Ein Foto vom Mörder. Göran Norström

Ein Foto vom Mörder - Göran Norström


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      Göran Norström

      Ein Foto vom Mörder

      Aus dem Schwedischen von

      Regine Elsässer

      Saga

      1

      „Ein Mord in Järbo!“ sagte Söder.

      Die Brille rutschte auf Olssons rote Nasenspitze. Trotz seines runden Bauches stand er erstaunlich schnell auf und ging ein paar Schritte auf den Polizeifunkempfänger zu.

      „Das hat doch keinen Sinn“, sagte Söder. „Die machen uns doch was vor wie immer.“ Er meinte den Polizeifunk. „Wenn wirklich etwas Schlimmes passiert, dann versuchen sie, so zu tun, als ob nichts passiert wäre. Damit nicht so viele Neugierige kommen und die Diebe nicht gewarnt werden. Es gibt eine ganze Menge Leute, die ein Radio haben, mit dem sie den Polizeifunk reinkriegen.“

      „Aber man hört doch ganz deutlich, daß etwas passiert ist“, sagte Olsson und fuhr sich mit der Hand durch die roten, schütteren Haare.

      „Man hört, daß ein Präserautomat in der Zentralstraße aufgebrochen worden ist“, sagte Söder.

      „Sie versuchen, nicht zu zeigen, daß sie aufgeregt sind“, sagte Olsson.

      „Red keinen Unsinn“, sagte Söder. „Was sollen wir machen?“

      „Wenn wir doch nur Norström erreichen könnten“, sagte Olsson.

      Aber Norström, der Polizeireporter, einer der besten in ganz Schweden, hatte Urlaub und war verreist.

      Wenn wirklich einmal etwas passierte, war er nicht da, ansonsten wohnte er fast auf dem Polizeirevier. Und wenn er nicht auf dem Revier war, hörte er überall den Polizeifunk. Er hatte sogar auf dem Klo einen Lautsprecher.

      „Tja“, sagte Olsson, „und was machen wir jetzt?“

      „Das ist dein Problem“, sagte Söder, „du bist schließlich Redaktionssekretär.“

      „Ich hab noch nie etwas mit einem Mord zu tun gehabt“, sagte er. Seine blasse Haut wurde noch blasser, und die Sommersprossen sahen aus wie Zecken, die sich in den Backen festgebissen hatten. Dann streckte er sich, schlug mit der Faust auf den Tisch und sagte: „Zum Teufel, ausgerechnet dann, wenn man ihn am nötigsten braucht, ist er nicht da.“

      „Jetzt reg dich nicht über Norström auf“, sagte Söder.

      „Vielleicht kann man ihn erreichen“, sagte Olsson.

      „Von Gävle nach Gotland ist es ziemlich weit“, sagte Söder.

      Und in der Redaktion war schließlich bekannt, daß es für Norström nur zwei Sachen gab, die ihn interessierten: die Arbeit und seine Blumen. Die Diebe und die netten Orchideen, wie er selbst immer sagte.

      Olsson machte die Augen zu. Er tat mir richtig leid, wie er da so an der Wand lehnte und immer blasser wurde, während im Polizeifunk vom Kondomautomat in der Zentralstraße gequasselt wurde.

      „Woher weißt du, daß in Järbo ein Mord passiert ist?“ fragte Olsson.

      „Ich habe es von einem zuverlässigen Kollegen erfahren“, sagte Söder. „Die Arbeiterzeitung ist bestimmt schon dort.“

      Die Redaktion der Arbeiterzeitung lag schräg über die Straße und war fast so groß wie das Gävle Tagblatt. Sie konkurrierten immer um die neuesten Nachrichten.

      „Du weißt doch, daß nicht einmal ein Fotograf im Haus ist“, sagte Olsson.

      „Und wo ist Evert?“

      „Beim Blumenkorso in Furuvik.“

      „Da geht es sicher nur um Blumen“, sagte Söder.

      „Margaretha, du und ich“, sagte Olsson und knabberte an seiner Unterlippe, bis auch die weiß war. „Drei Leute und ein Mord in Järbo.“

      „Wir sollten uns vielleicht etwas beeilen“, sagte Söder, „bevor es dann schon zwei sind.“

      Söder hätte wenigstens so tun können, als ob ich auch noch da wäre. Im letzten Sommer hatte ich einige Fotos gemacht, die gar nicht so schlecht waren. Eins war sogar so gut, daß es eine ganze Seite im Express bekam.

      Und jetzt schien ich überhaupt nicht vorhanden zu sein. Aber da nickte Söder in meine Richtung: „Über den Fotografen brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Aber was ist mit dem Umbruch?“

      Olsson schwieg und tat mir immer mehr leid. Er war aus Schonen, und schon allein wegen seines Dialekts schauten manche Leute ihn mißtrauisch an, als ob er irgendwie anders wäre als wir hier oben in Gästrikland.

      Olsson holte ein paarmal tief Luft, sein Bauch wölbte sich mächtig dabei, und ein Hemdknopf platzte ab und schoß wie eine Kugel in den Dokumentenschrank neben der Tür. Es hörte sich an wie ein Pistolenschuß.

      Söder und Olsson fingen beide an zu lachen, und die gespannte Atmosphäre löste sich.

      „Tja“, sagte Söder, „da kann man ja von Glück reden, daß man nicht im Weg stand.“

      „Du“, sagte Olsson, „nimm Margaretha mit, ich kümmere mich auch um die Familienanzeigen.“

      „Komm“, sagte Söder und nickte mir zu.

      Ich nahm die Fototasche über die Schulter und ging hinter ihm her. Er lief in langen Schritten den Flur entlang und hinunter zu Margaretha.

      Es war kurz nach vier, Mitte Juli, eine Hitzewelle lag über der Stadt, die wie ausgestorben war. Von weitem konnte man die Autos auf der Umgehungsstraße hören; Touristen, die vorbeifuhren, ohne anzuhalten. Niemand konnte sich vorstellen, daß es in dieser Stadt etwas Sehenswertes gab, nur wenige wußten, daß es hier genauso schöne Stellen gab wie anderswo.

      2

      Als wir durch die Ebene fuhren, war die Hitze fast unerträglich. Margaretha saß vorne neben Söder und roch leicht nach einem angenehmen Parfum. Ich saß halb und lag halb auf dem Rücksitz. Alle Fenster waren offen, und Söder fuhr sicher hundert, aber die Luft, die zum Fenster hereinkam, war nur heiß. Margarethas Haare kringelten sich in der Hitze, und in Söders Locken hingen Schweißtropfen.

      Söder war über dreißig und ich sechzehn. Trotzdem war er mein bester Freund. Er hat mich im letzten Sommer dazu überredet, zur Zeitung zu gehen und dabeizubleiben, wenn die Fotografen Arbeit bekamen.

      „Wenn du Fotograf oder Journalist werden willst“, hatte er gesagt, „dann mußt du einfach immer da sein. Am Schluß glauben sie, daß du angestellt bist. Und dann wirst du auch angestellt.“

      Margaretha drehte sich zu mir um und sah besorgt aus.

      „Wenn dir was passiert!“ sagte sie.

      „Da wartet er doch gerade drauf“, sagte Söder.

      „Er ist doch fast noch ein Kind“, sagte Margaretha.

      „Er ist Fotograf und Journalist“, sagte Söder.

      Margaretha schüttelte den Kopf, dann legte sie heimlich, damit ich es nicht sah, ihre Hand auf Söders Bein.

      Ich hatte nichts dagegen. Wenn mein Bruder von seinen Mädchen redete, mochte ich nicht zuhören, alles klang dann so verächtlich. Aber wenn Söder von Margaretha sprach, dann klang das so, als ob das mit der Liebe ganz schön wäre. Und Margaretha gehörte zu den wenigen Menschen, die mir so über den Kopf streicheln konnten, daß ich am ganzen Körper Gänsehaut bekam. Söder war schon einmal verlobt gewesen, hatte er erzählt. Aber das Mädchen, das er gemocht hatte, war gestorben. Vielleicht gönnte ich es ihm deshalb, daß es ihm mit Margaretha gut ging. Sie hatte große, blaue Augen und ein Lächeln, das ich besonders mochte. Aber als sie sich jetzt wieder zu mir umdrehte, lächelte sie nicht.

      „Du hättest was Warmes zum Anziehen mitnehmen sollen. Falls es spät wird.“

      „So spät kann es gar nicht werden, daß es nicht noch warm ist“, sagte Söder und fuhr langsamer, weil wir nach Sandviken kamen.

      „Wenn es kühl wird,


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