Malmedy - Das Recht des Siegers. Will Berthold

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      „Jawohl, Herr … äh … Hauptscharführer.“

      „Das wirst du noch lernen.“

      Eckstadt nahm seinen Laufzettel in Empfang.

      „Weißt du eigentlich, was hier los ist?“ fragte der Spieß gutgelaunt.

      „Nein. Hauptscharführer.“

      „Aber ich.“ Der Bulle mit dem Kindergesicht grinste. Hintergründig. Sonst sagte er nichts.

      Zum ersten Mal spürte Werner Eckstadt den Druck in der Magengegend, als er auf der Bekleidungskammer die neuen Klamotten empfing. SS-Klamotten. Die Feldmütze paßte er sich vor einem Spiegel auf. Sie hatte vorne einen Totenkopf. Eckstadt und der Totenkopf musterten sich gegenseitig erschrocken.

      In der Stube saßen schon sieben Mann. Sogar drei Unterscharführer unter ihnen.

      „Heil Hitler!“ sagte Eckstadt. Er wollte nichts falsch machen. Aber es nützte nichts. Die Gespräche verstummten. Hitlers politische Soldaten fühlten instinktiv den Außenseiter: einen, der dem Führer keinen Blankoscheck ausgestellt hatte; einen, der in einer anderen Welt gelebt hatte als sie; einen, der nicht freiwillig, sondern gezwungen zu ihnen gestoßen war; einen, dem man mißtrauen mußte.

      Sie ließen es ihn von der ersten Sekunde an fühlen. Sie würden es ihn so lange spüren lassen, bis sie ihre eigene, erbärmliche, beschissene Angst vom hohen Roß ihres Elitebewußtseins herunterfegte.

      Nur ein netter Junge mit einem blonden Kopf und einem offenen Gesicht half Eckstadt beim Spindeinräumen.

      „Ich heiße Willi Seifried“, sagte er. Etwas leiser fügte er hinzu: „Weißt du, was die hier mit uns vorhaben?“

      „Du bist wohl auch nicht freiwillig?“

      „Bei der SS schon“, erwiderte der Junge, „nur hier nicht … Meine Division hat mich abgestellt. Sie suchten Leute, die fließend Englisch sprechen.“

      „Ach“, entgegnete Eckstadt. Wieder spürte er das unbewußte Grauen. Er dachte verzweifelt nach. Aber er kam nicht dahinter. Noch nicht.

      Aber jeder Tag des Dienstes, der am anderen Morgen begann, brachte ihn näher an die fürchterliche Wahrheit. Jeder Tag bestätigte den entsetzlichen Verdacht, der ihm gekommen war.

      Sie waren insgesamt 80 Mann. Diese 80 wurden von einem Obersturmbannführer geschliffen. Als erstes lernten sie alle Tricks, die man braucht, um sich in einem vom Feind besetzten Gebiet über Wasser zu halten. Nachmittags lernten sie Englisch. Genauer gesagt: sie lernten den amerikanischen Akzent. Sie büffelten amerikanische Rangabzeichen vor großen Tafeln. Plötzlich waren auch amerikanische Waffen da, an denen sie ausgebildet wurden. Nach zwei Wochen spulte der Dienstplan ganz auf englisch um. Es wurde ihnen verboten, deutsch zu sprechen. Und der Obersturmbannführer schiß sie auf englisch an, wenn ihnen manchmal noch ein deutsches Wort herausrutschte.

      Es hieß nicht mehr „Scheiße“, sondern „shit“.

      Nach drei Wochen trat das Ereignis ein, das für Werner Eckstadt den letzten Zweifel und auch die letzte Hoffnung beseitigte, noch einmal aus dieser Mausefalle herauszukommen. Ein Lastauto schleppte olivgrüne, amerikanische Uniformen heran.

      Sie standen vor der Kammer und nahmen sie in Empfang. Von jetzt ab hatte Werner Eckstadt Angst. Eiskalte Angst. Er sollte sie nicht mehr loswerden. Auf Jahre hinaus nicht mehr.

      Die anderen faßten die Verkleidung zunächst als einen gelungenen Spaß auf. Natürlich waren genügend Latrinenparolen im Umlauf, aber die Gerüchte kamen an die einfache, brutale Wahrheit nicht heran. In ihrem stupiden Glauben, daß es „der Führer schon richtig machen wird“, war die Erkenntnis nicht miteingeschlossen, daß sie Hitler zu einem Verbrechen mißbrauchen wird. Zu einem Verbrechen ohne Beispiel.

      „Wenn wir hiermit am Wochenende ausgehen“, sagte Uscha Roettger, auf die Ami-Uniform deutend, „wird die Heeresstreife dumm aus der Wäsche gucken.“

      Die verzweifelte Wut schoß in Werner Eckstadt so schnell hoch, daß er seinen Mund nicht länger halten konnte. Er sah in die feixenden Gesichter seiner Stubenkameraden, und er betonte jede Silbe laut und überdeutlich:

      „Die Heeresstreife wird Augen machen? … Ihr Armleuchter. Was meint ihr, was die Amis machen, wenn sie euch schnappen? Stielaugen werdet ihr kriegen, wenn sie euch den Strick um den Hals legen und am nächstbesten Ast hochziehen.“

      Das Feixen in den Gesichtern erstarb plötzlich.

      Eckstadt sprach weiter:

      „Das dürfen sie nämlich. Da brauchen sie euch gar nicht um Erlaubnis zu bitten. Stellt euch doch nicht so dämlich an. Ihr wißt doch selbst, wie man mit Spionen und Saboteuren umgeht. Und die tragen bloß Zivil. Bei uns ist die Sache noch um einen Zacken schweinischer. Wir haben ihre Uniform an. Der Beschiß ist größer. Die Gemeinheit auch.“

      „Halten Sie Ihre Schnauze“, brüllte ihn Unterscharführer Roettger an.

      „Mensch, wie kannst du so etwas sagen?“ fragte Seifried … „Der Kerl will Meldung machen.“

      „Weil’s die Wahrheit ist“, antwortete Werner.

      Aus der Meldung wurde nichts. Am anderen Morgen bestätigte ein hoher SS-Führer jedes Wort von Eckstadts Behauptung. Der Standartenführer war mit dem Auftrag aus Berlin gekommen, den 80 Mann reinen Wein einzuschenken. Er entledigte sich dieser Aufgabe in dem von der nationalsozialistischen Propaganda geübten und gepflegten Stil. In einer Mischung aus Dramatik und Schnulze, aus Heldenbeschwörung und Gangster-Rotwelsch. Er sprach mit verantwortungsbewußten Worten von einer verantwortungslosen Sache.

      Wenigstens machte er es kurz. Nach einer knappen Viertelstunde wußten die achtzig Mann, daß sie als verlorener Haufe bei der nächsten deutschen Offensive im Westen aus der Luft hinter den feindlichen Linien abgesetzt werden. In der Uniform des Feindes sollten sie Verwirrung stiften und den Nachschub sabotieren.

      „Der Führer verlangt viel von euch“, sagte der Standartenführer zum Schluß, „aber denkt stets an ihn. Denn er gibt euch alles.“

      „Scheiße“, murmelte Eckstadt. Sämtliche Stubennazis hörten es, verloren aber kein Wort darüber, vielleicht, weil sie dasselbe dachten.

      Bei einer Unstimmigkeit über eine belanglose Frage kam es zur ersten Revolte. Scharführer Hepke drehte durch, sprang auf und brüllte:

      „Macht doch gleich euren Laden zu! Verheizt uns doch! Wozu noch Umstände? Sagt doch gleich, daß ihr uns zum Verrecken ausgesucht habt!“

      Der Obersturmbannführer statuierte das Exempel auf der Stelle. Er degradierte Hepke zum SS-Mann. Von jetzt ab meuterten die anderen nur dann noch, wenn keine Vorgesetzten in der Nähe waren.

      Ausgang und Urlaub wurden gesperrt. Die Post war offen abzuliefern. Auf dem Dienstplan stand ein neuer Programmpunkt: Fallschirmspringen. An einem Holzgerüst wurde geübt. Einer brach sich ein Bein. Jeder wünschte sich das. Aber nur einer schaffte es.

      Und Werner Eckstadt war jetzt mit der Angst nicht mehr allein. Er merkte es an den einfachsten Dingen. Auf einmal wurden seine Stubengenossen Kameraden. Die Angst trieb sie zu Haufen. Sie wurde zu einer ansteckenden Krankheit. Zwei Offizieren war es gelungen, sich krankheitshalber ablösen zu lassen.

      Rottenführer Kerber hatte weniger Glück. Er meldete sich mit Fieber im Revier.

      „Simulant“, brüllte ihn ein Arzt an.

      Eine Woche lang blieb Kerber ganz still. Dann hatte er einen gräßlichen Unfall. Er war mit einer Kanne kochend heißen Wassers zum Rasieren in den Waschraum gegangen. Wie es passierte, sah niemand. Jedenfalls war Kerbers linker Arm hinterher von oben bis unten verbrüht. Es sah schrecklich aus. Und der Rottenführer hatte vor Schmerz einen fast irren Gesichtsausdruck. Aber seine Augen leuchteten glücklich.

      Ende November brachte ein Kurier die Karten. Große, schöne Generalstabskarten. Das Einsatzgebiet der Sabotage-Trupps war bereits eingezeichnet.


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