Seewölfe - Piraten der Weltmeere 702. Sean Beaufort
wie Pulver und Kugeln, Drawida“, erwiderte der Dürre mit unheilverkündender Stimme, „dann würden wir bis ans Ende der Welt segeln können, wo immer das liegt.“
„Kommen wir mit den Vorräten an Madras vorbei, denn weiter südlich können wir an Land gehen?“ fragte der Mann mit den großen, brennenden Augen.
„Wenn wir es müssen“, entgegnete Aschadhara. „Ich habe schon Wein statt Wasser in unseren überaus herrlichen Pokalen, Herr.“
Shastri und Aschadhara blickten einander schweigend an und zuckten dann unbehaglich mit den Schultern.
„Zu allem Überfluß ändert sich auch das Wetter. Ich sehe Sturmwolken“, äußerte Drawida Shastri nach einer Weile des Schweigens.
„Sturm kann gut sein oder schlecht“, meinte Aschadhara. „Er füllt die Segel und treibt uns weit nach Süden. Oder die Sturmgötter, die im Monsun schwer zu beschwichtigen sind – wie jedermann weiß –, bringen Unheil über uns.“
„So ist es.“
Zwar waren sie alle schon häufig an Bord größerer oder kleinerer Schiffe gewesen, und kaum einer vertrug das Schaukeln und Stampfen nicht, aber von fünfunddreißig Männern waren bestenfalls ein halbes Dutzend wirkliche Seeleute. Wenn sie im weiten Bogen Hafen und Küste von Madras umfuhren, und das hatte Shastri vor, war jeder weitere Tag auf See ein Wagnis. Andererseits drohte ihnen der Tod, denn sie kannten die Wut des echten Sultans.
Was konnten sie tun, um den Zustand zu ändern? Was blieb ihnen übrig?
Shastri leerte den Pokal und schüttelte den Kopf. Sein schwarzes Haar flog herum. Er hielt sich links an der Armlehne fest und sagte: „Wir pullen und segeln heute, so gut es geht. Und die Nacht hindurch. Am nächsten Morgen suchen wir eine Quelle, einen Fluß oder ein Fischerdorf. Dann holen wir uns Wasser und Proviant.“
Drawida nickte dem Freund zu, stand auf stieg den Niedergang hinunter und fühlte, wie die Angst in ihm wieder hochkroch wie die Schlange aus dem dunklen Korb. Er ging zur Kombüse und ließ aus dem Weinfaß seinen Pokal vollaufen. Dann begab er sich in die Prunkkammer des Sultans.
Er wollte trinken und tief schlafen, sich in seinen Träumen verkriechen. Dann würde der Tagtraum vom Sultan und seinen Bewaffneten, die ständige Angst, sich ändern und einem anderen Traum weichen: einer Vorstellung in leuchtenden Farben, welches freie Leben sie an Ceylons Küste führen würden.
In seine umnebelten Träume hinein verfolgte ihn wie der Schlag eines rachsüchtigen Herzens der Takt, mit dem sich die langen Riemen bewegten und die Galeeren nach Süden schoben. Ohne daß er es merkte, wuchsen die Wellenkämme höher und höher. Weiße Dreiecke aus Schaum begannen sich abzuzeichnen.
Nahinda saß mit angespannten Muskeln neben Khande Rao und versuchte, nicht aus dem Takt zu geraten, ebenso wie sein Nebenmann. Sie befanden sich im untersten Ruderdeck. Zwischen den angeketteten Sklaven pullten Männer aus Shastris Begleitung.
Sie hatten eingesehen, daß es ohne diese schweißtreibende, auszehrende Arbeit nicht vorwärtsging.
Seit die Engländer von Bord waren, gehörte den Indern die Galeere. Aber ihnen gehörte jetzt auch die Arbeit – jede Arbeit. Nicht mal ein alter Mann erschien und verteilte muffigen Reisbrei und Wasser.
Nahinda fühlte, wie sein Magen knurrte.
„Ich weiß nicht, ob wir das Richtige tun“, sagte er nach einiger Zeit. Schweiß lief über sein Gesicht und über den Rücken.
„Wir rudern richtig“, antwortete Khande Rao halblaut. „Besser als die verlausten Sklaven.“
„Das meine ich nicht“, murmelte sein Nachbar nach einigen weiteren Riemenbewegungen. Jede Bewegung war höllisch anstrengend, und die nächste war noch schlimmer. Und so würde es weitergehen, bis sie endlich jemanden einfingen und an die Ducht schmiedeten.
„Was meinst du?“
Zwei Dutzend der besten und stolzesten Krieger um Shastri, die alle Abenteuer, Überfälle, Jagden und Schußwechsel überlebt hatten, saßen mehr oder weniger freiwillig auf den Ruderbänken und schufteten. Jeder sehnte ein rasches Ende dieser schweißtreibenden Arbeit herbei. Je früher, desto besser, gleichgültig unter welchen Umständen.
Es war eines freien Mannes unwürdig, zwischen namenlosen Sklaven zu hocken und an den schweren Riemen aus rissigem Holz zu zerren, und das auch noch nach einem Takt, dessen Schnelligkeit ihnen das Mark aus den Knochen sog.
„Ich meine, daß wir das Schiff an Land steuern und uns zu Fuß in alle Richtungen zerstreuen sollten“, sagte Rao keuchend. „Oder willst du bis zum Ende deines Lebens hier schuften?“
Nahinda lachte hustend. Im Inneren des Schiffes, ganz besonders im tiefergelegenen Ruderdeck, stank es wie über einem Abtritt.
„Nicht mal bis zum Ende des Tages, Rao“, erwiderte er schaudernd.
„Also.“ Sie bemühten sich wieder, den schweren Riemen im Takt zu bewegen. „Und das verlangt Shastri von uns, bis wir in Ceylon sind. Und warum?“
Seit die Galeere aus dem Schlick der seichten Bucht freigekommen war und sich wieder auf offener See befand, versuchten die Anhänger des falschen Sultans, sich über ihr weiteres Leben klarzuwerden. Nicht einer wollte an Land ein Feld bestellen, fischen oder einer schweißtreibenden Arbeit nachgehen.
Aber sie wollten sich nicht bis zum Ende der Tage im Schiff, innen oder an Deck, abquälen. Nur die Angst vor einem qualvollen Tod hielt sie an Shastris Seite. Die Rache des echten Sultans würde furchtbar sein. Erhielten sie einen schnellen Tod, dann würde das eine Gnade sein, ein leichter Schritt in das nächste Leben. Aber alles, was sie sich vorstellen konnten, war schlimm und aussichtslos. Also pullten sie hier im stinkenden Schiff weiter.
„Weil er genausoviel Furcht hat, geköpft zu werden“, entgegnete Nahinda. „So einfach ist diese Frage zu beantworten.“
„Und weil wir die gleiche Angst haben“, sagte Rao.
Sie schwiegen und pullten weiter. Durst und Hunger nahmen zu.
Einige Stunden später tauchte Aschadhara unten auf, hob die Arme und schrie: „Der Monsun ist stark genug! Hört auf! Bis zur Dunkelheit sind wir mit den beiden Segeln schnell genug. Und denkt nicht, daß wir viel zu essen haben. Kommt an Deck.“
Er hielt sich die Nase zu.
Khande Rao und Nahinda zogen ihren langen Riemen mit einiger Mühe ins Schiff und vertäuten ihn, so gut sie konnten. Dann beeilten sie sich, das stinkende Unterdeck zu verlassen und in den Bereich frischer Luft zu gelangen.
Mittag war längst vorbei. Im Ruderdeck verloren sie alle das Gefühl für die Zeit, für die Stunden, für Tag und Nacht. Sie erinnerten sich nicht mal deutlich, wann sie aus der Bucht aufgebrochen und wie lange sie schon auf See waren. Dem Hunger und Durst nach waren es einige Wochen, sagte sich Rao und blickte sorgenvoll nach Nordosten.
Dort türmten sich dunkle Wolken. Es roch beinahe nach Sturm. Die Wellen, in denen sich die „Stern von Indien“ hob und senkte und mit dem Bug und dem Rammsporn riesige Brecher nach den Seiten schleuderte, hatten inzwischen weiße Schaumkämme.
„Verdammte Koromandelküste“, sagte Khande Rao halblaut. „Ich kann nur hoffen, bei Shiva, daß wir bald an Land sind.“
Die Galeere stampfte durch das aufgewühlte Meer südwärts. Die Küste war an Steuerbord nur noch winzig klein zu sehen. Vor den niedrigen dunklen Wolken, die der Wind übereinandertürmte, rauschten Wellen heran und schlugen krachend gegen das Heck, hoben es in die Höhe und erschütterten das schlanke, lange Schiff.
Nahinda warf Rao einen langen, verzweifelten Blick zu.
„Ich war bei den Vorräten“, sagte er und schüttelte den Kopf. „Es sieht sehr schlecht aus. Wir werden bald nichts mehr zu essen haben.“
„Zu lachen haben wir auch nichts.“
Rao lehnte gegen das Schanzkleid und sah den anderen Angehörigen von Shastris Kriegern zu,