Jakobs Weg. Jörg H. Trauboth
Baske sah sich den Hund an.
»Nein, er scheint herrenlos zu sein. Eine typische Promenadenmischung, etwas Ratonero, etwas Galgo, davon gibt es hier einige. Sehr hübsch, vielleicht ein Jahr alt und offensichtlich sehr aufgeweckt.«
»Gibt es hier ein Tierheim?«
»Soviel ich weiß, nein.«
»Und nun? Der weicht nicht mehr von meiner Seite.«
»Dann hat er sich Sie ausgesucht, Pilger.«
»Das wüsste ich aber! Tun Sie mir bitte einen Gefallen. Ich gehe jetzt hier hinaus, und Sie halten bitte einen Moment die Tür geschlossen, bis ich verschwunden bin.«
»Wie Sie mögen, Monsieur.«
Hunter eilte die Rue de la Citadelle hinunter, sodann in die Rue de France, drehte sich um – seinen Begleiter war er los – und suchte sich einen Platz im baskischen Restaurant Chez Dédé, das von der Hauptstraße aus nicht sichtbar war. Das einfache Menü mit liebevoll zubereiteten Qualitätsprodukten und einem trockenen Hauswein entschädigte ihn für die Strapazen der Anreise und der lästigen Begegnung mit dem Straßenhund.
Das Lokal war inzwischen gut mit Pilgern gefüllt, die ihr Abendessen einnahmen, bevor es am nächsten Tag auf den Camino ging. Das Leben in diesem malerischen baskischen Städtchen war so ganz anders, als er es in Deutschland gewohnt war. Es waren nicht die warmen Mai-Temperaturen, die hier mittags in Saint-Jean-Pied-de-Port schon bei 28 Grad Celsius lagen, auch nicht das internationale Stimmengewirr, das die Stadt beherrschte oder das Klappern der Wanderstöcke.
Er kam aus einer Welt der Ordnung und Perfektion, der Eile und Unverbindlichkeit. Hier in Saint-Jean-Pied-de-Port atmete er eine Atmosphäre ein, die er von Beginn an als zutiefst positiv empfand. Das war wohl den Pilgern geschuldet, die alle ihren individuellen persönlichen Traum verwirklichen wollten. Noch waren die Pyrenäen nicht überquert, noch gab es keine physischen Beschwerden, noch war die Ausrüstung nicht getestet. Eine oft monatelange Vorbereitung würde sich jetzt beweisen. Diese leise Vibration, so spürte er, zog sich durch die schmalen Gassen bis in die Unterkünfte, Tag für Tag mit immer neuen Gesichtern. Hier machte man nicht Urlaub, hier war man in einer Art Pole-Position. Das Ziel war auf dem Pass die französische Pilgerherberge Orisson oder die spanische Herberge in Roncesvalles.
Routinemäßig griff Hunter wieder an sein Bein zur Waffe, als seine Hand von etwas geleckt wurde. Erschrocken zog er sie zurück. »Das darf doch wohl nicht wahr sein!«
Der verdammte Straßenköter lag an seinem Fuß, blickte ihn an und wedelte mit dem Schwanz.
»Oh my God!«, rief eine junge Frau vom Nachbartisch. »Was für ein schöner Hund und so lieb! Wie alt ist Ihr Hund?«
Hunter sah sie achselzuckend an. »Ich habe keine Ahnung. Das Tier gehört mir nicht, ist ein Straßenhund von hier … Er passt übrigens gut zu Ihnen.«
»Nein, nein, ich komme aus New York! Aber sehen Sie nicht, er hat Durst und wahrscheinlich auch Hunger.«
»Meinen Sie?«, fragte der mit Hunden vollkommen unerfahrene Hunter.
Der Kellner beobachtete grinsend das Geschehen und kam mit einer Schale Wasser zum Tisch. Hunter bedankte sich. Er zögerte, bevor er dem Hund mit spitzen Fingern ein Fleischbällchen reichte. Nicht weil er Angst vor einem Zuschnappen hatte, der Hund agierte sehr behutsam, sondern weil in ihm eine Alarmglocke schrillte: Tue es nicht!
Andererseits würde sich das Problem mit der anstehenden Wanderung ohnehin lösen. So nahm er in Kauf, dass der Hund ihn zum Hotel begleitete und sich dort brav in Sichtweite der Tür hinlegte. Hunter drehte sich noch einmal um, wies mit ausgestrecktem Arm die Straße hoch: »Jetzt mach, dass du nach Hause zu deinen Geschwistern kommst!«
Der Hund sah ihn mit seinen großen, braunen Augen an und legte seinen Kopf auf die übereinander gekreuzten Vorderpfoten.
Bevor Hunter zu Bett ging, schaute er noch einmal auf die Straße. Sehr gut! Der Hund war verschwunden.
Nur für Heike hatte er diesen Ping-Ton auf seinem Handy eingerichtet, der sich gerade meldete. Längst hatte er darauf gewartet, denn heute war Entscheidungstag.
Bevor er Wiesbaden verlassen hatte, hatte er grünes Licht für eine gezielte Penetration in eine vielversprechende Darknet-Seite gegeben. Die Computersimulation mit einer Reihe pornografischer Bilder war nach langer Arbeit perfekt gelungen, der richterliche Beschluss beantragt. Heute sollte der digitale Zugriff sein. Er wusste, dass sein Star-Team von anderen Kolleginnen und Kollegen umgeben sein würde. Sie alle würden gebannt mitverfolgen, ob das BKA auf diese neue Weise erstmals in die Welt des Grauens eintreten konnte, um dann zuzuschlagen. Wahrscheinlich war sogar der Chef selbst anwesend.
»Schlechte Nachrichten, Hunter. Unser Cyberprojekt ist aufgeflogen!«
»Wie ist das passiert, Heike?«
»Die NSA hat uns unterrichtet, dass wir von mindestens vier Hackern getrackt worden sind. Unsere Bilder waren zwei Minuten im Portal, dann war Feierabend. Das Portal ist unerreichbar für uns, unsere Bilder sind verloren.«
»Und damit sechs Monate Arbeit«, stöhnte Hunter. »Wie geht es meinen Leuten?«
»Die waren zunächst vollkommen geknickt. Der Chef höchstpersönlich hat ihnen Sonderurlaub angeboten, keiner hat ihn angenommen. Sie arbeiten nach dem Motto: Jetzt erst recht!«
Hunter hatte sich nach diesem Schock wieder gefasst.
»Gibt es Erkenntnisse, wer der Kopf im gegnerischen System ist?«
»Die Amis berichten, dass die Warnung vor polizeilichen Fake-Bildern an einen Zeus gegangen sei. Anschließend sei wohl ein Bitcoin-Transfer erfolgt. Absender und Adressat sind unbekannt.«
»Also so läuft das, wer uns erwischt wird belohnt. Das wird doch immer verrückter! Wir jagen uns gegenseitig. Also gut, unsere Jagd auf den Typen, wie heißt der noch …?«
»Zeus.«
»Richtig, Zeus … der oberste Gott im Olymp, Weidmannsheil!«
Hunter konnte schlecht einschlafen. Der Gast im Etagenbett über ihm wälzte sich und sprach schließlich im Schlaf. Hunters Gedanken drehten sich im Kreis. Er suchte nach dem Fehler. Was war in Wiesbaden verkehrt gelaufen? Woran hatte die Gegenseite gemerkt, dass die Bilder Fake waren? Waren die Kollegen bei der monatelangen Arbeit betriebsblind geworden? Nein, denn zwei Cybercrime-Experten aus Köln, die das Ergebnis nie zuvor gesehen hatten, bescheinigten dem Endprodukt absolute Echtheit. Seine Leute mussten unbedingt herausfinden, warum der digitale Vertrauensbeweis misslungen war. Der gleiche Fehler durfte nicht noch einmal geschehen.
Hunter trauerte den Zeiten nach, als die Jagd nach dem Täter noch durch kriminalistischen Spürsinn von Angesicht zu Angesicht erfolgte und war jetzt umso mehr entschlossen, den Jakobsweg zu einer erfolgreichen Mission werden zu lassen. Morgen würde die Jagd eröffnet.
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