Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel. Luzia Pfyl
es in den letzten Tagen von vorne bis hinten durchgearbeitet und untersucht. Burlington spricht mehrmals von einer Bibliothek, einer Sammlung von alchemistischen Büchern aus dem Mittelalter. In den Wirren während und nach Cromwells Regime verlor sich jedoch jede Spur dieser Sammlung, und man nahm an, dass es sie nie wirklich gegeben hat.«
»Moment, nicht so schnell.« Das war Payne. Er gab das Buch an Neville zurück. »Cromwell. Das war dieser religiöse Spinner, der Weihnachten verboten hat, oder?«
»Richtig«, sagten Frost und Neville gleichzeitig. Neville fuhr fort: »Außerdem haben er und seine Leute alles und jeden verfolgt, der aus der Norm fiel. Alchemisten, Naturforscher, Katholiken, Anglikaner und jeden, der mit solchen Dingen in Verbindung gebracht wurde. Deswegen ist von Burlingtons Werk auch so wenig erhalten geblieben.«
»Okay, Jonah, spucken Sie es aus. Was wollen Sie nun von uns?« Frost legte den Kopf schief. Sie hatte eine vage Ahnung, doch sie konnte sich auch täuschen.
Neville atmete tief durch und kam endlich auf den Punkt. »Ich möchte, dass Sie Burlingtons Bibliothek finden.«
Frost fing Paynes skeptischen Blick auf. Das war nicht, was sie erwartet hatten. »Wir sollen eine Bibliothek finden?«
»Das Museum wird für alle finanziellen Aspekte aufkommen. Burlingtons Nachlass ist von enormer Bedeutung für die Wissenschaft, das kann ich Ihnen versichern.« Neville rückte seine Brille zurecht und schaute beinahe flehend von Frost zu Payne und wieder zurück.
»Und diese Bibliothek, diese Sammlung, existiert wirklich noch?«, wollte Payne wissen. »Was ist, wenn sie damals tatsächlich von Cromwells Leuten vernichtet worden ist?«
»Das ist in der Tat eine Möglichkeit«, musste Neville zugeben und räusperte sich verlegen. »Doch ich bin der festen Überzeugung, dass sie noch existiert. Burlington spricht in seinem Buch hier von einem Adelsmann, einem Vertrauten, der die Sammlung in seine Obhut genommen und versteckt hat. Er schreibt, dass er der einzige war, der wusste, wo sich seine Bücher befanden.«
»Der gute Burlington hat nicht zufälligerweise geschrieben, wo dieser Adelsmann wohnte?«, fragte Frost. Sie war noch immer nicht ganz überzeugt von der Sache. Wie sollten sie eine ganze Bibliothek finden? Es gab Abertausende Bibliotheken im Empire, große und kleine Sammlungen, private und öffentliche. Burlingtons Bücher konnten sich theoretisch überall befinden. Seit Cromwells Regime waren über zweihundert Jahre vergangen. Eine lange Zeitspanne, in der sehr viel mit Büchern passieren konnte.
Neville blätterte hastig, aber dabei sehr behutsam durch das Buch, bis er fündig geworden war. »Der einzige Anhaltspunkt, den wir haben, ist York. Burlington war sehr vorsichtig. Hier, sehen Sie.« Er zeigte ihnen eine Seite mit einem Sonett.
Frost stöhnte auf. York. Dort oben gab es fast nur Kohle und einsame Dörfer. Abgesehen von der Stadt York selbst, natürlich, aber das zählte nicht, auch wenn die Kathedrale und die alten Befestigungsanlagen eindrücklich waren. York war praktisch schon Schottland.
»York ist nicht praktisch schon Schottland, Miss Frost«, sagte Neville grinsend. Frost schlug sich die Hand vor den Mund. Hatte sie etwa laut gedacht? »Es liegt noch jede Menge englische Erde zwischen York und der schottischen Grenze, das sollten Sie eigentlich wissen.«
»Tut mir leid«, entschuldigte sie sich etwas kleinlaut und zog die Schultern hoch. Sie würde sich hüten müssen, irgendetwas in der Richtung in York oben zu sagen. Die Leute waren manchmal etwas empfindlich, was ihre Heimat anging.
»Ist das der einzige Hinweis?«, wollte Payne wissen. »Scheint mir ein bisschen dürftig. Selbst ich als ehemaliger Pinkerton brauche ein wenig mehr, um etwas damit anfangen zu können.«
»Es gibt tatsächlich noch mehr Hinweise, Mr. Payne.« Neville blätterte wieder durch das Buch und zeigte ihnen einige Einträge und Zeichnungen. »Allerdings muss man dafür in York selbst sein und Burlingtons Rätsel entschlüsseln.«
»Er hat ein Rätsel hinterlassen?«
Der Bibliothekar nickte. »Für den Fall, dass ihm und seinem adligen Freund etwas zustieß. Er wollte, dass die Bücher irgendwann gefunden werden. Hier, sehen Sie?« Wieder zeigte er ihnen eine Seite. »In der Fußnote steht es.«
Frost kniff die Augen zusammen, um die winzigen Druckbuchstaben zu entziffern. Tatsächlich, da stand wortwörtlich, dass Burlington Hinweise hinterlassen hatte, um seine Sammlung zu finden.
»Ich würde ja selbst gehen, aber ich kann meine Arbeit unmöglich liegen lassen.« Neville lächelte unsicher und schob die Brille die Nase hinauf.
Frost schmunzelte. Übersetzt hieß das, dass sich Jonah nicht traute, alleine nach York zu gehen. Dafür war er zu sehr Bibliothekar und Gelehrter. Es grenzte schon fast an ein Wunder, dass er hierhergekommen war und sie nicht in die King’s Library zitiert hatte.
»Okay, wir machen es.«
»Payne!« Frost drehte sich zum Pinkerton um. Seit wann entschied er, ob sie einen Auftrag annahmen oder nicht?
»Kommen Sie, Frost, das klingt wie eine Schnitzeljagd.« Er grinste über das ganze Gesicht wie ein kleiner Junge, dem man gerade eine Tüte Süßigkeiten geschenkt hatte. »Das wird ein Spaß. Frische Luft, Sie zeigen mir Ihr wunderschönes Land, und nebenbei suchen wir diese ominöse Bibliothek. Ein Kinderspiel.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und maß Payne, dessen sarkastischen Unterton sie sehr wohl gehört hatte, sowie Jonah mit einem abschätzenden Blick. Sie musste sich eingestehen, dass die Sache sie interessierte, sehr sogar. Sie liebte Bücher und Bibliotheken. Und falls sie Burlingtons Sammlung fanden – falls sie denn wirklich noch existierte –, würden sie und die Agentur im ganzen Land bekannt werden. Vor ihrem inneren Auge sah sie schon die Geldscheine, die in ihrem Tresor landen würden. Außerdem waren sie hier zum Nichtstun gezwungen, solange keine weiteren Leichen mit mechanischen Körperteilen aus der Themse gezogen wurden.
»Also gut«, sagte sie endlich und erlöste die beiden Männer. »Wir machen es. Ich kann Ihnen allerdings nichts versprechen, Jonah«, fügte sie warnend an, als sich Nevilles Gesicht freudig aufhellte.
Neville nickte und übergab ihr das alte Buch in einer feierlichen Geste. »Passen Sie gut darauf auf. Es ist einzigartig.«
»Das werde ich, versprochen.« Frost drehte sich zum Pinkerton um. »Gehen Sie nach Hause, Payne. Sie müssen packen. Wir treffen uns um fünf am Bahnhof.«
»King’s Cross?«
»Victoria Luftbahnhof.« Frost wandte sich wieder zu Dr. Neville um und bleckte grinsend die Zähne. »Das Museum bezahlt, nicht wahr, Jonah? Wunderbar. Also reisen wir mit Stil.«
David Cassidy saß am Tisch und löffelte die Hühnerbrühe, die der Mann ihm hingestellt hatte. Wieder einmal. Seit drei Wochen bekam er diese wässrige Brühe und einen Kanten Brot zu essen. Manchmal waren ein paar Brocken Fleisch darin, damit er bei Kräften blieb, wie der Mann sagte.
Die Narbe juckte. David kratzte sich unter dem Hemd, obwohl er es ihm verboten hatte. Die Nähte würden aufplatzen, hatte er gesagt, und dann wäre seine ganze Arbeit dahin. Die eiserne Kette, die an seinem Fußgelenk befestigt war, rasselte, als er sein Gewicht verlagerte.
»Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du ein solcher Erfolg wirst, Nr. 23«, sagte der Mann. Er nannte ihn immer noch Nr. 23, und David hatte es mittlerweile aufgegeben, ihm seinen richtigen Namen zu nennen. »Du erinnerst mich an Nr. 8.«
»Nr. 8?«
Der Mann nickte, und der Hauch eines Lächelns zuckte um seine Mundwinkel. »Beinahe dieselben Körperwerte wie deine. Wundervolle Kreatur. Mein Meisterwerk. Deswegen glaube ich, dass wir beide es noch sehr weit bringen werden.«
»Was ist mit Nr. 8 passiert?« Im selben Moment, da diese Worte seinen Mund verließen, bereute David es. Das Gesicht des Mannes versteinerte sich sofort.
»Iss deine Suppe, Nr. 23. Morgen früh starte ich die neue Testreihe.«
Damit