Wie aus dem Ei gepellt .... Martina Meier

Wie aus dem Ei gepellt ... - Martina Meier


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aber ganz sicher, erzähl mir doch bitte mehr von dir“, bittet Alexia ganz aufgeregt.

      „Das ist schwierig zu erzählen, du würdest mir sicherlich auch nicht glauben“, erwiderte das Kaninchen.

      „Ach bitte“, bettelt Alexia.

      „Ich könnte es dir zeigen, wenn du mich ein Stück begleitest“, bietet das grüne Kaninchen an.

      Alexia zögert einen Augenblick. „Eigentlich darf ich ja mit niemanden mitgehen“, erinnert sie sich an die Ermahnungen ihrer Eltern. „Aber ich habe ja Asabi dabei und was soll mir ein kleines, grünes Kaninchen schon tun?“, verwirft Alexia rasch ihre Bedenken. „Ich gehe gern ein Stück mit dir.“

      „Also dann“, sagt das grüne Kaninchen und hoppelt voran.

      Alexia folgt ihm und traut ihren Augen nicht, an jeder Stelle an dem die Pfoten des Kaninchens den Boden berührt haben, wächst helles, grünes Gras, an manchen Flecken sprießen sogar Blumen. Asabi, die hinter Alexia hergetrottet ist, schnuppert neugierig an dem frischen Grün.

      Nach einer kurzen Weile erreichen die drei einen kleinen See. Obwohl es schon April ist, liegen hier und da noch Schneereste, das Gras ist noch braun vom langen Winter und die Bäume sind noch kahl, ohne jede Spur von Grün. Am Ufer des Sees ist noch vereinzelt eine dünne Eisschicht zu sehen. Das grüne Kaninchen berührt die Bäume und das Seeufer. Die Bäume zeigen in Windeseile Knospen, die als rosa und weiße Blüten aufspringen, das Gras wird grün, Blumen fangen an zu sprießen, öffnen ihre duftenden Blüten. Das Eis schmilzt, Sumpfdotterblumen beginnen am Ufer strahlend gelb zu blühen. Die Seerosenblätter auf dem See zeigen Knospen, die aufspringen und sich in herrliche weiße und pinkfarbene Blüten verwandeln.

      Asabi jagt den ersten Bienen hinterher. Alexia vertreibt lachend einen Zitronenfalter von ihrer Nasenspitze. Sie kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie schaut das grüne Kaninchen bewundernd an. „Das ist wirklich zauberhaft“, ruft sie begeistert. Um sie herum ist es plötzlich Frühling. „Du hattest recht“, sagt sie zu dem grünen Kaninchen, „ich hätte dir nicht geglaubt, wenn du es mir erzählt hättest.“ Das Kaninchen nickt.

      „Passiert das denn immer, wenn du irgendwo hinkommst? Auch mitten im Winter oder im Sommer? Wird es dann immer Frühling?“, fragt Alexia.

      Das Kaninchen schüttelt den Kopf. „Nein“, antwortet es. „Ich bin nur am Ende des Winters unterwegs, dann bringe ich den Tieren und Menschen den Frühling und mit ihm die Hoffnung.“

      „Das verstehe ich nicht“, sagt Alexia und runzelt die Stirn. „Warum die Hoffnung?“

      „Wenn ein langer, kalter, dunkler Winter zu Ende geht und das junge Grün und die Blumen zurück kommen, dann wissen die Menschen, dass die eisigste Kälte und die finsterste Dunkelheit irgendwann ein Ende haben und das Licht, die Wärme und das Leben immer wieder zurückkehren. Diese Hoffnung in das Leben der Menschen zu tragen ist meine Aufgabe“, erklärt das grüne Kaninchen.

      „Das ist eine sehr schöne Aufgabe“, sagt Alexia mit strahlenden Augen. „Jetzt verstehe ich, warum du grün bist. Grün ist die Farbe der Hoffnung. Du musst sehr stolz sein, darum verstehe ich gar nicht, warum du so traurig warst, als wir dich vorhin getroffen haben.“

      „Ach“, seufzt das grüne Kaninchen, seine Ohren fallen wieder herunter und sein Kopf senkt sich. „Ich bin halt so anders als alle anderen Kaninchen.“

      „Natürlich bist du ganz anders“, tröstet Alexia das Kaninchen und streichelt ihm über das grüne Fell. „Du hast ja auch eine ganz besondere Aufgabe und darum hast du auch ein ganz besonderes Aussehen. Ich finde dich jedenfalls ganz besonders hübsch. Und Grün ist übrigens meine Lieblingsfarbe.“

      Da richtet sich das grüne Kaninchen auf und sagt zu Alexia: „Dann will ich dein ganzes Leben in deinem Herzen sein und du wirst niemals die Hoffnung verlieren.“

      Silke Wiest wurde am 16.9.1960 in Witten geboren und wohnt in Brombach. Sie studierte Germanistik und Geografie in Mannheim und beschäftigte sich wissenschaftlich mit empirischer Literaturwissenschaft. Außerdem arbeitete sie als freie Texter und Dozentin für Literatur an der VHS. Sie schreibt Lyrik und Prosa, Kurzgeschichten und Märchen für Kinder. Veröffentlicht wurden bisher unter anderen einige Kurzgeschichten in Anthologien.

      *

      Dominiks Osterüberraschung

      „Papa“, durchdringt Dominiks Stimme die Stille des Arbeitszimmers. „Mami wird erst heute Mittag nach Hause kommen, oder?“

      Geistesabwesend hebt der Vater den Kopf und blickt dem kleinen Jungen entgegen. Zustimmend nickt er, bevor er wortlos den Blick wieder auf die Papierstöße auf seinem Schreibtisch wendet. Schließlich muss er die Berichte rechtzeitig fertigbringen.

      Doch Dominik bleibt hartnäckig: „Glaubst du, dass der Osterhase uns heuer trotzdem etwas bringen wird?“

      Seine braunen Augen mustern den Vater lebendig, als dieser antwortet: „Also, ich denke, du bist schon groß genug, um zu wissen, dass ...“

      Da ruft der kleine Schelm raunzend dazwischen: „Ich meine doch nur, weil Mami mit dem neuen Baby beschäftigt ist und du hast auch so viel Arbeit.“

      Nachdenklich nimmt der Papa die Brille von der Nase und streicht mit der Hand über sein Kinn. „Vielleicht müssen wir das Ostereiersuchen heuer tatsächlich ein wenig verschieben.“ Liebevoll streicht er über den Kopf seines Sohnes. „Mal sehen, Dominik“, meint er dann zerstreut. „Wir werden das schon irgendwie machen.“ Damit kehrt er sich wieder konzentriert seiner Arbeit zu und der Junge marschiert in die Küche. Unzufrieden lässt er sich auf einen Stuhl plumpsen und sieht zum Fenster hinaus. Sein großer Bruder Elias füttert zusammen mit Oma die Hühner. Aufgeregt scharren die Vögel auf dem Boden um die beiden herum. Dominik findet, dass es wie ein Tanz aussieht. Er mag die Hühner und den eingebildeten Hahn auch. Mit schnellen Schritten eilt er auf den Hof hinaus. Vielleicht weiß Oma eine Lösung für sein Problem. „Liebe Omi“, ruft er der älteren Dame munter zu. „Hast du nicht eine Idee, wie wir doch noch ein schönes Osterfest feiern können?“

      Die Großmutter schaut erst einmal etwas verblüfft und runzelt die Stirn. „Wieso denn?“, fragt sie aufmerksam. „Warum sollten wir denn kein schönes Osterfest haben?“

      Geschwind erklärt Dominik, dass die Mutter ja noch im Krankenhaus ist und der Papa allem Anschein nach auch ausscheidet.

      „Hm“, überlegt die weißhaarige Frau, „dann müssen wir dem Osterhasen wohl ein bisschen helfen!“

      Elias ist von diesem Vorhaben natürlich auch sofort begeistert. „Was kann ich machen, Oma?“, johlt er eifrig. „Ich will auch mithelfen!“

      Mit einem vielversprechenden Lächeln auf den Lippen teilt die Großmutter die bevorstehenden Arbeiten auf. „Du, Dominik, holst aus dem Stall noch Eier und bringst sie in die Küche. Ich habe vorhin schon einige in einem Körbchen unten auf dem Boden vorbereitet.“ Dann wendet sie sich dem großen Bruder zu und weist ihn an: „Elias, du musst die Farben zum Färben der Ostereier anrühren. Uns bleibt nicht mehr allzu viel Zeit. Hopp, hopp!“

      Sofort laufen die Kinder los, um ihren Auftrag auszuführen. Dominik schaut sich kurz im Hühnerstall um. Er freut sich schon riesig darauf, seine Eltern zu überraschen. Flink schnappt er sich ein Flechtkörbchen vom Stapel. Ganz sachte sammelt er einige Eier und legt sie in den Korb hinein.

      Plötzlich stürzt sich eine Henne wie wild auf ihn. Sie gackert aufgeregt und laut. Stürmisch pickt das Tier auf seine Schuhe hin und zupft an seinem Hosenbein. Erschrocken eilt der Junge mit seiner Beute in die Küche, wo Elias bereits ein paar Gefäße mit Wasser angefüllt hat.

      Nun muss er nur noch die Tüten mit dem Farbpulver hineinmischen, dann kann es schon losgehen. Einstweilen hat die Großmutter den Teig für ihren berühmten Osterkuchen fertig gerührt. Ein fröhliches Lied summend gießt sie die Masse in


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