Die Skrupellose - Schweden-Krimi. Inger Frimansson

Die Skrupellose - Schweden-Krimi - Inger Frimansson


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sagte sie unter der Decke liegend, hielt die Luft an, wartete auf seine Reaktion. Er blies Rauch aus, das hörte sie. »Florian, ich bin so furchtbar unglücklich ... aber ich sage dir noch einmal, dass es zu schnell ging, und wir müssen uns doch um so viele Kinder kümmern, es sind einfach zu viele und wir waren nur zu zweit, ich sage das nicht, um eine Ausrede zu haben, sondern damit du weißt, wie es war. Ich möchte, dass wir diese Sache gemeinsam durchstehen, du und ich, nicht jeder für sich, denn wenn wir zusammen sind und uns gegenseitig stützen und nicht voneinander abwenden ...« An dieser Stelle konnte sie nicht mehr weitersprechen, denn ihr kamen wieder die Tränen.

      Er hätte sich erweichen lassen können, als sie weinte, seine Hände um ihren Kopf legen, sachte ihre Haare berühren können. »Du bist auch nur ein kleines Mädchen, ich bin zu alt für dich, Magdalena, das ist doch verrückt, du bist ja kaum volljährig.«

      »Ich bin dreiundzwanzig!«

      Da war etwas an seinem Geruch und an seiner Art, sie anzusehen. Sie waren sich näher gekommen, als er eines Abends seine Tochter abgeholt hatte. Er hätte früher kommen sollen, hatte aber angerufen und Bescheid gesagt, dass es etwas später würde. Magda hatte an jenem Abend den Kindergarten geschlossen, sie war alleine gewesen, die anderen Kinder waren längst abgeholt worden. Er hatte an die Tür geklopft: »Hallo, gibt es da drinnen ein paar liebe Kinder?« Sie war zusammengezuckt, hatte ein Klingelzeichen erwartet. Angelica hatte wie üblich gemalt, ihre Sachen waren zusammengepackt, ihr Overall lag auf der Bank.

      »Komme ich viel zu spät?«

      Er hatte seinen gelben Schal um den Hals geworfen, wie südeuropäische Männer es tun, wenn der Winter vor der Tür steht. Daunenjacken kamen für sie nicht in Frage, stattdessen wurde nur ein Schal angezogen und der Kragen des Jacketts hochgeschlagen. Sein Gesicht war rosig gewesen, seine Augen waren braun und fröhlich. Angelica hatte sich in seine Arme geworfen. Er hatte Magda angesehen, als er zu dem Mädchen sprach.

      »Bist du heute auch schön brav gewesen?« Der dunkle Kopf hatte genickt.

      »Angelica ist immer brav.« Magda hatte den Overall aufgehoben.

      »Das ist gut!« Er hatte mit dem Kind auf dem Schoß dagesessen und ein wenig über die niedrige Holzbank gestöhnt, hatte seine Beine ausstrecken müssen. Der Fußboden wurde feucht von seinen Sohlen. Als sie Angelicas Füße in den Overall stecken wollte, hatte sie sich hinknien müssen, und daraufhin hatte er nach ihrer Hand gegriffen und ein wenig daran gezogen.

      »Huch, Entschuldigung, ich dachte, das wäre Angelicas Fuß!«

      Zum ersten Mal hatten sie gemeinsam schallend lachen müssen, und das hatte sie alles vergessen lassen, womit sie gerade beschäftigt gewesen waren. Das Kind hatte auf dem Boden gelegen, gelacht und mit den Armen geschlagen.

      Warum dieses unkontrollierte Lachen? War das überhaupt so lustig gewesen?

      »Ich bin mit dem Auto hier«, hatte er gesagt und sich die Augen trocken gewischt. »Ich kann dich nach Hause fahren, es ist immerhin meine Schuld, dass du Überstunden machen musstest, ich hätte viel früher da sein müssen. Aber es kam ein Patient herein, der ausgerutscht war und sich den Fuß gebrochen hatte. Und der Kollege, der mich eigentlich ablösen sollte, ist krank geworden.«

      Sie nahm sein Angebot an.

      Auf dem Beifahrersitz, mit ihm neben sich, hatte sie ihn anstarren müssen, um zu begreifen, was in ihrem Inneren vorging. Es war so lange her. Sie hatte mal einen Freund gehabt, Patrik, aber sie hatten sich mit der Zeit auseinander gelebt. Er wäre sicher gerne mit ihr zusammen geblieben, hatte von einem gemeinsamen Haus und Auto gesprochen, es gab ein leer stehendes Reihenhaus in dem Viertel seiner Eltern auf dem Sandviksvägen in Hässelby.

      Damals hatte sie die ersten Anfälle von Atemnot bekommen, die ausgesprochen quälend gewesen waren. Sie hatte die Knöpfe am Kragen aufreißen, das Fenster öffnen und nach Luft schnappen müssen. Jedes Mal, wenn Patrik über die Zukunft sprechen wollte, ihre gemeinsame Zukunft, bekam sie diese Anfälle, sah aber zunächst keinen Zusammenhang, erkannte ihn erst viel später. Da war sie schon beim Arzt gewesen und hatte Bricanyl bekommen, einen spulenförmigen Inhalator, der ihr das Atmen erleichtern sollte, ihr stattdessen jedoch noch mehr Angst einjagte, sodass sie Herzklopfen bekam. Und außerdem heiser wurde.

      Sie machte Schluss mit Patrik, was hart war, da es ihr schon immer schwer gefallen war, anderen Menschen Kummer zu bereiten. Sie erinnerte sich an sein langes, trauriges Gesicht, an sein Erstaunen. Als hätte er nicht auch längst etwas merken müssen.

      »Wir können uns ja eine Auszeit nehmen«, hatte er schließlich gesagt, und seine Stimme hatte sich verändert, war hell und dünn geworden, eine hässliche, schwache Frauenstimme hatte sich in ihm gebildet und entfremdete ihn ihr nur noch mehr. »Wir beschließen, uns einen Monat nicht mehr zu sehen, in der Zwischenzeit denken wir über uns nach, ich bin mir sicher, das hilft uns weiter, vielleicht brauchen wir einfach mal etwas Abstand voneinander. Oder besser gesagt, du von mir.«

      Er hatte das Gesicht zu einer Grimasse verzogen, die wohl ironisch sein sollte.

      Sie hatte sich darauf eingelassen, aber nur unter einer Bedingung: nicht der geringste Kontakt während dieses Monats, keine Telefonate, keine Mails.

      Es war natürlich aus zwischen ihnen. Sie wollte, dass es ein Ende hatte, brachte ihn schließlich auch dazu, die Trennung zu akzeptieren. Manchmal dachte sie, dass sie sich darauf vorbereitet hatte, einen anderen Mann zu treffen, einen älteren und reiferen, und dann war plötzlich Florian da gewesen.

      Jetzt lag sie in ihrer kleinen Wohnung zusammengekauert im Bett. Florian war in ihrem Zuhause, so nahe, dass sie ihn mit wenigen Schritten erreichen konnte.

      Ihn erreichen?

      Er rauchte, seine Hand lag auf der Türklinke. Jeden Moment konnte er die Tür öffnen, ein kurzer Luftzug und dann würde er fort sein.

      »Ich liebe dich«, flüsterte sie ins Kissen. »Ich liebe dich so sehr und ich brauche dich.«

      Er hörte sie nicht, kein Mensch konnte derart erstickte, halb unterdrückte Worte verstehen. Er sagte nichts. Er zog an seiner Zigarette, und als er den Rauch ausblies, meinte sie eine Veränderung zu erahnen. Langsam zog sie die Bettdecke nach unten, war bereit, zu ihm zu laufen, bereit, seine Verzweiflung anzunehmen.

      Doch als sie die Augen öffnete, war er schon gegangen. So leise, dass sie nicht einmal das Klicken des Türschlosses gehört hatte.

      16. Daniel

      Ich heiße Janna«, sagte sie. Ihre Stimme war kräftig und klangvoll und erinnerte ihn ein wenig an die seiner Großmutter.

      Er fragte: »Kommst du aus der Gegend um Sundsvall?«

      »Ja, stimmt. Woher weißt du das?«

      »Meine Großmutter spricht so ähnlich wie du, wir waren öfter bei ihr, als wir noch klein waren.«

      Er saß an ihrem Küchentisch. Der Flur war leer, ein Stuhl nur, ein paar Kleider, die Türen zu den Zimmern waren geschlossen. Sie goss Sauermilch in eine weiße Schale mit einer Disneyfigur darauf.

      »Möchtest du vielleicht was essen?«

      »Wenn du was dahast.«

      »Du siehst aus, als hättest du Hunger.«

      Er schüttelte stumm den Kopf und sah ihre Hände Käse hobeln, sie waren braun und fest. Janna trug Shorts, stand breitbeinig und barfuß an der Arbeitsfläche, gab Kaffeepulver in den Melittafilter, das Rauschen von Wasser.

      Sie setzte sich ihm gegenüber. Ihr Gesicht war rund und nah, ihre Augen sahen nicht weg. »Jetzt erzähl mal, Daniel«, sagte sie, als würde sie ihn gut kennen.

      »Meine Freundin hat mich rausgeschmissen«, sagte er und biss gierig in sein Brot.

      »So, wie dein Gesicht aussieht, scheinst du dich ganz schön gewehrt zu haben!«

      »Jemand hat ihr geholfen«, sagte er undeutlich.

      »Aha!« Janna nickte.


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