Jakobs Weg. Jörg H. Trauboth
Strafe stellt, sexuelle Kontakte zu Kindern im Internet anzubahnen, dass die Zeit des straffreien Posings endgültig vorbei ist.«
»Das wäre ganz in unserem Sinne, Hanna. Damit wären wir bei dem, ich sage einmal, revolutionären Teil der neuen Gesetzeslage. Der Gesetzgeber hat verstanden, dass wir nur in die Portale hineinkommen, wenn wir in der Lage sind, einen sogenannten Vertrauensbeweis zu liefern, also in Form von Bildern und Videos. In der Szene heißt das Keuschheitsbeweis.«
»Klingt zynisch, Joe. An der Stelle war bisher Schluss, nicht wahr?«
»Richtig. Schluss, weil wir dazu selbst eine Straftat hätten begehen müssen. Mit realen Bildern, so viele wir davon haben, darf per Gesetz nicht gearbeitet werden, obwohl das für uns die einfachste Möglichkeit wäre, zumal es sogar Angebote von missbrauchten Opfern gibt, die ihren Beitrag zur Aufklärung leisten wollen. Aber auch das ist uns nicht möglich.«
Einen Moment glaubte Hanna so etwas wie Bedauern herauszuhören, doch sie schwieg.
Er erklärte weiter: »Wenn sich also die Taten nicht anders aufklären lassen, ist es künftig erlaubt, pornografische Videos und Fotos am Computer herzustellen und mit Zustimmung eines Gerichts zu veröffentlichen.«
»Wie weit seid ihr hier technisch? Ich stelle mir das ungeheuer schwierig vor.«
Joe führte sie zu einem Arbeitsplatz, an dem nicht geprüft, sondern gestaltet wurde.
»Das ist einer unserer Deep-Fake-Arbeitsplätze, über die wir mit unseren Kollegen in Köln verbunden sind. Die haben dort den größten Wissensvorsprung. Deep Fake ist das Lernen von künstlicher Intelligenz mit der Absicht, eine gezielte Fälschung zu erstellen. Die Maschine lernt, indem man sie mit den Bildern real existierender Menschen füttert. Aus diesen Daten erstellt sie dann künstlich generierte Körper und Gesichter.«
»Klingt gar nicht so schwer«, meinte Hanna, die die Umsetzung aber nicht sehen wollte. Realer und künstlich gestalteter Missbrauch hatte für sie den gleichen Schrecken.
»Weit gefehlt, Hanna. Echte Gesichter als Bilddateien zu erzeugen ist inzwischen in der Tat keine Magie mehr, du kennst das aus Kinofilmen. Kinderpornografische Fake-Bilder zu generieren, ist noch einmal eine ganz andere Hürde. So weit sind wir noch lange nicht. Der nächste Schritt ist dann die Produktion von kinderpornografischen Fake-Videos. Also dreißig Einzelbilder pro Sekunde zusammengeführt zu einem täuschend echten Endprodukt, so lautet die Herausforderung. Das schaffen die Studios noch nicht einmal realitätsnah bei künstlichen Fußballspielen.«
»Du weißt schon, Joe, dass es Gegenstimmen zu dieser neuen Möglichkeit gibt. Man fürchtet, dass durch die Nutzung von computergeneriertem Missbrauchsmaterial die Eintrittsschwelle in illegale Foren erhöht wird, mit der Folge, dass für die sogenannten Keuschheitsproben immer drastischere Darstellungen gefordert werden. Ich fürchte, es wird für die Keuschheitsprobe dann härteste Kinderpornografie gefordert, auch mit Säuglingen.«
»Noch schlimmer, Hanna, wir sehen ein neues Genre, die Hurt-Core-Filme, in denen Kindern absichtlich Schmerzen zugeführt und wenige Wochen alte Babys vor der Kamera gefesselt, missbraucht, geschlagen, gequält und gefoltert werden. Du willst das hier nicht sehen, denke ich.«
»Keinesfalls, Joe, erspare mir das! Über die Hurt-Core-Szene kann ich auch ohne Bilderkenntnis schreiben. Unseren Lesern wäre das auch nicht zuzumuten. Wir wollen informieren und Bewusstsein schaffen, aber im Rahmen des Zumutbaren, sonst geht der Schuss nach hinten los.«
Joe nickte. Das gleiche Problem hatte die Staatsanwaltschaft bei jeder öffentlichen Bekanntgabe eines Missbrauchsfalles. »Weil wir all das hier niemals akzeptieren werden, Hanna, kämpfen wir um jede einzelne IP. Allein darum geht es, um die begehrte Kinokarte.«
»Meinst du, dass die digitale Herausforderung überhaupt zu schaffen ist?«
»Welche Wahl haben wir?«
Er führte sie von einer Arbeitsstation zu anderen. Hanna sah flüchtig über die Bildschirme und war froh, dass der Ton nicht hörbar war, sondern nur die Ohren der Auswerter traf. Die Teams wechselten und wiesen sich kurz ein. Hanna blickte Joe fragend an.
»Wir tauschen nach zwei Stunden aus, dann reicht es.«
»Ich glaube, mir reicht es auch, Joe. Welche anderen Möglichkeiten hat das BKA, um einen Kinderporno-Ring auffliegen zu lassen?«
Er nickte und sah auf die Uhr. »Wenn du keine Fragen mehr zu dem Geschehen hier hast, dann lass’ uns in die Cafeteria gehen. Dort berichte ich dir gern, was unser drängendstes Problem ist.«
Während er in der Cafeteria zwei Cappuccinos organisierte, versuchte sie Abstand von dem Erlebten zu gewinnen. Die Erkenntnisse waren immens wichtig für die Story. Jedoch waren es nicht so sehr die gewonnenen Informationen, sondern, die Menschen dort oben, die versuchten mit künstlicher Intelligenz und unglaublicher Motivation die Bösen im Darknet zu fassen. Nicht für alles Geld der Welt hätte sie mit den Kommissaren im Cybergrooming-Raum tauschen mögen. So etwas konnte man wohl nur leisten, wenn man zutiefst von der Sinnhaftigkeit dieser Art der digitalen Strafverfolgung überzeugt war.
In der Cafeteria saßen die meisten Menschen allein und kommunizierten mit ihrem Handy. Wären nicht einige Bilder mit Polizeirelevanz an der Wand gewesen, hätte man glauben können, man sei in der Cafeteria eines Unternehmens. Hanna fühlte, dass sie nicht besonders wahrgenommen wurde. Vielleicht glaubte man, sie sei eine von ihnen.
Joe stellte die dampfenden Getränke auf den Tisch.
»Zu deiner Frage, Hanna. Wir haben glücklicherweise Vereinbarungen mit anderen Staaten zum Datenaustausch. Der wichtigste Partner sind die USA. Da liegen die größten Server dieser Welt, und von dort blickt die NSA in die Welt. Die US-amerikanischen Internet-Anbieter und auch große Netzwerke wie Facebook haben sich verpflichtet, kinderpornografisches Material an das National Center for Missing and Exploited Children (NCEMC) zu liefern. Stellt diese Behörde nun fest, dass ein Täter aus dem deutschen Internetraum kommt, meldet sie es an uns in Wiesbaden. Im letzten Jahr erreichten uns 62.000 Meldungen, das ist immerhin eine Verdreifachung innerhalb von drei Jahren …«
»Wobei man allerdings konzedieren muss«, warf Hanna ein, »dass inzwischen mehr Fälle digital erfasst werden, die absolute Zahl also nicht zwingend höher sein muss.«
»Vollkommen richtig, aber wie auch immer die wahren Fallzahlen sind, bis die Informationen hier verarbeitet werden können, sind die IP-Daten in der Regel gelöscht, und die Ermittlungen verlaufen im Sand. Warum? Weil wir sie nicht speichern können!«
»Womit wir bei der Vorratsdatenspeicherung wären.«
»Ja, Hanna, du kennst natürlich die aktuelle juristische Auseinandersetzung in der EU darüber. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten mit EU-Recht nicht vereinbar ist. Nach nationalem Recht könnten wir zehn Wochen speichern, aber wegen des juristischen Durcheinanders sind wir blockiert. Jeden Tag verlieren wir greifbare Chancen.«
»Wie viele, Joe?«
»Auf das Jahr gerechnet um die zehntausend. Das klingt nach banaler Statistik, aber hinter jedem Bild oder Video steht ein realer Missbrauch. Uns wird die IP aus den USA sozusagen auf dem Silbertablett präsentiert, und bevor wir dran sind, ist sie vom Netzanbieter gelöscht.«
»Das wäre nach welcher Zeit?«
»Geh‘ mal von drei Tagen aus – wenn wir Glück haben. Eine juristische Entscheidung zu diesem Thema sehen wir angesichts der vielen Klagen auf absehbare Zeit nicht mehr. In diesem Europa geht Datenschutz vor Kinderschutz. Also werden wir weiter in mühseliger Kleinarbeit selber versuchen, an eine IP heranzukommen.«
»Unglaublich, Joe, was für ein Aufwand.«
»Was Kleinarbeit heißt, das hast du heute bei uns als erste und einzige Journalistin gesehen.«
»Danke, Joe, das weiß ich zu schätzen.«
»Gern geschehen, Hanna. Die Welt dreht sich durch das unkontrollierte