Transfer im schulischen Drittspracherwerb des Spanischen. Lukas Eibensteiner

Transfer im schulischen Drittspracherwerb des Spanischen - Lukas Eibensteiner


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ausdrücken. Der Fokus liegt dabei auf der temporalen Domäne der Vorzeitigkeit und der grammatischen Kategorie des Aspekts. In manchen Fällen wird aber auch auf lexikalische und pragmatische Ausdrucksmittel eingegangen. Wenn eine Sprache zwei (teilweise) bedeutungsgleiche Formen besitzt, um (Im-)perfektivität auszudrücken, werden beide Formen beschrieben (z. B. im Französischen bei passé simple und passé composé). Da weder das Plusquamperfekt noch „echte“ Perfekt-Konstruktionen (z. B. das englische present perfect oder das spanische perfecto compuesto) im empirischen Teil der Arbeit untersucht werden, wird nicht weiter auf diese Formen eingegangen. Das Kapitel gliedert sich wie folgt: Nachdem zuerst auf das Deutsche und das Englische eingegangen wird, werden im Anschluss daran das Lateinische sowie die beiden romanischen Sprachen, Französisch und Spanisch, beschrieben.

      2.3.1 Das Deutsche

      Dieses Kapitel startet mit einem kurzen Überblick über die beiden deutschen Vergangenheitsformen, das Perfekt und das Präteritum. Darauffolgend wird argumentiert, dass ihre Semantik weitgehend bedeutungsgleich ist und dass die wenigen Unterschiede pragmatischer oder stilistischer Natur sind. Schließlich wird auf diverse Möglichkeiten des Deutschen eingegangen, Aspektualität auszudrücken.

      Beim Präteritum (z. B. sie machte) handelt es sich um ein Vergangenheitstempus, „[das] eine Situation einem Referenzintervall zu[ordnet], das vor dem Sprechereignis liegt“ (Vater 2007: 53). In der Kleinschen Terminologie heißt dies, dass sich die Topikzeit (TT) vor der Zeit der Äußerung (TU) befindet (vgl. auch Rothstein 2007: 36–39).1

      Im Unterschied zum Präteritum ist die Topikzeit beim Perfekt (z. B. sie hat gemacht) variabel in Bezug auf die Äußerungszeit (vgl. Vater 2007: 64). Ihre Lokalisierung vor der Äußerungszeit stellt die Standardinterpretation des Perfekts dar, dennoch kann durch die Situierung von TT simultan zu TU der so oft diskutierte Gegenwartsbezug erzeugt werden. Ob TT vor oder simultan zu TU lokalisiert wird und damit die Frage, ob eine perfektische2 oder eine vorzeitige Lesart in den Vordergrund rückt, hängt nicht von grammatikalischen, sondern von pragmatischen Verfahren ab (für eine ausführliche Analyse vgl. Klein 1999, 2000; Musan 1999; Welke 2005, 2010). Daraus folgt, dass das Perfekt „in seiner denotativen Bedeutung vollkommen synonym zum Präteritum“ ist (Welke 2010: 20). Seine Grundbedeutung ist demzufolge die eines Vergangenheitstempus, was dadurch deutlich wird, dass es in den meisten Fällen nicht in Opposition zum Präteritum tritt, sondern mit ihm ausgetauscht werden kann.

      Diese weitgehende Austauschbarkeit beider Formen ist ein Zeichen dafür, dass das Deutsche keine obligatorischen, vollständig grammatikalisierten Mittel besitzt, um zwischen perfektiv und imperfektiv zu unterscheiden. Das Deutsche wird somit als Nicht-Aspektsprache gehandhabt (vgl. Andersson 2004; Ballweg 2004; Baudot 2004; Behrens et al. 2013; Bohnemeyer/Swift 2004; Schwenk 2012; Thieroff 1992; Zifonun et al. 1997). Im Hinblick auf die Perfektivität zeigt sich dies insofern, als durch das Hinzufügen eines gegenwärtigen Kontextes Sätze im Perfekt und im Präteritum nicht ungrammatisch werden (siehe conjunction test in Kapitel 2.1.2; Beispiele in Anlehnung an Smith 1997: 194):

(23) Letzten Sommer haben sie ein Haus gebaut. Es kann sein, dass sie das Haus noch immer bauen.
(24) Letzten Sommer bauten sie ein Haus. Es kann sein, dass sie das Haus noch immer bauen.

      Sowohl die Verwendung des Perfekts (Beispielsatz 23) als auch jene des Präteritums (Beispielsatz 24) impliziert nicht, dass das Haus fertig gebaut wurde. Beide Sätze sind somit akzeptabel, was zeigt, dass die Begrenztheit nicht Teil der Semantik der beiden Tempora ist, sondern sich aus dem Kontext ergibt.

      Auch die Analyse mithilfe des Kleinschen (1994) Tempussystems veranschaulicht, dass es zwischen Präteritum und Perfekt keine aspektuelle Unterscheidung im Sinne der Opposition perfektiv/imperfektiv gibt. Zur Illustration wird auf die in Kapitel 2.2 genannten Beispiele in etwas modifizierter Form eingegangen. Durch die questio des Richters wird ein Topikzeit-Intervall etabliert, zu dem die Situationszeit (TSit) in Bezug gesetzt wird. Ist die Topikzeit in der Situationszeit eingeschlossen, wird der imperfektive Aspekt dargestellt; ist TSit jedoch in TT enthalten, der perfektive (vgl. ebd.: 108). Beispielsweise könnte der Richter fragen, was der Zeuge zwischen 14 und 17 Uhr gemacht hat, was einem Topikzeit-Intervall von drei Stunden gleichkommen würde. Der Zeuge könnte das Folgende antworten:

(25) Ich habe einen Kaffee mit Freunden getrunken.
[ – – ]
(26) Ich trank einen Kaffee mit Freunden.
[ – – ]

      Im Anschluss könnte der Richter vom Zeugen wissen wollen, was dieser beim Betreten des Raumes, in dem sich der Tote befand, gesehen hat. In diesem Fall ist TT punktueller Natur und TSit ist nicht auf das kurze Zeitintervall von TT beschränkt. Auf die Frage antwortet der Zeuge Folgendes:

(27) Ein Mann ist auf dem Boden gelegen.
– – – – [–] – – – –
(28) Ein Mann lag auf dem Boden.
– – – – [–] – – – –

      In Sprachen, die über eine aspektuelle Unterscheidung verfügen, müsste für die Relation zwischen Topik- und Situationszeit in den Beispielsätzen 25 und 26 perfektive Morphologie, in den Beispielsätze 27 und 28 hingegen imperfektive Morphologie verwendet werden. Die Beispiele demonstrieren, dass sowohl das Perfekt als auch das Präteritum für dieselben aspektuellen Nuancen verwendet werden kann, und beweisen somit zusätzlich zum conjunction test, dass es im Deutschen keinen Aspekt im Sinne einer grammatischen Kategorie gibt.

      Für die Unterscheidung von perfektiv und imperfektiv greift das Deutsche auf nicht grammatische Mittel zurück (z. B. lexikalische oder pragmatische). Beispielsweise argumentieren Bohnemeyer und Swift (2004; vgl. auch Ballweg 2004), dass die aspektuelle Interpretation in aspektlosen Sprachen von der Telizität der Prädikate abhängt:

      [T]here are languages – e.g. German […] – in which the aspectual reference of clauses or verb phrases […] depends on the telicity of the event predicates they encode (Bohnemeyer/Swift 2004: 264).

      Diesbezüglich führen sie den Begriff der „telicity-dependent aspectual reference“ ein (ebd.: 266). Wird die aspektuelle Information nicht morphologisch markiert, wird den Sätzen basierend auf der Telizität der Prädikate ein Aspekt-Operator zugeordnet:

      By telicity-dependent aspectual reference, we mean the phenomenon that clauses or verbal projections not overtly marked for viewpoint aspect are assigned semantic viewpoint aspectual operators on the basis of the telicity of their event predicates (ebd.).

      Daraus ergibt sich, dass Sätze mit atelischem Prädikat (z. B. die partitive Konstruktion an einem Brief schreiben in Beispiel 29) imperfektiv und Sätze mit telischem Prädikat (Beispiel 30) perfektiv interpretiert werden:

(29) Als ich Marys Büro betrat, schrieb sie an einem Brief. (imperfektiv)
(30) Als ich Marys Büro betrat, schrieb sie einen Brief. (perfektiv)
(Beispielsätze aus ebd.: 268)

      Die Standardinterpretation von Satz 29 ist dementsprechend, dass


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