Ein Foto vom Mörder. Göran Norström
Hof gegeben. Er war übrigens alt, Onkel Erik hatte das erzählt. Bestimmt über zweihundert Jahre alt.
Egon Bergström hatte keine Tiere gehabt, außer einem grauen Hund, der im letzten Frühjahr im Eis auf dem Fluß eingebrochen und ertrunken war. Egon war immer Junggeselle gewesen und hatte sich nie darüber beklagt, hatte Onkel Erik erzählt. Er wohnte gerne allein und ein bißchen abseits, vielleicht um nicht gestört zu werden oder um selbst niemanden zu stören.
Als ich genau hinschaute, sah ich, daß ein Stock in dem Loch steckte. Der mit der Kamera trat wieder zurück und wies die sieben im Ring an, wegzugehen. Sie traten beiseite. Da lag auf einer Plane im Gras Egon Bergström. Es sah zumindest so aus, als ob er es wäre. Ich erkannte ganz genau die braune Cordweste und das graue Hemd, das er angehabt hatte, als wir die Äsche gegrillt haben. Das Gesicht konnte ich nicht sehen.
„Es ist gut, Leute“, sagte der mit der Kamera und machte eine Aufnahme nach der anderen.
Neben der Luke stand eine Leiter an das Dach des Schuppens gelehnt. Ich beugte mich vor und drückte auf den Auslöser. Ich nahm mir Zeit. Es mußte ein Superbild werden.
„Halt das Gewehr ein bißchen weiter nach unten“, rief der mit der Kamera. Und der Stock in der Hühnerluke wurde gesenkt.
Da drinnen hatte also der Mörder gelegen. Und ich hatte ein Foto davon gemacht, wie der Mord geschehen war. Im gleichen Moment stand Egon Bergström auf. Ich schaute zweimal hin. Es war wahr. Er zog sich die Cordweste aus, und einer der Polizisten gab ihm einen Regenmantel.
„Pfui Deibel“, sagte er, „das war richtig gruselig.“
Es war nicht Egon Bergströms Stimme. Jemand hatte seine Kleider angezogen. Sie hatten die Situation rekonstruiert, alles so ähnlich wie möglich gemacht. Ich mußte mich jetzt zum Flußufer zurückschleichen, ohne daß mich jemand entdeckte. Ich glitt am Stamm hinab und kroch auf Händen und Knien zur nächsten Kiefer. Ab und zu drehte ich mich um, um zu sehen, ob mich jemand bemerkt hatte. Es war immer noch ein gutes Stück, bis ich nicht mehr gesehen werden konnte. Aber ich stand auf und lief los. Da trat ich auf einen Zweig. Ich drehte mich um und sah, daß alle in meine Richtung schauten. Ein Schäferhund bellte. Jetzt waren es nur noch ein paar Meter bis zum Flußufer. Das Hundegebell wurde aufgeregter. Ich warf mich über die Böschung, drehte mich auf den Bauch, kletterte wieder ein Stück hoch und schaute zurück.
Einer der Polizisten machte die Leine von der Fahnenstange los, der Hund schnüffelte nach meiner Spur und fand sie auch sofort. Ich mußte ganz schnell etwas tun. Ich verstand eigentlich nicht, warum ich gejagt werden sollte. Ich war durch keine Absperrungen gedrungen, hatte mich nicht auf verbotenem Gelände befunden.
Diese Ausreden halfen mir nicht. Ich hatte etwas gesehen, was kein Außenstehender sehen sollte. Das war mir klar. Es hatte keinen Sinn, daß ich mich verteidigte. Ich watete ins Wasser. Es ging jetzt bloß noch um eins: Die Bilder für die Zeitung zu retten. Ich spürte allerdings schon, wie die Angst sich wie eine Faust um den Magen schloß. Ich kam außer Atem, aber stapfte weiter durch das sandige Flußbett. Es wurde erst am anderen Ufer tief, das wußte ich. Dort hatte der Fluß auch Strömung. Ich hatte allerdings keine Ahnung, wie tief er war und wie stark die Strömung. Jetzt ging mir das Wasser bis an die Knie.
„Stehenbleiben!“ rief eine Stimme am Ufer.
Ich drehte mich um und sah einen Polizisten mit dem Schäferhund.
Der Hund zögerte, vielleicht war er wasserscheu.
Das Wasser wurde tiefer und der Angstknoten im Magen härter. Es waren nur noch ein paar Meter. Da gab der Boden nach. Ich versuchte zu schwimmen. Die Strömung nahm mich mit, Meter für Meter.
„Stehenbleiben!“ rief der Polizist noch einmal. Jetzt waren mehrere Stimmen am Ufer zu hören. Jemand watete mir hinterher.
Ich schluckte Wasser, hustete und wurde immer schneller von der Strömung weitergetrieben.
Der Knoten im Magen hatte sich aufgelöst. Ich hatte keine solche Angst mehr. Ich konnte noch ein ganzes Stück im Wasser treiben. Sie würden mich nicht kriegen.
„Stehenbleiben!“ rief der Polizist zum dritten Mal.
Selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich bei dieser Strömung nicht gehorchen können. Die Fototasche hielt ich immer noch über den Kopf. Ich stieß an einen Baumstamm, der sich wie eine Brücke über den Fluß streckte. Ich konnte ihn leicht fassen. Ich zog mich hoch, drehte mich um und sah, daß zwei Polizisten in den Fluß gewatet waren. Aber sie waren bestimmt zweihundert Meter weit weg.
Auf allen vieren kroch ich den Stamm entlang an Land. Hier war die Uferböschung nicht so steil. Ich kletterte schnell hoch. Da fiel ein Schuß von der anderen Seite. Er hallte in den Bergen wider, vervielfältigte sich und klang wie eine ganze Salve.
Ich warf mich flach auf den Bauch, wartete ein paar Sekunden. Weiter vorne fing ein dichter Nadelwald an, da wäre ich schon geschützt. Die Gefahr bestand darin, daß die Polizisten, die in den Fluß hinausgewatet waren, gegen die Strömung ankamen, die Böschung hochklettern und mich einholen konnten. Da könnte ich dann nicht mehr auf dem nächsten Weg zur Absperrung am Gästgivarhof zurückfinden. Da warteten inzwischen sicher Söder und Margaretha auf mich.
Wenn ich dem Fluß folgen würde, müßte ich bis zur Norrbybrücke laufen und mich dann am Fuß des Berges entlangschleichen. Das würde lang dauern, und außerdem kannte ich mich da auch nicht so gut aus.
Ich riskierte es, lief in den Wald und fand einen Wildpfad, der zur Eskilsbrücke hinaufführte. Von da waren es nur ein paar hundert Meter bis zur Absperrung am Gästgivarhof.
Sie konnten mich jeden Moment einholen. Ich rannte so schnell ich konnte. Zweige schlugen mir ins Gesicht. Ich konnte schon die Konturen der Eskilsbrücke sehen. Da könnten Polizisten stehen und den Fluß bewachen. Ich durfte also nicht direkt über die Brücke gehen, auch nicht über die Straße laufen, die zur Brücke führte. Ich konnte immer gesehen werden.
Der Nebel war dichter geworden, immer größere Nebelfetzen zogen über den Fluß. Vielleicht war das meine Rettung. Da vorne, nur zehn Meter weit weg, war die Brükke, eine alte Holzbrücke, die bald abgerissen werden sollte. Und das war ein großer Skandal, fand Onkel Erik. Hier hatte es seit Jahrhunderten eine Brückenverbindung über den Fluß gegeben. Man soll alte Traditionen nicht einfach abreißen, hatte er gesagt. Es war ein Glück, daß sie noch nicht abgerissen war, dachte ich und kroch unter die Brücke und lehnte mich an den Brückenpfeiler.
Aber hier konnte ich nicht ewig sitzenbleiben. Mir war auch noch nicht klar, wie ich über den Fluß kommen sollte, die Strömung war hier viel zu stark, als daß ich hätte durchwaten können. Ich würde unweigerlich umgeworfen und vielleicht gegen einen Felsen geschleudert.
Da kam mir die Idee: Ich mußte mich hochziehen und mich mit den Armen an dem Balken entlanghangeln, an dem die Brückenbohlen befestigt waren. Nicht daß ich besonders kräftige Arme gehabt hätte. Aber im Moment sah ich keine andere Lösung.
Die Fototasche war schwer. Wenn ich sie hier am Brükkenpfeiler verstecken und sie auf dem Heimweg abholen würde? Ich verbarg sie unter ein paar Ebereschenzweigen. Dann griff ich nach dem Balken und los ging’s. Die ersten paar Meter waren kein Problem. Unter mir grollten Felsenbrocken in der Strömung. Es waren sicher drei Meter bis zum Wasser. Aber als ich bis zur Mitte gekommen war, stieß ich mir einen Splitter in den rechten Zeigefinger. Es tat teuflisch weh. So weh, daß ich wütend wurde.
Beide Oberarme waren schon taub. Ich machte die Augen zu, hangelte mich weiter und stellte mir vor, daß wir in der Turnhalle Schiffbruch spielen würden. Als ich die Augen wieder aufmachte, schlug ich mit dem linken Bein an den Brückenpfeiler. Ich schaute nach unten, ließ los und fiel genau in die Krone einer jungen Birke. Der Baum bog sich, als ob er mich vorsichtig auf das Ufer hinunterlassen wollte. Dann die Böschung hoch, die Straße entlang bis zur Absperrung und zu Söder und Margaretha, die eng umschlungen dastanden. Sie hatten sich unter einen Baum gestellt und sahen aus, als ob sie auf einem Sonntagsausflug wären.
„Ah, du bist es“, sagte Söder, „warst du schwimmen?“
„Ich