Elfenzeit 8: Lyonesse. Uschi Zietsch
bin dein Gefährte, auf Gedeih und Verderb, ein Teil von dir, wie du ein Teil von mir bist«, murmelte er. »Du hast mich zu Deinesgleichen gemacht, was das Vampirische betrifft.«
»Das erste Mal.«
»Bereust du es?«
»Nein.«
Sie gab die Antwort völlig ruhig und ohne zu zögern. Ihre tiefliegenden Augen waren nun klar wie eine Winternacht.
Robert wagte es. »Ich liebe dich, Anne. Meine Seele, die mir geblieben ist, liebt dich. Meine Erinnerung, die ich bewahren durfte, liebt dich. Wir werden uns gemeinsam ein neues Leben aufbauen, auf den Trümmern unserer Vergangenheit, die nur noch Erinnerungen sind, aber keinen Einfluss mehr haben werden. Wir gehören zusammen, so haben wir es beide entschieden. Wir beide sind unser ganzes Volk, mehr brauchen wir nicht, und wir werden residieren, wo auch immer wir wollen, und tun, was uns beliebt.«
»Machst du mir gerade einen Heiratsantrag?« Ihre Stimme klang verwundert.
»Ganz recht«, sagte er feierlich. »Ich will ein Ritual. Mir ist völlig gleich, welches. Aber ich will, dass jemand offiziell unseren Bund besiegelt.«
Sie musterte ihn kritisch. »Ich glaube, meinen Vater kann ich nicht darum bitten.«
»Dabei wäre Catan ein wirklich hübscher Trauzeuge.«
Dann prusteten sie albern los, es war befreiend.
»Aber was ich wissen will: Warum nur hast du zu diesem romantischen Moment die grässliche Entenhose an?«, rief Anne, nachdem sie wieder Luft geschnappt hatte.
»Rate mal.« Seine Augen glitzerten.
Auch in ihre Augen trat ein lüsterner Glanz, vorbei war die Niedergeschlagenheit. »Also dann, endlich runter damit«, verlangte sie raukehlig.
Plötzlich schoss Robert aus dem Bett. »Himmel, ich habe ja einen Termin im Verlag! Raus mit dir, Weib, wir müssen los!«
»Nicht ohne Dusche«, erwiderte sie, und als sie die Beine über den Bettrand schwang und aufstand konnte er nur dastehen und sie angaffen, und er hätte ihr nie im Leben widersprochen. Sie war atemberaubend, und er würde nie genug von ihr bekommen. Nicht jetzt, nicht später, nicht lebend, nicht tot.
»Zu zweit, dann geht es schneller«, schlug er schelmisch vor.
Sie hob die Brauen, doch er winkte lachend ab. »Wie Brüderlein und Schwesterlein, Ehrenwort, auch ein lüsterner Vampir hat seine Grenzen. Aber … es ist einfach schöner so.«
Dem hatte sie nichts entgegenzuhalten. Robert genoss diese Nähe, das Rauschen des Wassers, der sanfte Schaum des Duschöls auf Annes samtener Haut, den er mit weichen Händen verteilte. Eine ganz besondere Sinnlichkeit, die ihm alle Ängste und Zweifel nahm. Sie beide, zusammen. Für immer, hoffte er.
In Wirklichkeit hatten sie noch genug Zeit, aber Robert wollte das schöne Wetter nutzen und ein wenig mit Anne bummeln, bevor er geschäftlich wurde. Das war das Großartige daran: Er tat das, was er wollte, das Geld floss von allein. Und selbst wenn der Strom von heute auf morgen abriss, hatten sie beide erst mal für eine ganze Weile genug, um wie ein gutsituiertes, vermögendes Paar zu leben. »Und wenn wir pleite sind«, hatte Robert zu Anne gesagt, »ziehen wir einfach in die Anderswelt um.« Das war eine tolle Aussicht, fand er. Sie waren beide zwar nicht sonderlich gut gelitten bei den Elfen, aber galten nicht als Verbannte. Was im Reich des Priesterkönigs geschehen war, hatte keine Auswirkungen auf die Elfenreiche, und Fanmór hinderte sie bestimmt nicht, sich bei ihm niederzulassen, nachdem Anne sich von Bandorchu losgesagt hatte.
In einer Sache allerdings waren sie sich einig: Sie mischten sich in die Ereignisse nicht mehr ein. Sie hatten beide genug beigetragen und beinahe ihr Leben/ihre Existenz verloren. Wie es weiterging, lag nicht mehr in ihrer Hand.
In dicke Mäntel gehüllt schlenderten sie Hand in Hand über den Viktualienmarkt. Auch jetzt waren die Stände geöffnet und boten Schlemmereien für Advent und Weihnachten feil. Die Luft wog schwer von den Düften nach Kräutern, Glühwein, Plätzchen und Tannennadeln. Die Buden waren festlich geschmückt und beleuchtet, und die Marktschreier priesen ihre Waren an. An der Heilig-Geist-Kirche und dem Alten Rathaus vorbei erreichten sie die Fußgängerzone des Marienplatzes, als das 12-Uhr-Glockenspiel soeben erklang. Die meisten, die stehenblieben, dem Spiel zusahen und lauschten, waren Touristen; die anderen eilten geschäftig weiter. Dabei war es ein Moment zur Besinnung, exakt zu dieser Stunde, zum Innehalten für ein paar Herzschläge.
»Weißt du, München ist so schrecklich busy geworden«, sagte Robert. »Ich kenne meinen Geburtsort, als er noch die Weltstadt mit Herz gewesen war. Doch heute ist alles Talmi, und diese künstliche Schickimicki-Gesellschaft ist so hohl und leer, was überhaupt nicht in dieses nach wie vor eher gediegene und bäuerliche Ambiente passt … Da wird Vorbildern nachgeeifert, die nie erreicht werden können, weil München viel zu klein dafür ist. Hier ist nichts schillernd, keine Skyline, überhaupt nichts Bemerkenswertes aus der Moderne. Was schön war und alt, wird übertüncht und verdeckt von proportionslosen Neubauten, die allenfalls klotzig denn schick sind und auch noch die letzte Atmosphäre mit schweren Schatten erdrücken. Die Straßen sind klein und eng, es gibt keinen erkennbaren Stil, alles prallt zusammen und schwimmt irgendwo im Dazwischen, ohne Individualität zu besitzen.« Er schüttelte sich übertrieben. »Ich sag dir was, im Januar werden wir es beide satt haben und uns nach der Insel sehnen, wetten?«
»Schon möglich«, sagte Anne. »Ich denke, bis dahin … bin ich mit allem fertig geworden. Aber wie steht es mit dir?«
»Weiß nicht«, wich er aus und ging schneller. Er wollte, dass Anne gesund wurde, über sich selbst dachte er nicht nach.
»Schaufensterbummel« nannte Robert es, während sie die breite Fußgängerzone entlang Richtung Karlsplatz/Stachus gingen. Und Anne machte ausgiebig davon Gebrauch. Bei einer Boutique konnte sie nicht mehr widerstehen und zog ihn nach innen. Robert ließ sie lachend gewähren, als sie einen teuren Fummel nach dem anderen probierte. Warum auch nicht? Er konnte es sich leisten. Am Ende bat er, die Unmengen an Tüten an seine Adresse zu schicken und gab den Namen der alten Frau im vierten Stock an, die immer zu Hause war. Sie würde vermutlich ziemlich staunen, umso mehr, da Robert ein hübsches Accessoire für sie obenauf packen ließ, mit ihrem Namen und einem Dankeskärtchen versehen.
Er konnte es nicht oft genug wiederholen: Es war toll, reich zu sein. Nicht arbeiten zu müssen. (Zumindest derzeit nicht, aber es war klar, dass der Verleger bald einen zweiten Band von ihm verlangen würde.) Alles lief von selbst.
Sie steuerten nun die U-Bahn vom Stachus an, auf der linken Seite kurz vor dem Karlstor lagen der ehrwürdige Mathäser-Filmpalast und das antagonistische McDonalds, als Annes Kopf plötzlich herumruckte.
»Was ist?«, fragte Robert, augenblicklich alarmiert. Mit seinen um ein Vielfaches geschärften Sinnen konnte er ihre Unruhe und die Ahnung einer Gefahr sofort spüren.
Aber wer sollte sie hier, am helllichten Tag angreifen? Und warum?
Der Getreue, durchzuckte es ihn kurz. Er ist von Island und den Toten zurück …
Undenkbar wäre es nicht. Bandorchu könnte dem Kapuzenmann den Auftrag gegeben haben, die abtrünnige Lan-an-Schie und den zum Vampir gewordenen Grenzgänger zu sich zu holen, um irgendwelche Dienste von ihnen zu erpressen, oder sie hinzurichten, oder eines nach dem anderen. Und da Robert keinesfalls zulassen würde, dass seinetwegen Menschen zu Schaden kämen, wäre auch der Zeitpunkt günstig, ihn ohne große Anstrengung zum Mitkommen »zu überreden«.
Doch da war niemand, der nichtmenschlich wirkte, so angestrengt Robert sich auch umsah. Seine Vampiraugen konnten die meisten Larven durchschauen, hier gab es keine. Alle Leute waren hundertprozentig menschlich.
»Ich weiß nicht genau …« Annes Stimme drang von Ferne an sein Ohr. Sie war stehengeblieben und hielt den Kopf leicht schief, als ob sie lauschte. Ihr Blick war nach innen gerichtet. »Mir ist, als hätte ich etwas gespürt … etwas sehr Altes …«
»Und wo?«
»Das