im Spiel; und die Chance und Notwendigkeit von Versöhnungsbereitschaft und Vergebung wurde nicht gelehrt, nicht einmal ausdrücklich reflektiert, und doch von der übergroßen Zahl der Spielenden erlebt.
Spieltechnisch empfanden viele Anfänger es als Hilfe, dass die Spielleitung auch Rollen vorschlug bzw. die gewählten Rollen mit Hintergrund anreicherte.
Rollenspiel ist und bleibt eine Ausnahme im Bildungsangebot unserer Akademie, wie der Erwachsenbildung insgesamt. Andere phantastische (z.B. Märchen) oder erlebnispädagogische (Bogenschießen, Schwertkampf) Elemente sind und bleiben in meiner Arbeit wichtiger und häufiger. Aber die Methode Live-Rollenspiel ist eine originelle Chance, mit Menschen Erfahrungen zu machen, die nicht zwingend, aber einladend offen auch zum Nachdenken über Menschlichkeit und Mut und das Geheimnis des Lebens führen können.
DR. HEINRICH DICKERHOFF hat katholische Theologie und Geschichte studiert und ist Leiter der Katholischen Akademie Stapelfeld bei Cloppenburg. Zudem ist er Autor und Märchenerzähler und war von 2001 bis Mitte 2012 Präsident der Europäischen Märchengesellschaft e.V.
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