Die Hand der Fatme. Rudolf Stratz
Schlupfwinkel, bis die Sonne wieder einmal ihren zornigen Tageslauf vollendet und tröstendes, mildes Sterngeglitzer am Nachthimmel aufstieg.
Der Reiter hielt auf eines der überall in der Ebene verstreuten Römerbollwerke zu, in dem wohl einst vor fünfzehnhundert Jahren einer der grossen Grundherren des Landes mit Weib und Kind und Sklavengesinde gehaust hatte. Niemand wusste mehr etwas davon, niemand hatte auch nur einen Namen für dieses Gemäuer oder eines der vielen anderen, die die Ebene bis zum Horizont füllten. Nur ein Wahrzeichen kannte man da: die beiden einsamen, ungebrochenen Säulen, die in der spielerischen Schönheit ihres marmornen Schnitzwerks wie zwei Wegweiser mitten in der Wüste standen. Sie waren ein Richtpunkt. An ihnen vorbei lief der Saumpfad gen Süden.
Den erreichte jetzt der Reiter, und sein Schimmel merkte, dass die Karawanserei nicht mehr fern war. Dieser setzte sich, halbverdurstet wie er war, von selbst in Galopp. Auch hier, auf der hauptsächlich durch Räderspuren im Sand bezeichneten grossen Verkehrsstrasse, war kein Mensch. Nur ganz in der Ferne schimmerte das weisse Sonnendach einer Arabâ, des landesüblichen, federlos zwischen zwei Riesenrädern schaukelnden und von ein paar Maultieren gezogenen Kastens, in denen die reisten, die nicht reiten wollten oder konnten: Frauen, Handelsleute mit Waren, Kranke. Es ging unbequem und langsam genug, sosehr auch der vorn rittlings auf der wippenden Deichsel sitzende braune Fuhrmann die Tiere antrieb. Doch holte, bei der weiten Entfernung zwischen ihnen, der Reiter das Gefährt nicht mehr ein. Das war schon verschwunden, als er endlich von der Höhe einer kleinen Steppenwellung aus die Karawanserei vor sich liegen sah.
Das Rasthaus, ein niedriges, festungsähnlich einen Innenhof umschliessendes steinernes Viereck, war da gebaut, wo es Wasser gab. Und der Brunnen hier stammte noch aus Römerzeiten. Ein langes, rechteckiges Becken war da aus gigantischen Blöcken in die Erde hinein ausgemauert und speiste sich aus einer unterirdischen Quelle. Der Brunnenspiegel war trübe. Eine Staubschicht, tote Tiere, Strohhalme schwammen darauf, Frösche ruderten in ihm umher. Aber es war doch das Nass, das Labsal und die Lebensbedingung der Wüste —, und so hatte sich denn auch auf der anderen Seite der Zisterne, gegenüber der Karawanserei, ein ganzer Beduinenstamm angesiedelt. Ein Dutzend niedriger, rauchgeschwärzter Zelte stand da nebeneinander, in deren erstickend heissem Innern die Männer und Weiber der Nomadentruppe ruhten. Nur ein paar rote und blaue Kleiderfetzen halbwüchsiger Mädchen schimmerten herüber, ein paar Köter bellten, und näher am Wege stand, die äsende Kamelherde bewachend, ein einzelner braungebrannter Hirt mit breitkrempigem Strohhut und in weissem Burnus. Er nickte dem Europäer zu und grinste dann spitzbübisch hinter ihm her.
Der Jäger war inzwischen durch das Tor der Wüstenherberge geritten und sorgte im Hof, in dem schon die eben angekommene Arabâ stand, vor allem für sein Pferd. Erst als das verpflegt war und sich behaglich am Boden wälzte, fragte er den neben ihm stehenden, von der Regierung mit der Aufsicht über die Karawanserei betrauten Araber, ob noch Platz für die Nacht sei. Gewiss, im Schlafraum sei erst ein junger Dattelreisender aus Marseille. Das andere Gemach sei von drei Frauen mit Beschlag belegt, die vorhin eingetroffen seien.
Aber kaum hatte er die Schlafkammer betreten, einen halbdunklen, weissgetünchten, backsteinbelegten Raum, in dem drei eiserne Bettstellen mit Strohsäcken und ein paar Stühle standen, da hörte er den Marseiller, während der sich das Kinn zum Rasieren einseifte, mit schmachtender Stimme singen:
„dites donc, ma belle!
où est votre amant?“
Der elegante, quecksilberne Knirps, der, wie die erste Schwalbe im Frühjahr, seinen Berufsgenossen, den übrigen erst im Herbst zur Zeit der Ernte eintreffenden Dattelreisenden, vorausgeeilt war, um jetzt schon in den Oasen des Südens, im Land El-Dscherid möglichst vorteilhafte Abschlüsse für sein Marseiller Haus zu machen, stellte sich dem Eingetretenen nicht vor — solche Formalitäten gab es hier unter Europäern nicht. Er sagte: „Wissen Sie, wer da nebenan ist?“
Der Jäger tat, als hörte er ihn nicht. Ihn verdross der Mensch. Er stellte sich an die Wand und studierte aufmerksam die ihm längst bekannte, französisch und arabisch lautende Hausordnung, wonach die Reisenden vor Betreten der Karawanserei ihre Waffen zu entladen hatten und Kamele im Hof nur geduldet wurden, soweit sie nicht durch Zahl und Geruch lästig fielen, und vieles andere mehr. Aber der Marseiller, der kleine Mann mit dem Rasiermesser, liess sich nicht so leicht abweisen. Er verkündete triumphierend, wie einer, der sicher ist, mit seiner Neuigkeit gewaltigen Eindruck zu erwecken: „Zwei Mädchen von der Mission sind’s — zwei Engländerinnen! Sie sind von ihrem tunesischen Hauptquartier in Susa abgeschickt! Sie ziehen gegen den Teufel in der Sahara zu Feld! Sie haben es selbst gesagt! Sie wollen die Araber zum Christentum bekehren! Sie haben einen kleinen Kocher mit und eine Gummibadewanne und eine ganze Kiste voll arabischer Bibeln und Traktätchen — und sprechen auch selbst vorzüglich Arabisch — ganz allein ziehen sie durch die Welt. Das sind zwei verrückte Geschöpfe!“
„Ich denke, es sind drei?“ sagte der Jäger kurz, indem er sein Gewehr reinigte, einfettete und in die Ecke stellte. Er achtete kaum auf das Geschwätz. Der andere bestätigte: „Ja, aber die dritte gehört nicht dazu. Sie hat sich den beiden nur unterwegs angeschlossen. Ich glaube, schon an der Küste, weil ihr Begleiter oder ihr Diener, oder wer das nun war, dort krank geworden ist und sie nun ganz allein dastand. Nein, das ist kein Missionsmädchen. Sie ist viel zu hübsch dazu, sehr hübsch! Ich hör’ es durch die Wand: sie spricht nur mühsam mit den beiden anderen Englisch!“
„Jedenfalls belästigen Sie die Damen nicht!“ sagte der Jäger kurz und so schroff und hart, dass der kleine Dattelmensch sich beinahe in sein spitzes Kinn geschnitten hätte, so erschrocken wandte er den Kopf herum. Aber sein Stubengefährte war schon wieder in den Hof hinausgetreten, ging um ein paar dort kauernde Kamele herum und durch den Torweg ins Freie zu dem Beduinenlager.
Das hatte sich inzwischen belebt. Man rüstete zum Aufbruch. Die Zelte waren verpackt und verstaut, die Herden zusammengetrieben, die Kinder und Hunde eingefangen. Nur der riesige, viele Zentner schwere Stammesteppich, der allein eine ganze Kamellast ausmachte, wurde noch eben von den Männern unter grossem Geschrei zusammengerollt. Die Weiber und Mädchen befanden sich hoch zu Kamel über dem Gewimmel der Schafe und Ziegen. Sie sassen rittlings, die braunen Beine zu beiden Seiten herabbaumeln lassend, auf den gepolsterten Höckern. Sie hatten die schönen, grossäugigen, ernst blickenden Kinder auf dem Rücken oder in Körben rechts und links. Ihre blauen und roten Hemden leuchteten, und unter den scharlach- und blaufarbigen Kopftüchern lachten die harten, aber hübschen Züge und zeigten unter den blauen Tätowierstrichen der braunen Haut ihre weissen Zähne. Beim Anblick des Europäers hatte die Heiterkeit der Naturkinder sie alle ergriffen. Plötzlich lenkte die eine ihr Kamel herum und trieb es hinaus in die Wüste. Die anderen folgten ihr in lachender Flucht, dass Staubwolken hinter den Fussballen der Trampeltiere aufwirbelten und die Reiterinnen sich ducken und festklammern mussten, um nicht hinunterzufallen. Der Gold- und Silberschmuck, den sie nach Nomadenbrauch als den Hauptreichtum der Familien am Leibe trugen, tanzte und klirrte.
Der Scheich des Tribus, ein gelassener Weissbart in weissem Mantel, ritt langsam hinterdrein. Der Jäger hielt ihn durch einen halblauten Zuruf an. Die beiden, Europäer und Beduine, kannten sich und gaben sich die Hand. Dann sprach der Jäger einige arabische Worte und wies nach den fernen Bergen, von denen er gekommen war. Damit war der Handel schon erledigt. Das Fleisch des Mufflons, das dort in der Höhle lag und in der Hitze doch sonst verderben würde, sollte als ein Geschenk des Jägers dem Stamme der Masghuna gehören. Dafür aber sollte der Scheich Fell und Gehörn aufbewahren und bei Gelegenheit die Beute nach Süden schicken, tief in die Sahara, wo das Haus des Jägers stand.
Der Jäger nickte lässig mit dem braunen Kopf als Abschiedsgruss und dankte für das Salem des Wüstenhäuptlings, dann drehte er sich um und schritt wieder der Karawanserei zu.
Dort schimmerten ein paar scharlachrote Jacken. Zwei Offiziere von den Spahis, der Eingeborenenreiterei, trabten auf Rappen durch das Tor. Der eine war mager, sehr elegant, mit scharfen, vornehmen Zügen, die besser auf die Pariser Boulevards als hier in die Wüste passten. Der andere war ein grauköpfiger, älterer Araber, wie jede Schwadron einen unter ihren Leutnants besass. Sie mochten auf einer Dienstreise begriffen sein. Ihre Burschen und Tragtiere waren noch weit zurück. Während der Pariser sich aus dem Sattel schwang, lief plötzlich