Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel. Luzia Pfyl
fragte sie, als Payne sich neben ihr an die Reling lehnte.
Er nickte wortlos und bemerkte, dass an ihren Kleidern immer noch das Blut von Dr. Finnley Baxter klebte, dem Wissenschaftler, der dem Duke das Leben gerettet und dabei einen Arm verloren hatte. Sie wussten nicht, ob er es überlebte. Frost hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, das Blut von ihren Kleidern zu waschen, weil Cecilia wichtiger war.
Die Themse machte eine Biegung. Jetzt konnten sie von Weitem schon die schmale Rauchsäule sehen, die über der Universität stand. Paynes Magen verknotete sich unangenehm. Der Sergeant, der sie geholt hatte und nun auf dem Boot begleitete, hatte ihnen keine Informationen bezüglich Cecilia geben können. Er wusste nur, dass jemand nach ihm und Frost verlangt hatte.
»Cecilia geht es gut, da bin ich mir sicher«, sagte Frost und nahm seine Hand. Die warme Geste überraschte Payne, doch er erwiderte den Druck dankbar.
»Sie hätte heute zuhause bleiben sollen«, sagte er bitter.
»Hey, Payne, lassen Sie das.«
»Was?«
»Das. Ich kenne Ihre Frau zwar fast gar nicht, aber sie machte nie den Eindruck, dass sie sich von irgendwem aufhalten lässt, schon gar nicht von ihrem Ehemann.« Frost grinste, und ihre grauen Augen funkelten. »Cecilia ist taff.«
Am rechten Ufer tauchten die ersten Gebäude des Universitätsgeländes auf. Über ihnen kreisten zwei Luftschiffe des Yards. Die Anlegestelle war durch eine Blockade von Polizeibooten gesperrt. Ihr eigenes Boot verlor an Geschwindigkeit, die Motoren spuckten ruckelnd Dampf aus, als der Kapitän langsam zwischen den Schiffen manövrierte.
»Die Reporter sind wie Aasgeier«, meinte der Sergeant, als er aus der Kabine trat. »Wir mussten die ganze Gegend absperren.«
Payne stählte sich innerlich für das, was nun auf ihn zukam; was auch immer das war. Er durfte die Möglichkeit, dass Cecilia etwas zugestoßen war, nicht einfach ignorieren. Die Rauchsäule hinter der Universität deutete auf ein großes Feuer hin, und das Geheule der Sirenen im Hintergrund ließ ihn erschaudern.
Der Sergeant führte Payne und Frost vom Landungssteg zwischen den Hauptflügeln der Universität hindurch und hinaus in den weitläufigen Park, der sich dahinter anschloss. Überall standen Polizeibeamte, die die Gegend sicherten und nach Spuren absuchten. Ein Mann mit langem Mantel kam auf sie zugeeilt.
»Sind Sie Mr. Payne? Ich bin Inspektor Flannagan. Folgen Sie mir.« Er drehte sich auf dem Absatz um und marschierte die Anhöhe hinauf, bevor Payne oder Frost etwas erwidern konnten. Der Sergeant beeilte sich, seinem Vorgesetzten zu folgen.
»Was ist hier passiert?«, wollte Frost wissen. Sie raffte ihre Röcke und musste beinahe rennen, um mit den Männern Schritt zu halten. »Uns wurde nur gesagt, dass es einen Bombenanschlag gab.«
Der Inspektor drehte sich halb über die Schulter um. »Und Sie sind?« Er blickte auf Frosts blutige Kleider und verzog den Mund abschätzig.
»Lydia Frost. Payne ist mein Partner.« Falls Frost sich ein wenig beleidigt fühlte ob der harschen Frage des Inspektors, so ließ sie sich nichts anmerken.
»Bombenanschlag, in der Tat. Wir haben den Verdacht, dass religiöse Fanatiker dafür verantwortlich sind. Sie wissen schon, christliche Spinner, die immer noch glauben, die Erde sei flach und in sieben Tagen erschaffen worden. Der Direktor der Fakultät hat uns mehrere Drohbriefe übergeben, die einen solchen Anschlag ankündigten.«
»Und warum hat die Polizei sich nicht vorher um diese Drohungen gekümmert?«, verlangte Payne zu wissen. »Meine Frau arbeitet hier, verdammt. Wissen Sie, was mit ihr ist?« Er ballte die Fäuste und musste sich dazu zwingen, ruhig zu bleiben. Es nützte niemandem etwas, wenn er den Inspektor des Nichtstuns bezichtigte, am allerwenigsten Cecilia. Das konnte er später immer noch, sobald er wusste, dass es ihr gut ging und dass sie in Sicherheit war.
»Wir haben die Briefe vorhin zum ersten Mal gesehen, Mr. Payne. Sir Christie, der Direktor, versicherte uns zwar, dass er die Briefe an Scotland Yard weitergeleitet hat, allerdings erst vor wenigen Tagen. Wir sind zurzeit mit dringenderen Fällen beschäftigt, wie Sie sich sicher vorstellen können.«
Payne unterdrückte einen Fluch. Natürlich wusste er, wovon der Inspektor sprach. Die Sache mit den mechanischen Kindern.
Die Sirenen der Feuerwehr wurden lauter. Die Straße, auf der sie gingen, tauchte in ein Wäldchen ein, das die Anhöhe umschloss. Zwischen den Bäumen hing Rauch, sie konnten das Feuer bereits riechen.
»Ist es das Observatorium?«, fragte Payne und versuchte, den schleimigen Klumpen in seinem Magen zu ignorieren.
»Planetarium gleich gegenüber.« Inspektor Flannagan deutete nach links, als sie zwischen den Bäumen hervortraten.
Frost sog die Luft scharf ein. Payne ballte wieder die Fäuste, und sein Herz setzte für einen Moment aus. Das einst prächtige Backsteingebäude mit der kupferfarbenen Kuppel, die das Planetarium beherbergte, war nur noch ein Gerippe aus verkohlten Balken und eingestürzten Wänden. Vereinzelt schossen Flammen in die Höhe. Zwei Feuerwehrwagen standen auf dem Platz davor, und etwa zwanzig Männer waren dabei, die letzten Brandherde zu löschen.
»Wir haben eine Leiche gefunden«, fuhr der Inspektor fort. »Es ist nicht Ihre Frau, Mr. Payne. Es handelt sich um den Hausmeister, wie mir Sir Christie bestätigen konnte.«
Payne wagte es wieder zu atmen, nachdem er beim Wort Leiche die Luft angehalten hatte. »Und wo ist meine Frau? Geht es ihr gut?«
Jetzt wandte sich der Inspektor vollends ihm zu und holte tief Luft. Sein Gesicht nahm einen Ausdruck des Bedauerns an. »Die Sache ist die, Mr. Payne: Die Männer, die den Anschlag verübt haben, sind noch hier. Sie haben sich im Observatorium verschanzt, mit einer Geisel.«
»Die Geisel ist Mrs. Payne«, folgerte Frost sofort.
Inspektor Flannagan nickte. »Wir haben Sie hierherkommen lassen, weil ich möchte, dass jemand hier ist, den Mrs. Payne kennt, sobald wir sie befreien können. Für den Fall, dass sie …« Er drückte sich um das nächste Wort, doch Payne wusste, was der Inspektor sagen wollte. Falls Cecilia hysterisch war. Falls sie verletzt war. Oder noch schlimmer: beides zusammen. Für manche Männer gab es nichts Unangenehmeres als eine hysterische Frau.
Beinahe hätte er laut aufgelacht. Einmal, weil die meisten Männer Frauen, die Emotionen zeigten, gerne sofort als hysterisch und damit als nicht zurechnungsfähig bezeichneten. Und zum anderen, weil der Inspektor Cecilia eindeutig nicht kannte. Cecilia war die rationalste Person, die ihm je unter die Augen gekommen war, und sie hatte einen Pinkerton geheiratet. Hysterie befand sich nicht in ihrem Repertoire.
»Ich verstehe«, sagte er stattdessen. »Hören Sie, Inspektor, ich war Pinkerton in New York. Ich kenne mich mit Geiselnahmen aus.«
»Ich weiß, was Sie mir sagen wollen, Mr. Payne, aber ich glaube, wir haben alles unter Kontrolle. Lassen Sie uns unsere Arbeit tun.«
»Sir, meine Frau ist da drin.« Payne zeigte mit dem Finger auf das Observatorium, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Ich will helfen, Sie lebend da herauszuholen.«
Der Inspektor schüttelte bestimmt den Kopf. »Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, doch wie Sie sagten, Ihre Frau ist da drin. Zudem haben Sie keinerlei Befugnisse, polizeiliche Arbeit zu verrichten. Wie Sie ebenfalls sagten, Mr. Payne, waren Sie Pinkerton. Hier in London sind Sie Zivilist und tun, was ich Ihnen sage.«
»Kommen Sie, Payne, das hat keinen Zweck«, sagte Frost und zog ihn am Ärmel davon. Payne sah noch, wie der Inspektor zufrieden nickte.
»Ich kann nicht einfach hier draußen rumstehen und darauf warten, dass diese Nichtsnutze endlich ihre faulen Hintern bewegen.«
»Nicht so laut, sonst denkt der liebe Inspektor noch, wir würdigen seine harte Arbeit nicht.« Frost lenkte Payne sanft, aber bestimmt zur Straße und ein Stück hinab in das Wäldchen, außer Sicht- und Hörweite der Polizisten. »Also, wie gehen wir am besten vor?«
Payne