Wie aus dem Ei gepellt .... Martina Meier

Wie aus dem Ei gepellt ... - Martina Meier


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      *

      Osterüberraschung vom Weihnachtsmann

      Zielsicher ging Tobias durch das große Gartencenter, ohne auf bunte Ostereier, niedliche Plüschküken und grinsende Osterhasen aus Pappe zu achten. Das Einzige, was ihn in diesem Geschäft interessierte, befand sich in der Kleintierabteilung. Gebannt blieb er vor einem der verglasten Gehege stehen. Sein Herz klopfte vor Aufregung. „Das ist der schönste Hase, den ich je gesehen habe“, flüsterte Tobias andächtig.

      „Löwenkopf, männlich“ stand auf dem weißen Schild, das an der Scheibe befestigt war. Der Preis von 20 Euro war durchgestrichen und auf 15 Euro verbessert.

      „Warum ist der Hase jetzt billiger?“, fragte Tobias eine Verkäuferin mit roten Haaren, die gerade den Nebenkäfig säuberte.

      Die Verkäuferin sah auf und lächelte. „Ach, das ist unser Weihnachtsmann. Den wollte bisher noch niemand haben. Er ist schon ein paar Monate alt, also kein ganz junges Kaninchen mehr, und deswegen haben wir gehofft, ihn so verkaufen zu können.“

      „Und warum sagen Sie Weihnachtsmann zu ihm?“

      Die Verkäuferin lachte. „Na ja, schau ihn dir einmal genau an. Findest du nicht, dass seine dunkelgraue Löwenmähne wie ein Bart aussieht? Und dann ist er genau in der Weihnachtszeit zu uns gekommen. Deswegen haben wir ihn Weihnachtsmann getauft.“

      „Ich hätte mir denken können, dass du wieder hier steckst. Los jetzt, wir müssen nach Hause. Ich habe heute noch einiges zu erledigen!“, schimpfte Tobias Mutter, die gerade im Laufschritt angehetzt kam.

      „Schau Mama, wie süß der Hase ist. Bitte, ich wünsche mir doch schon sooo lange einen. Du musst mir auch überhaupt nichts anderes zu Ostern kaufen“, bettelte Tobias mit Seehundaugen.

      „Wir kaufen jetzt ganz bestimmt keinen Hasen. Komm jetzt endlich!“ Schon war die Mutter wieder Richtung Kasse verschwunden.

      Tobias blieb nichts anderes übrig, als hinterher zu trotten.

      Beim Abendbrot versuchte Tobias, seinen Vater zu überzeugen, den Hasen zu kaufen.

      „Und er ist fast ganz schwarz. Nur um die Augen und die Nasenlöchern herum sind hellbraune Ringe. Und er sieht so putzig aus, wenn er mit seinem kleinen hellbraunen Mund eine Karotte mampft. Die pelzigen Füße und der Bauch sind auch weiß und hellbraun und die Löwenmähne ist ganz dunkelgrau und deswegen ist es der Weihnachtsmann. Und fünf Euro ist er auch billiger. Und wenn ich einen Hasen hätte, würde ich bestimmt öfters an die frische Luft gehen und im Garten würde ich auch helfen, das wollt ihr doch immer!“

      „Und der Hase hilft bestimmt auch mit, vor allem bei der Karottenernte“, brummte die Mutter, während sie für Tobias’ kleine Schwester Kathy eine Brotscheibe mit Leberwurst beschmierte.

      Der Vater lachte. „Mama hat mir vorhin schon erzählt, dass du dich in einen Hasen verliebt hast. Du sollst ihn bekommen, wenn du mir hilfst, einen Stall für draußen zu bauen. Und sobald es wärmer wird, zieht der Hase in den Garten.“

      „Au ja! Und bis dahin kann er in meinem Zimmer bleiben. Auf dem Dachboden habe ich einen alten Käfig gesehen, den hole ich nachher gleich herunter“, stimmte Tobias begeistert zu.

      „Krieg ich auch einen Hasen?“, meldete sich Kathy zu Wort, die bisher mit großen Augen zugehört hatte.

      „Ein Hase genügt!”, erklärte die Mutter bestimmt. „Tobias lässt dich seinen Hasen bestimmt auch streicheln.“ Sie schaute ihren Sohn herausfordernd an.

      „Kein Problem“, meinte Tobias großzügig.

      Einen Tag vor Ostern war Tobias stolzer Hasenbesitzer. Sorgfältig hatte er alles vorbereitet und jetzt saß sein Schützling in seinem neuen Zuhause und drehte ängstlich die Augen heraus. Vorsichtig streichelte Tobias über das weiche Fell. „Du wirst dich bald an mich gewöhnt haben“, tröstete er das kleine Tier. „Und ab jetzt sollst du Bobby heißen. Weihnachtsmann ist ja kein richtiger Hasenname“, beschloss er. Doch im Laufe des Tages wurde Tobias unruhig. Irgendetwas schien mit Bobby nicht in Ordnung zu sein. Ständig lief der Hase im Käfig hin und her. In jeder Ecke fing er zu buddeln an, und als Tobias ihn aufheben wollte, schnappte er böse nach seinen Fingern. Tobias erschrak. „Bobby wird doch nicht krank sein!“, schoss es ihm durch den Kopf. Den Eltern erzählte er lieber nichts von seinem Verdacht. Vielleicht hätten sie Bobby zurück in das Geschäft bringen wollen. Die ganze Nacht konnte Tobias hören, wie Bobby in seinem Käfig rumorte und immer wieder mit der Tränkflasche klapperte. Erst als es draußen zu dämmern anfing, wurde es ruhig.

      Am Ostermorgen holten helle Sonnenstrahlen Tobias aus seinem Bett. Sofort ging er zu Bobbys Käfig und hob den Deckel auf. Vor Schreck wäre er fast kopfüber hineingefallen. Was war das? Er konnte eindeutig eine schmale Blutspur erkennen. In einer Ecke war das ganze Heu aufgestapelt, das Tobias in die Raufe getan hatte. Tobias wollte das Heu nehmen und wieder zurück in die Raufe stecken, doch zwischen dem Heu fand er ein Knäuel von Bobbys Fell. Bobby saß erschöpft in der gegenüberliegenden Ecke und schien irgendwie erleichtert zu sein. Neugierig stocherte Tobias mit seinem Zeigefinger in das Fellknäuel.

      „Mama, Papa kommt schnell her! Das müsst ihr euch anschauen!“, schrie er, so laut er konnte.

      Der Vater kam mit verstrubbelten Haaren zur Tür herein. „Was ist denn los?“, fragte er verschlafen. Tobias zeigte wortlos auf den Käfig. Gleich darauf betrat die Mutter zusammen mit Kathy Tobias Zimmer. „Ist etwas passiert?“

      Der Vater schob vorsichtig das Fellknäuel auseinander und schaute grinsend vom Käfig auf. „Ich fürchte, der Weihnachtsmann hat zwei kleine Osterhasen gebracht.“

      Vor Erstaunen vergaß die Mutter, den Mund zu schließen. Kathy hingegen jubelte. „Au fein! Dann bekomme ich ja doch noch einen richtigen Hasen zu Ostern!“

      Tobias streichelte erleichtert seinen, nein, seine Bobby.

      „Arme Bobby! Und ich wusste nicht, was mit ihr los war.“

      „Dann müssen wir halt einen Käfig für drei Hasen bauen“, meinte der Vater und richtete sich auf.

      „Ja, und ich werde wohl im Garten ein Beet Karotten zusätzlich einplanen müssen“, meinte die Mutter gottergeben.

      Tobias strahlte wie eine Osterkerze und war überzeugt, dass er so ein schönes Osterfest noch nie erlebt hatte.

      Annette Geier ist 40 Jahre alt und lebt in Gremsdorf. Sie liebt das Schreiben. Zwei ihrer Kurzgeschichten wurden bereits in Anthologien veröffentlicht.

      *

      Ein Hase namens Paulchen

      Es war zu der Zeit der Schafskälte, Mitte Juni. Tiere wie Menschen litten unter der neuerlichen Kälte. Da brachte die alte Häsin auf dem Huber-Hof ein einzelnes Hasenkind auf die Welt und verstarb. Der kleine Hasenjunge rief nach ihr, immer und immer wieder, bis er schließlich hungrig und erschöpft einschlief.

      Am nächsten Morgen machte der Huber-Bauer seinen üblichen Rundgang über den Hof. Seine Tochter Kristin begleitete ihn wie so oft. Dabei fanden die beiden die tote Häsin und ihr Junges.

      „Nun, wenn die Mutter tot ist, was soll das Kleine leben“, sagte der Bauer.

      „Wie meinst du das, Papa?“ Seine Tochter sah ihn aus großen, blauen Augen an.

      „Es hat keine Mutter mehr und ist selbst schon halb tot. Ich werde es erlösen.“

      „Papa, nein. Es darf nicht sterben. Ich werde seine Mama sein und es mit der Flasche füttern.“

      Der Huber-Bauer brummte.

      „Bitte, bitte, Papa.“

      Er konnte ihrem Augenaufschlag nicht widerstehen, welcher Vater könnte


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