Malmedy - Das Recht des Siegers. Will Berthold

Malmedy - Das Recht des Siegers - Will Berthold


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      „Hallo!“ rief der General schon von weitem, während er langsam die zu lang geratenen Beine von der Schreibtischplatte nahm. „Wie geht’s, Colonel?“ Er lachte. „Haben Sie nun endlich Ihre verdammte Sprechkarte gekriegt?“

      „Jawohl, Sir.“

      „Na also … Kommen Sie, mein Lieber, wir gehen in den Club. Ich habe einen französischen Koch engagiert. Solche Steaks haben Sie noch nie gegessen.“

      „Jawohl, Sir.“

      Der General ließ sich an einem reservierten Tisch nieder und las umständlich und genußfroh die Speisekarte. Er bestellte eine Flasche Mosel, blinzelte dem Colonel zu.

      „Das Beste an Deutschland ist der Mosel. Ich bin eigens hingefahren und habe 50 Flaschen eingekauft. Sie werden staunen, Oberst.“

      „Gewiß, Sir.“

      „Sind Sie nicht so dienstlich, Evans … Nehmen Sie Schildkrötensuppe voraus?“

      „Gerne.“

      „Wie geht’s denn in München?“

      „Danke.“

      „Und wann gehen Sie in die Staaten zurück?“

      „Ich weiß es noch nicht, Sir.“

      „Na, mir pressiert es auch nicht mehr … Bleibt’s beim Steak?“

      „Die Sache ist die, Sir“, begann Evans, „ich komme bei meinen Ermittlungen nicht weiter.“

      „Nehmen Sie die Pommes frites. Ausgezeichnet. Und jetzt will ich nichts von Ihrem verdammten Prozeß hören. Mein Arzt hat mir verboten, beim Essen über Probleme zu reden.“

      „Entschuldigung, Sir.“

      Der General aß mit schweigendem Behagen. Er war für zwei Dinge berühmt: für verwegene Panzerangriffe und verfeinerten Geschmack. Das erste brachte ihm drei Reihen Orden, das zweite zehn Pfund Übergewicht, die er mit Golfspiel bekämpfte.

      „Wie geht es Ihrer Familie?“ fragte er beim Nachtisch.

      „Danke, Sir … Darf ich jetzt zur Sache kommen?“

      „Erst noch die Zigarre. Oder ziehen Sie Zigaretten vor?“

      Evans nahm eine Zigarre und sah auf die Uhr. Der General bemerkte es verdrossen.

      „Na, dann schießen Sie los mit Ihrem Ärger.“

      „Ich habe die Verteidigung im Malmedy-Case übernommen …“

      „Das weiß ich“, knurrte Simson.

      „Und was ich übernehme, übernehme ich ganz.“

      „Weiß ich auch.“

      „Ich muß nach Malmedy fahren, Sir. Ich muß mit den Zeugen sprechen. Ich muß mir ein klares Bild von der Geschichte machen können.“

      „Na, dann fahren Sie doch.“

      „Ich brauche Autos, Rechercheure … Ich brauche Geld.“

      Jetzt wurde der General ärgerlich.

      „Ein Auto haben Sie, recherchieren können Sie selbst, Oberst, wenn Sie schon überall Ihre Nase ’reinstecken müssen. Geld? … Sind Sie verrückt geworden? Meinen Sie, die Armee gibt noch Geld dafür aus, daß Sie diese verdammten Kriegsverbrecher vom Strick abschneiden? … Was ist mit Ihnen los, Evans, wissen Sie denn nicht, was bei Malmedy passiert ist? Ich warne Sie! Sie haben sich in den Fall verbissen!“ Der General stand auf. „Aber glauben Sie nicht, daß die Armee auch noch Geld für Ihre Marotten ausgibt!“

      „Sir“, entgegnete Evans stockend, „das ist eine Beschneidung der Verteidigung.“

      „Von mir aus ist es, was es will! … Ich mag Sie gern, Evans. Ich halte viel von Ihnen …“ Er lächelte belustigt. „Wenn ich mal in eine dumme Sache gerate, Sie werden mein Verteidiger, verlassen Sie sich darauf.“ Der Ton des Generals schlug plötzlich um. Seine Stimme wurde schneidend und barsch: „Doch eines merken Sie sich ein für alle Mal: die Armee hat kein Geld für die Verteidigung ihrer eigenen Mörder! Das ist mein letztes Wort, Colonel.“

      Schon als sich der Oberst beim General frostig verabschiedete, wußte er, was er zu tun hatte. In seiner gradlinigen Art blieb ihm keine andere Wahl. Er fuhr von Heidelberg direkt nach Malmedy. Er bezahlte es selbst. Nicht nur das. Jahrelang wird er weiterkämpfen, wird fast sein gesamtes Privatvermögen opfern, wird mehr als hunderttausend Dollar ausgeben, damit unschuldige Männer gerettet werden, die einer verbrecherischen Organisation angehörten, die die Feinde seines Landes waren. Er wird es nicht einmal für sie tun … auch wenn es ihnen zugute kommt. Er wird es tun, damit auf Amerika kein Makel fällt. Er will beweisen, daß die Cornedbeefs die schlechtesten Amerikaner sind, eine winzige Minderheit krimineller Schläger, die es überall auf der Welt, in allen Ländern, in allen Armeen, unter allen Flaggen gibt.

      So kam der Oberst zum erstenmal nach Malmedy, sprach mit Zeugen, sondierte scharf und unerbittlich, ließ die schrecklichen Erlebnisse, den berechtigten Haß der Bewohner über sich ergehen, stand mit zusammengebissenen Zähnen an der Wegkreuzung, schluckte das Unfaßbare, das Grauenhafte, das Ungeheuerliche noch einmal. Er widerlegte falsche Aussagen, zerpflückte fahrlässige, nahm die Zeugen in die Zange, wieder und wieder, ließ ihren Unwillen über sich ergehen, wurde selbst unwillig und begann wieder von neuem, von vorne. Er entwirrte mit unendlicher Geduld das Netz von Lüge, Verrat, Verbrechen und Zufall. Es lief ihm heiß den Rücken hinab, als er abermals erfuhr, was er schon wußte. Die Hilferufe der niedergemetzelten Soldaten gellten in seinen Ohren. Ihre toten Augen sahen ihn an.

      Und er wollte in dieser Minute alles liegen- und stehenlassen, zurückfahren, die Verteidigung abgeben. Riesengroß wurde die Versuchung … niemand konnte von ihm verlangen, daß er, der Amerikaner, der Offizier, in dem Dunkel dieser abscheulichen Verbrechen herumstocherte.

      Evans stieß auf einen belgischen Waldarbeiter, einen Mann mit gutmütigem Gesicht, das noch jetzt jede Farbe verlor, wenn er wiedergab, was er mit eigenen Augen gesehen hatte.

      „Ich spreche deutsch“, sagte er zum Oberst, „ich verstand jedes Wort. Ich hatte mich in ein Dickicht verkrochen, neben dem es passierte. Ein SS-Mann in Unteroffiziersuniform hatte einen amerikanischen Soldaten eingeholt. Es war schrecklich.“

      Der Oberst nickte.

      „Der Mann zerrte den Amerikaner auf die Beine, zog die Pistole und lachte. ,Einen Schuß für Mutti‘, sagte er und schoß in das linke Bein.

      Der GI brach zusammen.

      ,Und der für Vati‘, fuhr der Mörder, noch immer lächelnd fort, zielte und durchschoß das rechte Bein.

      Der Soldat hatte große, flehende Augen und schrie, schrie, daß ich mir die Ohren zuhielt.

      ,Und eine Braut hast du sicher auch‘, stieß der Mörder hervor, ,und das ist für sie.‘ Wieder drückte er ab. Wieder knallte ein Schuß.

      Ich wollte hinstürzen. Ich war blind vor Haß und Zorn. Aber ich konnte nichts machen. Ich erlebte es aus nächster Nähe, ich sah, wie der Mörder auf den Unterleib zielte. Ich sah sein Gesicht.“ Der Waldarbeiter machte eine Pause. „Ich sehe es immer noch. Wochenlang träumte ich davon. Und selbst jetzt noch erscheint es mir mitunter.“

      „Wie sah der Mörder aus. Um Gottes willen, sprechen Sie doch! Wie sah die Bestie aus“, unterbrach Oberst Evans den Arbeiter.

      Hastig und mit zitternden Händen warf er seine Fotos auf den Tisch. Der Zeuge nahm Bild für Bild in die Hand, starrte sie an, schüttelte jedes Mal den Kopf.

      „Er ist nicht dabei“, antwortete er dann, „ich habe die Fratze nicht vergessen. Ich erkenne sie unter tausend Gesichtern wieder.“ Er zuckte mit den Schultern, „aber hier ist er nicht darunter. Leider.“

      Der Oberst zweifelte an Gott, an der Welt, am Fortschritt, an der Menschheit. Er zweifelte an allen Idealen, denen er bisher gelebt hatte, als er von Malmedy zurückfuhr.


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