Seewölfe - Piraten der Weltmeere 702. Sean Beaufort
Seiten und zeigte mit dem großen Rammsporn in die Weite des Meeres.
Ajit Jagat nahm das Wurfnetz von der Schulter, legte es auf dem Unterarm zweimal zusammen und verstaute es zwischen den Duchten des langen, schmalen Fischerbootes.
Er hob den Kopf und sagte: „Wir sollten in den Fluß, Daya Ran. Das Meer ist gefährlich. Sturm.“
„Ich will überhaupt nicht fischen“, entgegnete der ältere Fischer und zerrte an seinem dünnen Bart. „Ich lege mich unter die Palmen und schlafe. Kein Fisch heute.“
„Das meinst du nicht wirklich, Daya“, sagte Ajit und lachte. „Wirklich? Schlafen.“
Auf dem sandigen Strand, an dem ihr Boot hoch und trocken lag, wirbelte der Wind die Sandkörner vom Meer her zwischen die Palmwurzeln. Die Brandung war ungewöhnlich hoch und donnerte laut. Wellen zischten über den Strand und lösten sich in Schaum auf, in dem winzige Krabben umherhuschten. Die nächste Welle brachte einen langen Wedel Tang ans Land und schleuderte ihn bis zum Heck des Bootes.
„Und da willst du Fische fangen? Haßt du dein Leben?“ fragte Avatara, der dritte Fischer, der im Heck saß und die Spitzen der Harpune mit dem Stein schärfte. „Ich bin auch für einen langen Schlaf. Vielleicht ist morgen der Sturm vorbei, wie?“
„Morgen noch nicht, und dann ist das Meer unruhig“, meinte Daya Ran. „Entweder tun wir heute und morgen nichts und übermorgen doppelt soviel. Dann müssen wir auch in der Nacht draußen sein.“
„Das ist die Lösung“, entgegnete Ajit Jagat. „Ich sage euch, das wird ein häßlicher Sturm. Er bringt uns um. Wir bleiben besser an Land. Oder wir segeln in die Flußmündung.“
Er zeigte nach links. Die Fischer aus dem kleinen Dorf nördlich von Nellore kannten das Wetter, den Monsun und das Meer. Sie brauchten nicht lange darüber zu reden, denn die Menge des Fanges hing von ihrem Gefühl für das Wetter ab. Auch morgen würden sie so viel damit zu tun haben, ihr Boot zu segeln oder zu pullen und nicht kentern zu lassen, daß aus dem Fang nichts Rechtes werden würde.
Also war es besser, gleich an Land zu bleiben oder sich zwischen den Schilfinseln im kleinen Fluß aufzuhalten. Doch wenn sie noch lange warteten, erreichten sie nicht mal die Mündung.
„Eigentlich kann ich auch bei dem Felsen, weiter flußauf, ein Schläfchen riskieren“, sagte Daya Ran und gähnte kräftig. „Da beißen auch die Fische.“
„Das wissen wir. Wasser gibt’s auch. Wollen wir dorthin?“ fragte Avatara. „Dann müssen wir uns aber eilen, bei Kali.“
„Öl und Lampen sind im Boot“, murmelte Ajit Jagat. „Wir halten es schon aus in der Nacht. Helft mir. In einer halben Stunde sind wir an Ort und Stelle.“
Die drei Fischer wußten, daß sie am übernächsten Tag weit mehr Wasser und Proviant mitnehmen mußten, wenn sie in der Nacht mit Lampenlicht fischten und erst spät am Tag zurücksegelten.
Hapury, diese Ansammlung von sieben Fischerhütten, lag einen Steinwurf von Nellore entfernt. In Nellore verkauften sie den Fisch, den sie nicht selbst brauchten oder nicht trockneten oder einsalzten.
Die Männer packten ihr Boot, schoben es in die Wellen, wateten einige Schritte in den aufgewühlten Sand hinein und schwangen sich an Bord. Als das Boot frei schwamm, packten sie die Riemen und pullten in südliche Richtung, in schrägem Winkel auf die Brandung zu. Noch vier Stunden bis Sonnenuntergang, und sie brauchten nicht länger als eine halbe Stunde.
Dann bog das Boot, dessen Segel sie nicht gesetzt hatten, um die nördliche Huk und glitt in das ruhige Brackwasser des Schlangenflusses. Die Mündung war nicht breiter als dreihundert Schritte, und die Fischer pullten wieder zurück in Richtung des Sonnenunterganges.
Im Bereich des Mündungsdreiecks waren die Ufer von breiten Schilfstreifen gesäumt. Wasservögel flogen auf, als sich das Boot seinen Kurs durch die schmaler werdenden Fahrrinnen suchte. Die Fischer pullten ohne Hast durch die schwache Gegenströmung, und nach weiteren fünfzig Riemenschlägen tauchte der Felsen zwischen den Büschen auf.
Hier sank der Grund ab, eine winzige Rinne führte Wasser, und in diesem Kessel, in dem die Strömung sich drehte, war die Ausbeute groß, wenn man mit Speer, Harpune oder Angel fischte. Daya Ran schob die Pinne nach Backbord, und das Boot glitt lautlos über das dunkle Wasser.
„Wir sind hier richtig, glaube mir“, sagte Avatara und zog die Riemen ein. Er schob sie unter die Duchten, stand auf, ging zum Bug und sprang an Land, als das Boot gegen den modernden Baumstamm stieß.
„Hier bleibt’s ruhig. Auch wenn der Sturm heftiger wird.“
„Soll er in der Nacht ruhig toben“, antwortete Daya Ran seinem Freund.
Zusammen zogen sie das Boot zwischen die weißen, rindenlosen Äste des Baumes, der halb im Wasser versunken war. Die vielen Vögel, die durch das Fischerboot aufgescheucht worden waren, beruhigten sich wieder, als die drei Männer durch das Ufergebüsch und auf der Rückseite des Felsens durch den Schatten großer Bäume hinaufkletterten.
„Wollt ihr etwa jetzt fischen?“ fragte Daya Ran, der sein Bündel auf dem Moos absetzte.
Bis zur Vorderkante des eckigen Felsens breitete sich eine lange Fläche aus weichen, blühenden Polstern aus. Schmetterlinge gaukelten unter den überhängenden Ästen.
„Du ganz sicher nicht, Daya“, sagte Jagat ohne Vorwurf. „Keine Sorge. Ich will nicht arbeiten.“
„Und du?“ fragte Daya Ran.
Ajit Jagat breitete seine Decke im Schatten aus. Die Sonne schwebte im Westen über dem nächsten Hang des Flusses hinter einer Reihe von Palmen mit breiten Wedeln. In den Büschen am Rand der Moosfläche summten die Fliegen.
„Ich werde am lautesten schnarchen“, versicherte Ajit grinsend.
Die drei Fischer, die zusammen das Boot gekauft hatten und sich die Annas und Rupien teilten, die sie verdienten, kannten sich seit drei Jahren. Solange fischten sie zusammen und hatten untereinander noch nie Ärger gehabt. Sie streckten sich unter den Ästen aus, und Ajit öffnete den Krug mit dem Reiswein.
„Wenn der Sturm nicht Regen mit sich bringt“, meinte Avatara nach dem ersten langen Schluck, „wird es in der Nacht hier, im Strudel, viele Fische geben. Große Fische.“
Alles, was sie vom starken Wind merkten, der draußen über dem endlosen Wasser wehte und zunahm, je tiefer die Sonne sank, war das Schütteln der Baumkronen und ein leises Fauchen und Wimmern, das durch die Stämme fuhr und das Wasser der Flußmündung in kleinen Wellen kräuselte.
„Wenn wir nicht schlafen, fischen wir“, antwortete Daya Ran und streckte den Arm nach dem Krug aus. „Abwarten. Und jetzt laßt mich in Ruhe.“
„Dann gib den Krug zurück. Oder ist er schon leer?“ fragte Ajit Jagat.
Der Alte gab ihm den halbvollen Krug und rollte sich auf dem weichen Moos zusammen. Es dauerte nicht lange, bis die Fischer schliefen und schnarchten. Sie kannten den Platz gut, nie tauchten hier Raubtiere auf.
Ob es Sturm gab in der Nacht, die in weniger als zwei Stunden anfing, rührte die drei Männer nicht. Hier waren sie sicher, ebenso wie ihr Boot. Wenn sich der Wind nicht gerade zum Wirbelsturm aufbaute, würden sie heute nacht im Strudel fischen und in der nächsten Nacht weit draußen auf dem Meer, vielleicht in der Umgebung der Schlickinsel mit ihren wandernden Untiefen.
Aber jetzt ruhten sie sich aus, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.
Khande Rao hob die Schultern. Er fühlte, daß seine Ratlosigkeit zunahm, je länger er zu den Leibwächtern Drawida Shastris gehörte.
Noch war er jung genug, um etwas anderes zu unternehmen. Der falsche Vetter des Sultans von Golkonda war ihm, Rao, ein ständiges Rätsel. Der Schatz war verloren, seinen Kumpan de Xira hatte er schnöde im Stich gelassen, und der Rückzug nach Ceylon glich nicht nur einer Flucht, sondern war tatsächlich der letzte Versuch, sich vor der Wut des Sultans zu retten.
Khande Rao