Seewölfe - Piraten der Weltmeere 698. Sean Beaufort
fragte er, nachdem die Hündin einen Riesensatz getan und zwischen den Farnen und Beerensträuchern unter den Bäumen verschwunden war.
Ihr Knurren und Hecheln wurden leiser, als sie ihre Jagd fortsetzte. Für sie war jede Handbreite des fremden Bodens offensichtlich ein neues Abenteuer. Clint wußte, daß sie auch ohne sein Geschrei zum Lager zurückfand, selbst in der tiefsten Nacht, denn sie hatte ihn bei seinen Überfällen begleitet.
Ihr schauerliches Heulen ließ die Portugiesen an ertrunkene Seeleute, arme Seelen und Geister des Dschungels denken, bescherte ihnen böse Träume, und wenn sie am Morgen entdeckten, was die nächtlichen Geister angerichtet hatten, dann ahnten sie, daß es nicht nur Alpträume gewesen waren. Wieder mußte der Moses grinsen, es lief genau so, wie er sich das ausgemalt hatte.
Er blieb am Rand des Lagerplatzes stehen. Vor einem schrägen Hang, unterhalb einer Barriere aus Gewächsen mit langen Ranken und unzähligen Dornen, wuchs ein niedriger Baum. Die untersten, dicht belaubten Äste spreizten sich weit und schirmten die weichen Moospolster ab.
Hier hatte Clint die Decken ausgebreitet und seine Schätze, für Ameisen und Mäuse unerreichbar, an den Zweigen festgebändselt. Aber bisher hatte er keine Gelegenheit gehabt, eine Funzel oder Feuerstein und Stahl zu stehlen, mit denen er für ein Feuer hätte sorgen können.
„Es geht auch ohne Feuer“, sagte er sich und kroch in den schwarzen Schatten unter den Blättern. Sie raschelten leise, während er darüber nachdachte, wie die nächsten Tage und Nächte ablaufen würden.
Vieles war völlig unsicher. Nur wenige feste Punkte gab es in seinen Gedanken: Er selbst würde immer wieder versuchen müssen, jede einzelne Reparatur so entscheidend zu stören, daß die Schebecke weiterhin bewegungslos in der ruhigen Bucht liegenblieb.
Vielleicht gelang es den Seewölfen, zurückzukehren. Sie wußten inzwischen, daß er verschwunden war, und vielleicht vermuteten sie, daß er sich in der Schebecke versteckt hatte.
Er konnte ihnen nur dadurch helfen, daß er seinen eigenen Krieg gegen Kapitän Luis de Xira weiterführte und verhinderte, daß die Portus die Bucht verließen und weitersegelten.
Er gähnte und streckte sich aus. Als er wieder aufwachte, war die Sonne drei Handbreiten weitergewandert und schien in sein Gesicht. Plymmie lag ausgestreckt quer über seinen Füßen und spitzte die Ohren, als er sich in die Höhe stemmte.
„Wir sehen nach, was unsere Freunde inzwischen geschafft haben, Plymmie“, sagte er und griff nach dem Wasserkrug.
Plymmie brauchte er nichts abzugeben. Sie soff irgendwo im Wald, am Wasserlauf oder an dem Tümpel.
Der Schinken, von dem er eine Scheibe heruntersäbelte, reichte auch nicht mehr lange. Clint zuckte mit den Schultern, er würde schon etwas Eßbares auftreiben. Ohne Eile kaute er auf dem salzigen Fleisch, trank Wasser und packte schließlich den schweren, scharfgeschliffenen Dechsel, der zur Ausrüstung von Ferris Tucker gehörte. Clint hatte das Werkzeug bei seinem letzten nächtlichen Überfall erbeutet und in Sicherheit gebracht.
Er stieß einen leisen Pfiff aus. Gehorsam folgte ihm die Hündin, sprang an seinen Knien hoch und lief vor ihm auf den Aussichtsbaum zu.
Das Fischerboot hatte die Brandung durchstoßen und segelte jetzt, gegen Mittag, quälend langsam nordwärts an der Küste entlang. Schweigend hockten die vier Insassen auf den Duchten. Die stumpfkegeligen, geflochtenen Hüte waren mittlerweile zwar weich geworden und verloren ihre Form, aber sie schützten noch immer vor den grellen Sonnenstrahlen und der Hitze.
Noch immer keine Spur von der Schebecke und der „Stern von Indien“!
Balshak der alte Fischer aus Madras, kannte inzwischen längst sämtliche Sorgen der beiden Engländer und viele ihrer Abenteuer, die sie wegen des Goldes von Ischwar Singh erlebt hatten.
Er legte Dan O’Flynn tröstend die Hand auf die Schulter und sagte in seiner unnachahmlichen Mischung aus Hindi, Portugiesisch, Madras-Dialekt und den wenigen Brocken, die er von Dan und Hasard junior aufgeschnappt hatte: „Hier, an dieser Küste, gibt es viele versteckte Buchten. Ich kenne dieses Land zwar nicht, aber ich habe, wie du weißt, mit vielen Fischern und den Steuerleuten von Händlerbooten gesprochen. Viele Buchten, viele Mündungen, viel Wald. Wir müssen die Augen offenhalten.“
Dan nickte. Schwitzend, müde und halb krank vor Unsicherheit und Enttäuschung, antwortete er: „Ich halte die Augen sehr weit offen, Balshak. Und viel zu lange.“
„Willst du nicht eine Stunde schlafen, Dan?“ fragte Jung Hasard ebenso schläfrig.
Sie hatten einen kleinen Teil des Ölvorrats dazu benutzt, ihre Arme und die Oberkörper einzureiben. Jetzt, gegen Mittag, schien der Wind völlig einzuschlafen. Nicht mal die Brandung war hoch genug, um das schlanke Boot zu gefährden. Trostlos leer zog das Ufer vorbei.
„Von mir aus. Kannst du deine Klüsen noch offenhalten?“ fragte Dan.
„Ich schon. Und mir hilft Nanak, nicht wahr?“ Hasard stand schweißüberströmt auf und hielt sich am Fall fest. „Es gibt nichts zu sehen. Nur Sand, Treibgut und immer wieder Steppe und bewaldete Hügel. Seit dem Morgengrauen haben wir nicht einen Menschen gesehen.“
„Achte auf Mastspitzen, Junge“, empfahl Dan und gähnte.
„Keine Sorge. Ich suche bestimmt nicht nach dem Kielschwein“, erwiderte der junge Seewolf.
Dan drehte sich halb herum, rutschte von der Ducht und streckte sich auf dem zusammengelegten Netz der Fischer aus, das über ihren Vorräten und Teilen der Ausrüstung ausgebreitet war.
Fast unvermittelt schlief er ein, während ein kraftloser Wind aus dem südlichen Sektor das schlaffe Segel wieder blähte. Nicht mal einen Hauch von Kühle brachte der feuchte Süd mit sich.
„Wo ist diese verdammte Galeere?“ fragte Jung Hasard wohl zum hundertsten Male.
In der Nacht waren beide Schiffe plötzlich verschwunden gewesen. Nebel und eine Reihe dunkler Wolken, aus denen warmer Regen herunterrauschte, waren zwischen den Verfolgern und den Verfolgten hindurchgezogen, und als die Nacht vorbei war, waren auch die Schiffe verschwunden – wie von den Wellen weggezaubert.
Entweder hatte sie der Kurs außer Sichtweite nach Osten geführt – das hielten auch die beiden Fischer aus Madras für ausgeschlossen –, oder die Schiffe hatten in eine Bucht verholt, waren hinter einer Huk verschwunden oder in einer Flußmündung gegen die Strömung gesegelt.
Aber – wo steckten sie wirklich?
An Backbord zischten und plätscherten, nicht weiter als drei Kabellängen entfernt, die Wellen an die sandige, verschlickte Küste. Ein paar Schritte oberhalb der niedrigen Schaumstreifen sahen die Insassen des Bootes, wie seit Tagen, die Haufen und die dicken, ineinander verfilzten Rollen des Treibgutes, das im Verlauf der Zeit viele Stürme und hohe Wellen angeschwemmt hatten.
An Steuerbord hob und senkte sich die Brandung über den Sandbänken und den Untiefen. Einzelne Wolken bildeten sich und lösten sich träge wieder auf. Nicht mal die Wedel der wenigen Palmen, die von den Wirbelstürmen stehengelassen worden waren, raschelten.
Die Kimm war leer. Nicht mehr als ein Dutzend schwer beladener, langsamer Boote hatten sie seit dem Morgengrauen getroffen. Drei davon hatten sie angerufen, aber niemand hatte die „Stern“ und das andere fremde Schiff gesehen.
„Wenn sie nicht gesunken sind“, sagte Nanak nach einer halben Stunde lastenden Schweigens, „finden wir sie, Hasard.“
Möwen, Fischadler, Geier und Schwärme kleiner Vögel, die aus dem trockenen Buschwerk hinter den Dünen aufflogen, waren die einzigen Begleiter des Bootes. Balshak hing dösend über dem Bambusgriff der Pinne. Die Gedanken der Männer bewegten sich ebenso träge wie die Dünung, die das Boot hob und senkte.
Das Boot richtete seinen Bug nach Nordosten. Das Ufer ragte in einem weiten Bogen, von vielen kleinen Einschnitten sägeblattartig gefurcht, in den Kurs des Bootes. Der ablandige Wind schob die Nußschale in die gewünschte Richtung, ohne daß das Segel neu getrimmt werden mußte.
Die