Ein Foto vom Mörder. Göran Norström
wäre. Es war vielleicht ungerecht, daß ich das dachte, aber ich hatte so ein Gefühl.
„Sollst du unten auf dem Gästgivarhof fotografieren?“ fragte Onkel Erik.
„Ja“, sagte ich. „wenn’s geht.“
„Na, du kennst dich ja aus, das ist doch ein Vorteil.“
Tante Erika fragte, ob ich Hunger hätte oder wenigstens Zeit für eine Tasse heiße Schokolade.
„Heiße Schokolade bei so einer Hitze“, sagte Onkel Erik und nahm sie freundlich um die Schultern.
Genauso wünsche ich mir, daß Papa mal zu Mama wäre. Aber das war sicher schon wieder ungerecht. Was wußte ich über Papas Berührungen. Er will sie vielleicht nur nicht vor mir zeigen.
„Draußen im Auto warten zwei Journalisten“, sagte ich.
„Aber bitte sie doch herein, um Gottes Willen“, sagte Tante Erika.
„Journalisten haben es immer eilig“, sagte Onkel Erik, der offensichtlich merkte, daß ich los wollte.
„Wir sehen uns schon noch“, sagte ich und schaute erst Tage und dann Tante Erika an.
„Du weißt, daß es hier immer ein Bett für dich gibt“, sagte Tante Erika.
Ich sagte tschüs, rannte über den Hof und machte die Wagentür auf. Söder saß hinter dem Steuer und trommelte mit den Fingern. Margaretha schaute in den Spiegel und preßte die Lippen zusammen, die sie gerade geschminkt hatte.
„Du bist schon recht“, sagte Söder freundlich und bog auf die Straße ein. Ich zeigte ihm den Weg zum Gästgivarhof.
4
An der Abzweigung zum Gästgivarhof wimmelte es von Polizisten und Autos. Söder zeigte seinen Presseausweis und durfte den Volvo am Birkenhügel parken, an dem Rastplatz, wo sich im Winter die Leute drängten.
Am Tor zum Gästgivarhof war ein Seil gespannt, an dem ein Schild hing, das den Leuten verbot, das Gelände zu betreten. Hinten zwischen den Kiefern konnte man den Schuppen ausmachen. Ich hätte mindestens ein 200 mm-Teleobjektiv gebraucht. Mit meiner Ikoflex war ich völlig hilflos. Söder versuchte, etwas aus den Polizisten herauszubekommen, Margaretha setzte ihr allerliebstes Lächeln auf, aber sie bekamen immer die gleiche Antwort:
„Reden Sie mit dem Landrat.“
Der Wolkenbruch war in ekelhaften Nieselregen übergegangen. Durch das Gewitter war es kühler geworden, und ich fror ein bißchen, als ich die Böschung zum Fluß hinabrutschte. Ausgerechnet hier war sie steil. Der Kies gab nach, und ein Felsbrocken rollte hinunter und verschwand im schwarzen Wasser. Der Uferstreifen war schmal und lehmig. Baumwurzeln schlängelten sich in den Fluß. Weiter draußen war die Strömung ziemlich stark. An manchen Stellen hatten die Kiefern den Halt am Flußufer verloren, waren umgestürzt und lagen nun als Hindernis quer über dem Wasser.
Als ich mich unter einem umgefallenen Baum bückte, riß ich mir das Hemd im Rücken auf. Es machte ein unangenehmes Geräusch, und ich spürte, wie die Haut am Rükken aufgekratzt wurde, als ob mich jemand mit einem Messer schneiden würde. Außerdem rutschte ein Stein, auf den ich trat, weg. Ich fiel hin und blieb auf dem Bauch liegen. Vielleicht lag auch Egon Bergström so auf dem Boden. Ich blieb liegen und versuchte, mir vorzustellen, wie es ist, in den Rücken geschossen zu werden. Ob er wohl große Schmerzen hatte, bevor er starb? Ob er vielleicht nicht mehr gespürt hatte als ich eben, als der Zweig mich aufgeritzt hat, und dann war alles dunkel geworden? Ich machte die Augen zu.
Als ich sie wieder aufschlug, sah ich nur ein paar Meter weiter weg sieben Nerze sitzen. Ich blieb so still liegen wie möglich, holte vorsichtig die Ikoflex aus der Fototasche, schaute durch den Sportsucher und machte zwei Aufnahmen, 500stel Sekunde, Blende acht.
Die Nerze blinzelten, als ob man ihnen zu nahe getreten wäre, und verschwanden in verschiedene Richtungen.
Da draußen im Wasser war der Felsen, von dem aus ich meine größte Äsche gefangen hatte. Und da hinten hatten wir sie über dem Feuer gegrillt, als Egon Bergström dazugekommen war.
Ich kletterte hinauf. Kein Seil versperrte den Weg. Knapp fünfzig Meter von mir entfernt war der Gästgivarhof. Polizisten liefen umher. Einige hatten Maßbänder. Sie wollten offensichtlich wissen, wie weit es vom Holzschuppen zum Haus ist. Zwei Schäferhunde waren an der Fahnenstange angebunden.
Hier gab es keine Absperrungen mehr. Niemand konnte mir etwas anhaben. Ich konnte es ohne weiteres riskieren, ein bißchen näher zu kriechen. Ich schlich von Baumstamm zu Baumstamm. Der Regen wurde dichter. Es wurde dunkel wie an einem Herbstabend, und der Wind wurde stärker. Er blies mir ins Gesicht. Die Schäferhunde konnten also keine Witterung bekommen. Ich stand auf und machte ein paar Fotos, falls man mich entdecken und wegjagen würde. Dann kroch ich weiter. Das Moos und die Preißelbeerbüsche waren patschnaß. Ich hatte fast das Gefühl zu schwimmen. Jetzt war ich an der letzten Kiefer vor dem Hof. Ich konnte die Stimmen hören. Es waren sicher ein Dutzend Polizisten, zwei davon in Zivil. Einige suchten etwas zwischen den Johannisbeersträuchern, andere krochen unter das Wohnhaus, das auf großen Steinen unter den Ecken ruhte.
Mir wurde plötzlich klar, daß ich mich auf verbotenem Gelände befand. Sie hatten nicht damit gerechnet, daß jemand auf diesem Weg kommen würde, und es deshalb nicht für nötig gehalten, mit einem Seil abzusperren. Die Stimmen auf dem Hof verstummten. Einer von den Zivilen schaute in meine Richtung. Ich drückte mich an den Stamm.
Hatten sie mich entdeckt? Kamen sie auf mich zu? Hatten sie die Pistolen gezogen und schlichen auf Zehenspitzen? Ich wollte am liebsten laut rufen, daß ich es war. Sie dachten wohl, daß es der Mörder sei, der zurückgeschlichen kam. Man sagt ja, daß Verbrecher immer an den Ort des Verbrechens zurückkehren.
Mein Herz schlug so laut, daß das Geräusch sich in den Kiefernstamm fortpflanzen mußte. Aber bevor sie kamen und mich festnahmen, mußte ich ein Foto machen. Deswegen war ich schließlich hier. In diesem Augenblick kam mir die Kamera wie die einzige Sicherheit vor. Ich maß das Licht. Ich wollte kein Risiko eingehen. Das konnte mein letztes Bild sein. Vielleicht standen sie schon mit gezogenen Pistolen da. Jemand könnte aus Übereifer oder aus Versehen schießen. Ich spähte durch die Bäume, schaute durch den Sucher und drückte auf den Auslöser.
Erst sah ich gar nicht, was ich für ein Motiv im Sucher hatte. Dann erkannte ich, daß einige Polizisten im Kreis auf dem Boden des Hofes hockten. Das sah witzig aus. Als ob sie gleich singen würden: ‚Häschen in der Grube.
Ich wartete eine Weile hinter dem Kiefernstamm. Schräg hinter dem Dach von Egon Bergströms Schuppen ragte der Kungsberg fast senkrecht in die Höhe. Man konnte ihn in dem Regen nur ahnen.
Jetzt wurde es auch noch neblig. Der Nebel zog wie Rauchschwaden über den Hof. Ich machte noch ein paar Aufnahmen. Dieses Mal nahm ich mir Zeit. Ich zählte sieben Polizisten, die immer noch im Kreis saßen und so leise redeten, daß ich nichts verstand.
Einer der Zivilen, der einen langen, schwarzen Regenmantel anhatte, kam näher. Er kam auf den Baum zu, hinter dem ich mich versteckte. Er ging die ganze Zeit rückwärts, und genau wie ich hatte er eine Kamera in der Hand. Es war eine Rolleiflex. Er bemerkte den Stamm erst, als er dagegen stieß. Ich hielt den Atem an. Er fluchte und ging am Baum vorbei. Er wollte vermutlich ein Übersichtsfoto haben.
Ich schlich um den Stamm. Er mußte mich doch gleich sehen? Offensichtlich nicht, er war ganz mit dem Fotografieren beschäftigt. Ich weiß, das kann Vorkommen, daß man manchmal nicht mehr merkt, was um einen herum passiert, wenn man was richtig Tolles im Sucher hat. Aber jetzt konnten sowohl er als auch die sieben hockenden Polizisten mich sehen. Die waren aber mit etwas beschäftigt, was mich neugierig machte. Es sah aus, als ob sie bei einem spannenden Wettbewerb zuschauten oder Karten spielten.
„Jungs“, sagte der andere Zivile, „es hat keinen Sinn, noch weiter nach Geld zu suchen.“
„Wenn überhaupt Geld da ist“, sagte der, der mit der Kamera neben mir stand.
Er ging mit festen Schritten zum Schuppen, kniete