DIE VERGESSENE KATHEDRALE (Die Ritter des Vatikan 7). Rick Jones

DIE VERGESSENE KATHEDRALE (Die Ritter des Vatikan 7) - Rick Jones


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      »Ich denke, es ist das Beste, wenn du es dir selbst ansiehst.«

      Essex und Auciello erhoben sich daraufhin. Der Generalinspektor folgte ihnen, und auch Kimball schloss sich ihnen an. Sie verließen jetzt den Raum und betraten einen angrenzenden Korridor, der so schmal war, dass sie ihn nur nacheinander durchqueren konnten. An dessen Ende befand sich ein quadratischer Raum, der in eine Gefängniszelle mündete. Vor der Tür hielten zwei Männer der Vatikanpolizei Wache. Nachdem der Generalinspektor auf Italienisch einen Befehl gebrüllt und wild mit der Hand gewedelt hatte, nickte der erste Wachmann, zog eine Karte über ein Lesegerät und tippte anschließend einen Code in ein Zahlenfeld ein, welches die Verriegelung der Zellentür zurückfahren ließ und diese öffnete. Mit einem leisen Flüstern öffnete sich die Tür und schwang einen Spalt breit auf. Der Wachmann packte den Türgriff, zog sie vollends auf und gestattete Kimball damit einen Blick in die Zelle.

      Kaum, dass Kimball die Zelle betreten hatte, erkannte er den Schützen. Er öffnete leicht den Mund zu einem Protest, dann fasste er sich jedoch und trat noch ein paar Schritte in die Zelle hinein. Mit seinen Augen fixierte er unentwegt den Attentäter, der mit gekreuzten Beinen und den Händen auf seinen Knien auf der Matratze saß. Unterschiedliche und widersprüchliche Gedanken schossen Kimball nun durch den Kopf. Er war vollkommen verwirrt und unfassbar wütend, und jegliche Vernunft und Logik schienen ihm abhandengekommen zu sein.

      Der Attentäter blickte mit leeren Augen zu ihm auf und sagte: »Hallo Kimball. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich mich freue, dich zu sehen.«

      Kimball hätte den Mann am liebsten umgebracht.

      Kapitel 5

      Der zweite Attentäter hatte sich derweil in einem Hotel in Rom unweit des Kolosseums versteckt und verfolgte die Nachrichten, die das laufende Fernsehprogramm einfach an sich gerissen hatte. Papst Pius war angeschossen und schwer verwundet worden, aber er lebte noch und befand sich derzeit im Koma – das war zumindest die Spekulation diverser Berichterstatter ausgehend von den Informationen, die über das Krankenhauspersonal nach außen gedrungen waren. Darüber hinaus war allerdings nur wenig bekannt.

      »Das wird den Meistern nicht gefallen«, sagte er auf Deutsch zu sich selbst. »Kein bisschen.«

      Wie auf ein Stichwort hin begann nun sein Satellitentelefon zu klingeln. Nur eine einzige Nummer war darin eingespeichert. »Ja, ehrwürdige Meister«, meldete er sich.

      »Der Papst lebt noch.«

      »Aber nicht mehr lange.«

      »Das können wir nicht wissen. Bonasero Vessucci ist ein sehr starker Mann. Ein Mann der Überzeugungen. Das weiß ich aus erster Hand.«

      »Ja, Meister.«

      »Bring es gefälligst zu Ende.«

      »Ja, ehrwürdiger Meister.«

      Nachdem er aufgelegt hatte, lief der Attentäter zu seinem Schrank, holte einen kleinen Aluminiumkoffer daraus hervor und legte ihn auf das Bett. Darin befanden sich die Einzelteile einer Glock, zusammen mit einem passenden Schalldämpfer, der beinahe so lang wie der Pistolenlauf selbst war. Nachdem er die Teile zusammengesetzt, das Magazin eingelegt und die Waffe durchgeladen hatte, entfernte er das Schaumstoffbett des Koffers, um das freizulegen, was sich darunter verbarg.

      Ungerührt betrachtete der Attentäter die Weste. Jegliche Empfindungen oder Gedanken waren nun verstummt. Er reagierte nur noch auf die Wünsche, die man ihm eingepflanzt hatte und die nicht seine eigenen waren. Leben und Tod waren für ihn nicht mehr von Bedeutung, und deshalb empfand er auch keine Furcht.

      Er nahm die Weste heraus, untersuchte sie sorgfältig und tastete über die dünnen Pakete Semtex, die daran befestigt waren. Die Drähte waren allerdings noch nicht mit der Zündvorrichtung verbunden. Nachdem er sich die Weste angelegt hatte, kümmerte er sich um die Verkabelung. Als ein rotes Warnlicht die korrekte Verbindung signalisierte, zog er den Draht zuerst zu dem Druckknopf-Auslöser an seinem Arm, dann bis hinunter zu seiner Hand und klebte ihn schließlich mit Klebeband daran fest. Um den Druckknopf betätigen zu können, musste man erst eine Abdeckung zurückklappen. Zu guter Letzt zog er sich ein Hemd und eine Anzugjacke über die Weste und ließ sein Schulterholster unter den Falten des Jacketts verschwinden.

      Danach betrachtete sich der Attentäter aufmerksam im Spiegel. Sein Gesicht war jung und schlank, mit hauchdünnen Linien an den Stellen, wo sich einmal Krähenfüße bilden würden. Sein Haar war rabenschwarz und seine Augen waren ebenso dunkel. In ihnen schien nichts mehr zu existieren – kein freier Wille, kein Gewissen und kein Selbsterhaltungstrieb, der für seine Träume oder Beweggründe verantwortlich war … nichts außer einem Vakuum, angefüllt mit Stimmen, die ihm fremdartig und zugleich wohlvertraut erschienen.

      Nachdem er seine Anzugjacke glatt gestrichen und auf verräterische Beulen untersucht hatte, die misstrauische Blicke hätten auslösen können, begannen ihm die Stimmen zuzuraunen, dass er den Papst im Gemelli-Krankenhaus mit einer Kugel in die Brust hinrichten musste.

      Er spürte das Gewicht der Weste und des Semtex darin und war sich sicher, dass er nicht versagen würde.

      Die ehrwürdigen Meister würden äußerst zufrieden mit ihm sein.

      ***

      Nachdem der Meister sein Telefonat mit dem Attentäter beendet hatte, schritt er durch dunkle Korridore unterhalb des Dschungels, die ihren Ursprung in der Sakristei der alten Kathedrale hatten. Hier unten war es angenehm kühl, im Gegensatz zu der beinahe sirupartigen Schwüle an der Oberfläche, wo die Luftfeuchtigkeit nicht selten über achtzig Prozent betrug. Uralte Fackeln säumten die Wände mit ihren knisternden Flammen, die ein seltsames und gespenstisches Licht erzeugten. Jeder Schritt, oder vielmehr jedes Schlurfen über den steinernen Boden, hallte unheimlich von ihnen wider.

      Im wahren Leben lautete sein Name Gunter Wilhelm, er war ein ehemaliges Mitglied der Hitlerjugend. Als Teil der strikten Trennung zwischen der Hitlerjugend und dem Jungvolk – die Knaben des Jungvolks waren zwischen zehn und vierzehn Jahren alt, die Hitlerjugend hingegen zwischen vierzehn und achtzehn Jahren – hatte Wilhelm mit sechzehn, als Deutschland den Krieg gegen die Angriffe der Sowjets und der Alliierten zu verlieren begann und beide Organisationen herangezogen wurden, als Truppenführer gedient. Damals hatte er sogar Jungen im Alter von zehn Jahren befehligt, die die Flakgeschütze in der Nähe von Berlin hatten bedienen sollen. Aber die Situation hatte sich immer mehr verschlechtert, und die Jungs waren schließlich nach ganz Deutschland abkommandiert worden, um Suchscheinwerfer zu bedienen, bei der Kommunikation zu assistieren oder auf ihren Fahrrädern Kurierpost zu überbringen. Wer im kampffähigeren Alter war, wurde stattdessen als Soldat an die russische Front geschickt, um sich dort der Roten Armee entgegenzustellen. Auf diese Weise war ihre Zeit bei der Hitlerjugend oft schon mit sechzehn Jahren beendet gewesen. Gunter war daraufhin wie so viele Jungen in seinem Alter gezwungen gewesen, mit Erinnerungen an eine Jugend aufzuwachsen, die ausschließlich aus Tod, Sterben und Blut bestand.

      Als der Kampf immer hoffnungsloser wurde und die Schlachten die Jungen zu Heimatlosen mit leeren Augen und schmutzigen Gesichtern verkommen ließ, bewahrte sich Gunter Wilhelm dennoch die Ideologien des Dritten Reiches – Versatzstücke aus Antisemitismus und Eugenik, und dem Versuch, die Qualität des Erbgutes zu erhöhen. Außerdem glaubte er fest an die Ideologie einer Herrschaft, eines Gesetzes und einer Religion … eine kollektiv vereinte Welt, in der es keine eigenen Identitäten oder abweichende Ideen gab, da nur der einen Herrschaft, dem einen Gesetz und dem einen Glauben blind Folge geleistet werden sollte. Aus dieser Überzeugung würde eine alles umfassende Harmonie erwachsen, da alles und jeder eins war. Es würde keine Unterschiede und keine Intoleranz mehr geben, da alle die gleichen Ansichten und Werte teilten und nur die Stärksten in dieser Welt überlebten. Wer hingegen keinen Wert besaß oder geistig oder körperlich eingeschränkt war, würde im Namen der Eugenik einen gnädigen Tod erfahren, um so eine Welt zu schaffen, die reine Perfektion darstellte.

      Für jüdischen, katholischen oder protestantischen Glauben war in Wilhelms Welt kein Raum, genauso wenig für Moslems oder jene, denen der islamische Glaube heilig


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