Heilung. Wolfgang J Bittner

Heilung - Wolfgang J Bittner


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Jesu für bloße Zeichen der Freundlichkeit Gottes halten, die irgendwie, gar als Machtdemonstrationen, zur Predigt als dem eigentlichen Auftrag Jesu noch hinzukämen. Nein, Jesu Predigt und Jesu heilendes, helfendes Tun sind eine unlösbare Einheit, aus der uns kein Element in den Hintergrund treten darf.12 Es entspricht einer starken geistesgeschichtlichen Tradition, in der wir stehen, wenn wir Jesu Predigt für das alles Entscheidende halten und dem gegenüber Jesu Heilungen, seine Wundertaten nur nebenbei erwähnen, sie aber im Grunde für entbehrlich halten. Man sieht in ihnen bestenfalls noch »Illustrationen« der Botschaft Jesu. Illustrationen mögen interessant sein, sind aber doch unwesentlich. Das Entscheidende liegt, wie man meint, »im Wort allein«. Das klingt zunächst ganz reformatorisch. So werden aber Jesu Wort und Jesu Tun, die doch unlösbar zu einer Einheit zusammengehören, auseinandergerissen und sogar in Gegensatz zueinander gestellt. Mit der Bibel selbst hat solche Argumentation nichts zu tun. Viel eher kann man behaupten, dass für die Bibel das Verhältnis zwischen Wort und Werk Jesu umgekehrt liegt. Es ist das Tun Jesu, das seiner Botschaft den eindeutigen und damit verpflichtenden Charakter verleiht (vgl. Johannes 10,37f; 15,22–24).

      An einem Bericht soll uns dieser doppelte Aspekt der Wirksamkeit Jesu etwas deutlicher werden. Als Johannes der Täufer von Herodes (Antipas, dem Sohn Herodes des Großen) gefangengenommen wurde, hörte er im Gefängnis von den »Werken Christi« (Matthäus 11,2). Da Johannes, wie uns seine Botschaft gut zeigen kann, den Kommenden als den Bringer des großen Gerichtes erwartet und angekündigt hat13, wird er angesichts der Heilstaten Jesu unsicher. Ist es doch noch nicht soweit? Hat er sich in Jesus getäuscht?

      »Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?«, so lautet die Anfrage, die aus dem Gefängnis zu Jesus kommt. Lukas erzählt uns dazu: »In jener Stunde heilte er viele von Krankheiten und Qualen und vielen Blinden schenkte er das Augenlicht« (Lukas 7,21). Das sollen die Jünger des Johannes ihrem Meister berichten, und zwar mit Worten, die genau im Anklang an jene alttestamentlichen Stellen formuliert sind, die von der kommenden Endzeit nicht als von einer Gerichts-, sondern als einer Heilszeit sprechen: »Geht hin und berichtet dem Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde werden sehend, Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote werden auferweckt, Armen wird die frohe Botschaft gebracht …« Beachten wir: Die Jünger des Johannes werden nicht mit Worten, nicht mit einer theologischen Erklärung abgefertigt. Sie sollen sagen, was sie gesehen und gehört haben. Beides ist entscheidend, denn beides gehört unlösbar zusammen. Der Anbruch des Reiches Gottes zeigt sich nicht darin, dass Jesus diesen Anbruch bloß predigt. Das könnte jeder andere auch tun. Man wüsste nicht, ob es sich um einen rechten oder um einen falschen Propheten handelt. Dass das Reich Gottes wirklich anbricht, nimmt man erst wahr, wenn man sieht und hört. Darum erfolgt auf die Anfrage der Hinweis auf die Taten Jesu, die genau das erfüllen, was das Wort der Verheißung im Alten Testament versprochen hat. Jesus erweist sich durch sein Tun als Erfüller des Verheißungswortes.14 »Wieder sind das Hören und das Sehen die Vorgänge, die die Gewissheit zu begründen vermögen … Gottes Königtum wird nicht nur mit Worten beschrieben, sondern wird im Wirken offenbar« (Adolf Schlatter).15

      Heute sagt man gerne, die Taten Jesu, vor allem seine Wunder, seien zweideutig und würden erst für den Glaubenden eindeutig. Das klingt für unser Denken verlockend, entspricht aber in keiner Weise dem biblischen Zeugnis. Was Jesus getan hat, das konnte man, auch als Nicht-Glaubender, sehen. Und wer hat denn zur Zeit von Jesu öffentlicher Wirksamkeit schon an ihn geglaubt? Daran aber, dass man sehen und dieses Sehen mit dem Schriftwort verbinden konnte wie die Johannesjünger, daran sollte und konnte man zum Glauben kommen. Gerade das Sehen-Können stellt in eine Verantwortung, die letztlich unausweichlich ist und den Unglauben unentschuldbar macht. »Hätte ich nicht die Werke unter ihnen getan, die kein anderer getan hat, so hätten sie keine Sünde; nun aber haben sie sie gesehen und haben doch sowohl mich als meinen Vater gehasst« (Johannes 15,24; vgl. 10,37–38).16

      Haben wir anhand des Alten Testamentes gesehen, dass Krankheit in enger Verbindung mit Sünde steht, Heilung also mit Sündenvergebung zusammenhängt, so werden wir fragen müssen, ob sich bei Jesus diese Sicht der Krankheit durchhält, oder ob sich das Bild irgendwie ändert.

      Die Evangelien berichten von der Heilung des Gelähmten, den seine Freunde durch das aufgedeckte Dach zu Jesus bringen (Markus 2,1–12 par.). Natürlich erwarten die Freunde die Heilung des Mannes. Zunächst aber erfolgt durch Jesu Wort etwas anderes. »Mensch, deine Sünden sind dir vergeben!« Diese Art der Formulierung (im grammatischen Passiv, dem sogenannten »passivum divinum«) bedeutete für den damaligen Hörer, dass Jesus dem Mann Gottes vergebendes Handeln direkt zuspricht. Das zwingt die anwesenden Schriftgelehrten zum Protest. Wie kann denn Jesus die Vergebung, die endgültig von Gott im letzten Gericht verkündet werden wird, bereits jetzt als von Gott ergangen zusprechen? »Wer ist dieser, der Lästerungen redet? Wer kann Sünden vergeben außer Gott allein?« (Lukas 5,21 b).

      Hinter diesem Gedankengang haben wir die Aussage von Psalm 103,3 zu erkennen: »Lobe den Herrn …, der dir alle deine Sünden vergibt.« Schon Jesu Zuspruch ist anhand dieses Wortes formuliert, aber auch der Protest der Schriftgelehrten geht von diesem Psalmtext aus. Wie soll es in dieser Frage zu einer Lösung kommen? Nimmt Jesus zurecht den Zuspruch der Vergebung vorweg? Der Psalm gibt uns einen Hinweis. Er sagt ja im selben Atemzug von Gott aus, dass er »alle deine Sünden vergibt und alle deine Gebrechen heilt«. Die darauffolgende Heilung des Mannes wird so zum Erweis, dass im Menschen Jesus von Nazareth Gott selbst als der Vergebende und Heilende nach Psalm 103,3 in die Welt gekommen ist und nun vor den Menschen steht. Die Heilung ist keine weniger wichtige und darum vielleicht entbehrliche Draufgabe zur alles entscheidenden Sündenvergebung. Nein, die Heilung tritt als zweiter Teil des umfassenden heilenden Handelns Gottes, das den ganzen Menschen meint, zur Sündenvergebung hinzu.17 Jesus war mit dem Wort der Bibel, unserem Alten Testament, als dem Wort seines himmlischen Vaters zutiefst vertraut. Er hat darin die Stimme seines Vaters vernommen und anhand der Schrift seinen Weg, den er zu gehen hatte, erkannt.18 Mit der Schrift hat er auch die Sicht vom Zusammenhang von Sünde, Krankheit und Tod geteilt, auch wenn er sich dagegen gewehrt hat, das Wie dieses Zusammenhanges im konkreten Fall für Menschen durchsichtig zu machen.19

      Jesus hat ganz vom Alten Testament her gelebt, in gewissem Sinn aber seine Aussagen vertieft. So hat er die alttestamentliche Sicht der Krankheit unlösbar mit dem Endkampf Gottes gegen den Bösen verbunden. Hinter Krankheit und Sünde, die das Leben der Menschen zerstören, wird das Werk des »Menschenmörders von Anfang an« (Johannes 8,44) sichtbar. So ist Jesus nach dem Zeugnis des 1. Johannesbriefes dazu gekommen, »dass er die Werke des Satans zerstöre« (3,8).20 Damit erweist sich jede Deutung der Heilungen als bloße »Zeichen der Freundlichkeit Gottes« als unzureichend. Es sind Kampfhandlungen, die in den größeren Zusammenhang der Überwindung und Entmachtung des Bösen gehören und mit dem Einbruch des Reiches Gottes in den Machtbereich des Bösen unlösbar verknüpft sind.21

      Am Umgang Jesu mit der Krankheit wird das sogleich sichtbar. Nach Lukas 4,38f liegt die Schwiegermutter Simons mit schwerem Fieber darnieder. Von Jesus heißt es an dieser Stelle, er habe das Fieber »bedroht«. Es ist ein Ausdruck, der sonst bei der Austreibung der Dämonen verwendet wird (z. B. Lukas 4,35).22 Fieber erscheint nicht als eine mehr oder weniger normale Reaktion des Körpers, z. B. auf eine Infektion. Es ist keine Erscheinung, die als normale Lebensäußerung in den Bereich der guten Schöpfung Gottes gehört. Daran wird die Wirkung des Bösen sichtbar, der diese Schöpfung Gottes zerstören will. Darum wird das Fieber von Jesus bedroht und muss weichen.

      Einer kleinen Notiz bei Lukas sollten wir Beachtung schenken. Er sagt, die Frau habe »starkes Fieber« gehabt. Wie sehr solches Fieber einen Menschen schwächt, wissen wir. Und doch stand sie, wie Lukas betont hinzufügt, nach der Heilung »sofort auf und diente ihnen«. Die Heilung Jesu greift in viel tiefere Schichten des


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