Gemeinsame Zeit am Boden. Lukas Umbach

Gemeinsame Zeit am Boden - Lukas Umbach


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nach? Welche leben dein Pferd und du bereits aus und von welchen träumt ihr noch? Überschneiden sich eure Träume dabei? Wo genau liegt die Schnittmenge?

      Nachdem du dir vielleicht die Zeit genommen hast, dir zu den gestellten Fragen einige Gedanken zu machen, möchten wir dir nun unsere Definition von Bodenarbeit vorstellen: Die Bodenarbeit umfasst den Kommunikationsaufbau sowie die Beziehungsentwicklung und -pflege, worauf wir im Verlauf des Buches noch genauer eingehen werden. Diese Aspekte stellen aus unserer Sicht die absolute Basis für alles Weitere dar. Unabhängig davon, wo euer Schwerpunkt zukünftig liegen wird, ob du von einem wilden Fangenspiel auf der Weide träumst, eine ausdrucksvolle und schwierige Lektion aus dem Bereich der klassischen Handarbeit anstrebst oder beides miteinander vereinen möchtest, die Beziehung zu deinem Pferd und das, was ihr voneinander haltet, sollte immer im Vordergrund stehen. Mit anderen Worten: Das „Wie“ ist immer wichtiger als das „Was“. Es ist aus unserer Sicht so viel wichtiger, den gemeinsamen Weg mit Freude und voller Spaß zu gehen, anstatt nur das Ziel zu sehen und die Art des Weges dabei zu vergessen oder ihr keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Der Weg ist also das Ziel.

      Zur Bodenarbeit zählt für uns jegliche Zeit mit dem Pferd, die der Mensch mit den Füßen auf dem Boden verbringt. So schließen wir gemütliche Spaziergänge genauso mit ein wie die gymnastizierende Bodenarbeit, das Longieren, das Fahren am Boden, Arbeit aus verschiedenen Führpositionen, die Ausbildung an der Doppellonge, das Erlernen von Tricks, die Zirzensik, die Freiarbeit und Arbeit mit Materialien wie etwa im Trail oder bei der Horse-Agility.

      Wir möchten uns in diesem Buch dabei auf die Trainingsprinzipien fokussieren, die unseren Pferden und uns selbst in der Praxis wirklich Freude bereiten. Nur diese wollen und können wir mit dir teilen und dir von Herzen nahebringen, da wir auch nur diese authentisch vertreten können. Wie wichtig Authentizität im Zusammensein mit Pferden ist, wirst du zu einem späteren Zeitpunkt noch lesen. Gern darfst du auch für dich überprüfen, welche der oben genannten Facetten der Bodenarbeit sich für dich und dein Pferd authentisch und passend anfühlen.

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       Eine gemeinsame Dynamik kann nur entstehen, wenn Pferd und Mensch Raum bekommen, sich zu entfalten.

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       Pferdefreundliche Arbeit ist immer an der Psyche des jeweiligen Pferdes orientiert.

      Nichtsdestotrotz möchten wir ein paar Zeilen dazu schreiben, woran man aus unserer Sicht pferdefreundliche Arbeit erkennen kann, und daraus ableiten, warum wir einige Trainingsmethoden aus unserem Repertoire ausklammern. Ein wenig mehr dazu findest du im nächsten Kapitel über die verschiedenen Methoden, wo wir das Ganze noch etwas genauer aufschlüsseln werden.

      Pferdefreundliche Arbeit am Boden ist immer an der Psyche des jeweiligen Pferdes und seinen individuellen Neigungen orientiert. Pferde und Mensch kommunizieren dabei im Sinne eines Dialogs, wobei besonderer Wert auf den Austausch untereinander gelegt wird. Das Senden und Empfangen von Botschaften steht im Vordergrund, und dem Pferd wird die Möglichkeit gegeben, sein Innenleben zum Ausdruck zu bringen. Jede Äußerung des Pferdes dient uns Menschen als wertvoller Indikator für unser weiteres Handeln. Viel zu häufig geschieht genau dies in der Praxis nicht, und Pferde bekommen keinen Raum, eine eigene Meinung zu äußern.

      Bodenarbeit sollte nie so ausgelegt sein, dass das Pferd unter massivem körperlichen Druck in eine Nachgiebigkeit gezwungen wird, damit das vom Menschen gewünschte Verhalten erreicht wird. Schöne Bodenarbeit ähnelt einem Tanz, mal einem ruhigen Walzer und mal einem energiegeladenen Tango, nie aber wirkt sie von außen betrachtet wie ein Ringkampf, bei dem das Prinzip von Gewinnen und Verlieren herrscht. Bodenarbeit impliziert für uns also immer die ganzheitliche Würdigung des Pferdes. Es ist für uns selbstverständlich, die körperlichen, mentalen und psychischen Grenzen eines jeden Pferdes zu wahren und dessen Meinung mit einzubeziehen.

      Bevor wir im nächsten Abschnitt über die möglichen Trainingsmethoden sprechen, möchten wir uns in diesem Zusammenhang vorab die unterschiedlichen Zugangswege anschauen und sie beleuchten. Wie bereits angeschnitten, gehören für uns die Ebenen Körper, Geist und Seele als eine Art Gesamtkunstwerk zusammen. Der Zustand jeder einzelnen Ebene beeinflusst die jeweils anderen. Genau wie wir Menschen haben auch Pferde ihre Persönlichkeit, ihre individuellen Bedürfnisse und ihre eigene Geschichte. Ein Teil der Persönlichkeit liegt in der vorgeburtlichen Anlage, ein anderer Teil wurde im Verlauf des Lebens durch die Umwelt geprägt. Dementsprechend weisen die Tiere unterschiedliche Präferenzen auf, wie sie sich gern präsentieren und ihre Zeit mit dem Menschen verbringen. Darin liegt einer der Gründe, warum wir der Auffassung sind, dass ein starres System nicht von einem Pferd-Mensch-Paar auf ein anderes übertragbar ist, eben weil wir es mit lebendigen und einzigartigen Individuen zu tun haben. Diese Individualität wird vor allem durch den wertfreien Vergleich mit anderen Pferden und Menschen sichtbar. Unsere eigenen Pferde haben uns hierzu vieles gelehrt, denn jedes einzelne fragt nach einer anderen Form der Zuwendung und Aufmerksamkeit, jeweils passend zu seiner Individualität.

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       Gavião ist ein extrovertierter, körperlicher Typ, der sich gern präsentiert und dafür bejubelt werden möchte.

      Manche Pferde sind physisch stark und freuen sich über energetische Spiele und andere körperliche Arbeit. Meist sind sie extrovertiert, geschickt und haben einen großen Bewegungsdrang. Körperlicher Kontakt ist für sie in den allermeisten Fällen angenehm. Sie mögen es, gekrault zu werden, und im Spiel mit anderen Pferden rangeln sie gern. Manchmal empfinden Menschen sie als distanzlos, da sie den Körperkontakt mögen und ihr Gegenüber auch dazu auffordern.

      Es gibt aber auch Individuen, die sich lieber geistig betätigen und nicht so viel Aktion in der gemeinsamen Zeit möchten. Diese Pferde sind oft intelligent und bemühen sich besonders, gestellte Aufgaben zu lösen. Viele von ihnen mögen es, wenn Materialien in die Arbeit eingebaut werden und sie auch visuelle Reize bekommen, die ihre grauen Zellen anregen.

      Pferde, deren präferierter Zugangsweg die Seele ist, haben häufig ein schweres eigenes Gepäck zu tragen oder spüren das Befinden ihres Menschen noch sensibler, als Pferde es sowieso tun. Sie fragen nach achtsamer und ruhiger Zusammenarbeit. Meist sind sie eher introvertiert und oftmals anfänglich nicht bereit für einen körperlichen Kontakt. Ihr Energielevel ist sehr unterschiedlich. Manche wirken geerdet bis in sich gekehrt, andere scheinen hochsensibel und explosiv.

      Die letzten Zeilen sollen auf keinen Fall Schubladen öffnen, wovon du dir eine aussuchst, in die dein Pferd am besten passt – das wäre für den Menschen viel zu einfach und würde keinem Pferd gerecht werden. Vielleicht versuchst du zum jetzigen Zeitpunkt bereits, dein eigenes Pferd in eine dieser „Kategorien“ zu stecken. Wir möchten dich an dieser Stelle bremsen und schon einmal darauf aufmerksam machen, dass wir Schubladen lieber auflösen, statt in diesen zu denken. Vielmehr möchten wir dir damit zeigen, auf welch unterschiedliche Art und Weise du einen Zugang zu deinem Pferd finden kannst, damit ihr beide euer volles Potenzial entfalten könnt. Pferde haben immer mehrere Anteile in sich, die sich in unterschiedlichen Situationen mehr oder weniger stark zeigen. Das ist genau wie bei uns Menschen auch. Die Erfahrungen, die wir in unserem Leben machen, prägen uns und somit auch unsere präferierten Zugangswege. Außerdem beeinflussen auch unsere aktuelle Stimmungslage und unser gesundheitliches Wohlbefinden, auf welche Weise wir gerade aktiv werden wollen.

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       Wie wir über uns selbst und den anderen denken, ist unglaublich wichtig für die Farben der gemeinsamen Beziehung.

      Natürlich darfst du trotzdem ein wenig reflektieren, in welcher Ebene du dich selbst und auch dein Pferd am ehesten wiederfinden kannst. Vielleicht ergibt sich hieraus schon eine kleine Erkenntnis für dich, die die Gestaltung eurer Bodenarbeit beeinflussen wird. Überlege dabei gern, wie du die Sätze „Ich bin …“ und „Mein Pferd ist …“ vervollständigen würdest. Du


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