Jakobs Weg. Jörg H. Trauboth

Jakobs Weg - Jörg H. Trauboth


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kannten …«

      »… bis sie aufflogen, richtig?«

      »Du wirst es nicht glauben, Piotr, ein Gärtner, in Wirklichkeit ein Maulwurf des LKA, ließ ihn und sein Team bei einem Abendessen in dem Städtchen Traben-Trarbach festnehmen. Die Bunkerbesatzung hatte nur den Schlüssel umgedreht und war gegangen. Der Bunker wurde mit 650 Polizisten inklusive Spezialeinheiten gestürmt. Sie fanden die Server in Betrieb, das restliche Essen noch auf den Tischen. Der Typ war ein genialer IT-Mann aber das Gegenteil von einem umsichtig handelnden Manager.«

      »Was haben die Ermittler gefunden?«

      »Das wüsste ich auch gern. Zwei Landeskriminalämter, das Bundeskriminalamt, Amtsgerichte, Staatsanwaltschaften, Sonderdezernate, Lauschangreifer, Gutachter, Datenforensiker werten den Bunker immer noch aus, das Schlimmste, was sich ein Host-Betreiber vorstellen kann. Aber der Nachweis, dass er Kenntnis von den Inhalten hatte, die er als Host-Betreiber zur Verfügung stellte, wird verdammt schwer sein. Wenn Johann Glück hat, passiert ihm gar nichts und er startet in Traben-Trarbach neu.«

      »Ich würde gern mal wissen, wieso ein Gottfried Stein mit Johanns Bunker so gut vertraut ist.«

      »Weil ich Soldat war.«

      Piotr lachte lauthals. »Brüderchen, du Soldat? Du bist doch ein Schreibtischtäter. Weißt du überhaupt, was ein Soldat ist?«

      Gottfried Stein sah ihn strafend an. »Für dich bin ich nicht Brüderchen, sondern dein Chef. Ist das klar?«

      »Entschuldigung, Chef.«

      »Also gut, nicht wirklich Soldat, aber ich war Geophysiker. Meine Wehrdienstzeit habe ich beim Amt für Wehrgeophysik der Bundeswehr abgeleistet, und jetzt rate mal wo.«

      »… im Bunker Traben-Trarbach«, erwiderte Piotr verblüfft.

      »Du weißt doch, Piotr, nachdem die Plattform ELYSIUM aufgeflogen war, brauchte ich etwas Neues, also nahm ich Kontakt zu Johann, dem neuen Hausherrn des Cyberbunkers auf, dort kannte ich jede Etage, jede Leitung.«

      »Da hat sich aber der Johann gefreut.«

      »Das kann man so sagen. Er bot mir spontan eine Mitarbeit im Cyberbunker und einen exklusiven Deckungsschirm für den kinderpornografischen Handel an.«

      »Du hast dich hoffentlich nicht darauf eingelassen, sonst wärest du hier nicht so ruhig – oder?«

      »Richtig erkannt, mein lieber Piotr«, fistelte Stein. »Als Johann mir seine geheimen Serverbereiche zeigte, solche mit Aufschriften wie Nucleus, Anubis, Predator, Interceptor oder Dragon und mir dann auch noch das Kundenaufkommen präsentierte, da war ich alarmiert. Ich stieg nach einer kurzen Testphase aus, vier Wochen bevor der Cyberbunker aufflog.«

      »Da ging dir aber richtig der Stift, Chef, nicht wahr?«

      »Das kann man so sagen. Ich tauchte ab, wie du weißt, bisher mit Erfolg. Außerdem bin ich in Johanns Netz kein Drogenoder Waffenhändler, sondern nur ein kleiner Fisch.«

      Piotr lachte. »Nicht so bescheiden! Wenn die wüssten, was du jetzt machst …«

      Stein nickte zustimmend, ging zu der Actionfigur hinüber und legte eine Hand auf deren Stirn. Augenblicklich veränderte sich eine Wand zu einem Screen, der ein Datenverbindungsnetz mit dem Namen LIBERTAS zeigte.

      »Dank dir, mein lieber Piotr, habe ich nun meinen Host nicht mehr in Deutschland, sondern in der Ukraine. Dank dir benötige ich hier nur einen einzigen Server. Und trotzdem heiße ich nicht nur Zeus … ich bin es auch«, schob er lächelnd nach. Piotr war kein Computer-Freak, aber von seinen ukrainischen Freunden wusste er, dass Zeus inzwischen als der europäische Geheimtipp für grenzenlose Kinderpornografie und sexuelle Kinderware galt. Man sagte, dass Zeus in Sekundenschnelle IP-Adressen wechseln könne und selbst die seien verschlüsselt. Das gebe einzigartige Sicherheit und schaffe Vertrauen. Auf dem Screen erschienen Abbildungen von polizeilichen Einrichtungen, in der Mitte das BKA in Wiesbaden.

      »Wenn du in dieser schnellen Welt bestehen willst, musst du denen immer einen Schritt voraus sein, Piotr. Ich habe eine Datei über polizeiliche Kinderpornografie-Jäger aufgebaut und arbeite dabei mit Wiedererkennungsmerkmalen in der polizeilichen Arbeit. Die jagen uns, ich jage die. Ich habe den Spieß umgedreht. Bisher liefen alle Aktionen von denen gegen meine Firewall.«

      Piotr spürte den Stolz seines Chefs. Er bewunderte ihn, weil der dabei nicht abhob, sondern sachlich und emotionslos blieb. Etwas, das er überhaupt nicht konnte.

      »Ich zeige dir, wie das funktioniert, Piotr. In der dunkelsten Ecke des Deep Web, im Darknet, werden bekanntlich Auftragsmorde vergeben. Das ist zwar nicht mein Arbeitsfeld, aber die Methode, Morden für Geld, gefällt mir sehr. Das Konzept habe ich übernommen. Wenn mir ein Informant einen polizeilichen Angriff auf LIBERTAS meldet, bekommt er eine Belohnung von zwei Bitcoins, ein schnellverdientes Geld ohne Risiko, nicht wahr, Piotr?«

      »Ich fahre lieber Bus, Chef, nichts für mich.«

      Stein wusste das. Für diese Art von Ermittlungen war Piotr, der Mann fürs Grobe, ungeeignet. Aber er war der einzige, mit dem er über sein Imperium reden konnte. Piotr wusste wiederum, dass Zeus ihm wahrscheinlich nur einen Bruchteil verraten würde. Sein Chef vertraute nur sich selbst.

      Ein neues Bild erschien.

      »Hier siehst du meine internationalen Hacker. Sie suchen rund um die Uhr, ob irgendwelche Strafverfolger mit einem Fakebild oder einem Video LIBERTAS angreifen. Und wenn ich jetzt abschalte, ist diese Karte für immer verschwunden und nicht mehr auffindbar. Bei mir gibt es keine Vergangenheit, nur Gegenwart.«

      »Hast du trotzdem keine Sorge, dass Spezialkräfte auch bei dir vor der Tür stehen könnten, wie bei Johann in Traben-Trarbach? Kein System ist fehlerfrei.«

      Stein sah Piotr ernst an.

      »Digital fasst mich keiner. Nur wenige kennen überhaupt einen Zeus. Aber das Wichtigste, mein lieber Piotr, ist, ich weiß erstens, wann man aufhören und zweitens, wie man abtauchen muss. Ich bin ein Chamäleon, das in einem immer wieder neuen Gewand die Beute sucht und findet. Ich bin überall und nirgends zu Hause.«

      Piotr wusste, dass das nicht ganz stimmte. Gelegentlich flog Zeus mit seinem privaten Flugzeug aus Hannover in die Ukraine, wo er direkt hinter der polnischen Grenze bei Lwiw ein vornehmes Anwesen besaß, das unter dem Schutz eines Oligarchen stand und in dem seine Lebensgefährtin Anastasia und der gemeinsame kleine Sohn lebten. Und wo wahrscheinlich sein angehäuftes Vermögen als Goldreserve gebunkert war.

      Stein berührte wieder die Actionfigur, der Screen verschwand.

      Stein setzte sich wieder an seinen Schreibtisch.

      »Und trotzdem, Piotr«, fistelte er. »Trotzdem droht Gefahr, große Gefahr.«

      Auf dem TV-Screen erschien das Bild des Internates Maria Hilf.

      Piotr ahnte, was jetzt kommen würde. Der Chef hatte also auch so eine Einladung zum Jakobsweg bekommen.

      »Wir kennen uns nun schon über zwanzig Jahre, Piotr. Wie oft warst du dort?«

      »Vielleicht ein Dutzend Mal.«

      Gottfried Stein projizierte das anonym geschickte Video auf den Monitor. Bei acht Sekunden stoppte er das Bild. Die Szene zeigte einen Mann, der aus dem Taxi stieg.

      »Das könntest du sein, nicht wahr, Piotr?«

      »Ja, aber mehr zu erahnen, mein Gesicht ist nicht gut zu erkennen. Ich weiß, dass ich damals diese Schirmmütze trug.« Der Film zeigte andere Personen, die ohne professionelle Nachbearbeitung ebenfalls nur schwerlich zu identifizieren waren.

      »Das hier, das bin ich, aber genauso verdeckt wie du.«

      »Dann brauchen wir uns doch keine Sorgen zu machen«, meinte Piotr.

      Stein reagierte unbewegt auf die dümmliche Bemerkung. Piotr war nicht gerade der Hellste, hatte aber eine große Bauernschläue. »Ich denke doch, Piotr. Der Briefschreiber hat deine E-Mail-Adresse herausbekommen und


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