Im Königreich Mjelvik. Karl Friedrich Kurz
ruft der Meister.
Beifälliges Gemurmel unterstützt ihn. Und so geht Peter Strand. Es hat nicht viel zu bedeuten, daß er sich bei der Tür noch einmal umdreht und sagt: „Und, Karla, was dich anbetrifft, so bin ich mit dir fertig. Den Ring magst du meinetwegen behalten und die Silberkette ... Morgen fahre ich in die Stadt ...“
Immerhin ein flotter Bursch. Es dürfte Karla Nesse doch nicht nur einerlei und völlig egal sein, daß er fortreist. Sie beugt sich tief über ihren Schoß nieder. Der Emissär aber erklärt, daß es für dieses Mal genug sei. Er hebt die Hände und segnet die Gemeinde. „Geht in Frieden“, sagt er.
Damit beginnt für die Leute von Mjelvik eine neue Zeit.
Zwei Flaschen
Es bleibt trotz allem fast unbegreiflich und wunderbar, welche Gewalt der Laienprediger Ole Mathiessen im Laufe der nächsten Wochen über die verirrte Seelenherde Mjelviks gewann. Insbesondere über die Seelen weiblichen Geschlechts. Fünfmal in der Woche hält er seine Abendversammlungen ab und müht sich und arbeitet und kämpft mit dem Teufel. An diesen fünf Wochentagen müssen die Männer Mjelviks, soweit sie der Bruder- und Schwesterngemeinde nicht selber beigetreten sind, ihr Abendbrot kalt essen oder selber aufwärmen.
Jeden Abend legt der Emissär seinen tröstlichen Arm um die Schulter einer irrenden Frauenseele und geleitet sie voller Zuversicht in die dunkle Kammer. Und der Mithelfer Haakon kennt hinfort seine Pflicht und weiß, was zu tun ist, wenn nach dem ersten Choral das Ringen mit der Verstocktheit noch kein Ende fand. O nein, Haakon pocht jetzt nicht mehr in teuflischer Unwissenheit an die Kammertür. Alles ist schon so großartig in Schwung gekommen.
An Sonntagen hält der Emissär seine Versammlungen schon vormittags ab. Er schert sich dabei nicht um Hausfrauenpflichten und Mittagessen. Wenn es das Seelenheil angeht, ist er scharf und streng und unerbittlich wie das Messer des Schlächters. Wie ein Schlachtmesser trinkt er immerfort Blut und kann seinen Durst doch nicht stillen. Die Frauen aber gehorchen seinem Winke. Sie sind dem Schlachtmesser auf Gnade und Ungnade verfallen.
Die Frauen stellen, ehe sie ihr Haus verlassen, und schon im Sonntagsstaat, den Topf mit der Grütze aufs Feuer. Wird aber der Emissär in seinem Eifer gar zu gewaltig, oder bekommt er es mit einer besonders hartnäckigen Austreibung zu tun, so daß er Ort und Stunde vergißt, ja, dann brennt die Grütze, die auch in Mjelvik an starre Naturgesetze gebunden bleibt, gründlich an.
Wenn die Frauen schließlich doch wieder an ihre Töpfe denken und nach Hause eilen, sind sie wohl innerlich erhoben; aber sie haben kein gutes Gewissen. Und sie öffnen die Küchentür — oha! Da strömt ihnen Rauch und Dampf entgegen. Nicht nur die Grütze, sondern auch der Kochlöffel darin ist verbrannt und verkohlt.
Und dann werfen die Frauen ihren Sonntagsstaat und alle innerliche Erbauung eiligst von sich und rennen mit ihren schwarzen Kochgeschirren an den Bach hinunter.
Da stehn sie nun in langer Reihe. Aber jetzt hilft kein feiner Flußsand mehr. Hei, jetzt müssen sie die Schlacken mit groben Steinen aus ihren Töpfen klopfen.
Begreiflicherweise entsteht ob solcher Wirtschaft mancher eheliche Unfrieden, mit Zank, Fluchen und Schlagen. Trieb der Laienprediger mit vieler Mühe einen Teufel aus dem Hause, so schleicht sich auch schon ein anderer wieder ein. Diese Sache hat ebenfalls zwei Seiten.
Das muß sogar der Abgesandte des Himmels an seinem eigenen Leibe erfahren. Er hat nun im Hause des Krämers ein halbes Jahr lang in Ruhe und Frieden gewohnt und in dieser Zeit mehr als hundert Dosen Ölsardinen, zwei Roquefortkäse und einige Töpfe französischen Senf verzehrt. Er hat sich mit fetter Milch und feinster Weizenmehlgrütze ernährt und ungeheure Kräfte aufgespeichert. Nun auf einmal läßt ihn seine Eßgesundheit im Stiche. Schon am frühen Morgen fühlt er einen dumpfen Druck unter den Rippen. Der Druck ist bald links und bald rechts, bald stärker, bald schwächer; aber er ist immer da. Und will trotz Rizinusöl und Painexpeller und warmen Umschlägen nicht weichen. Das stört des Emissärs innere Ruhe, so daß er den Kampf mit dem Bösen, der so glorreich begonnen, hinfort nicht mehr mit allen Mitteln führen kann.
Benjamin Sagensen und sein Weib Magnhild denken nach und besinnen sich und können nicht begreifen, woher das Leiden ihres Gastes kommen möchte. Sie haben ihm das viele und teuere Essen gewiß aufrichtigen Herzens gegönnt. Ohne Seufzer und Hinterhältigkeit stellten sie es vor ihn auf den Tisch.
Die Tücken der Welt sind ungeheuer. Der Emissär hat an diesem Morgen ein Fläschchen feinstes Haaröl aus dem Laden geholt und auf einen Zug ausgetrunken. Aber davon wurde es nur noch schlimmer. Nun mußte er Schleim aufstoßen. Und nun sah es tatsächlich so aus, als sei sein ganzer Leib mit dieser fürchterlichen zähen Unheimlichkeit angefüllt. Auch sein Schlaf wurde schlecht. Er schreckt oft auf und stößt die schwersten Zischlaute aus und schlägt mit den Armen um sich und schwitzt. Und jede Nacht träumt er böse Träume und kämpft mit Stieren und Löwen.
In der Kammer nebenan liegt der Krämer, hinter dem weichen warmen Weibe Magnhild und sperrt die Augen auf und lauscht auf alle die schlimmen Töne, die durch die Wände dringen. Der Krämer starrt in die brausende Finsternis der Herbstnächte und fürchtet sich. Und warum muß er an den Hornlöffelmeister denken, der draußen am Waldrand einsam in seiner Bretterbude wohnt? Und warum muß er denken, daß die Nächte jetzt schon kalt sind und daß der Hornlöffelmeister friert und allen Winden, die durch die Risse hereinstoßen, wehrlos ausgeliefert ist?
„Das kann er gar nicht aushalten“, murmelt der Krämer-Benjamin in die Dunkelheit hinaus. „Nein, das kann ein Mensch unmöglich aushalten.“
Mehr und mehr denkt der Krämer-Benjamin an diese elende Hütte. Das lenkt ihn von der eigenen Unruhe ab und besänftigt das pochende Herz. Es erfüllt ihn mit einer Art Dankbarkeit. Er beschließt, etwas zu tun.
Am Morgen macht er sich auf den Weg. Unter dem Arm trägt er eine dicke Rolle Teerpapp. Der Hornlöffelmeister liegt noch in seinen drei Margarinekisten und will sich nicht ohne weiteres wecken lassen.
„Ja, da liegt nun dieser Mensch und schläft“, seufzt der Krämer-Benjamin. „Und das Leben hat ihn wahrlich hart angefaßt ... Aber er liegt dennoch da, wie die pure Seligkeit ...“
Und der Krämer geht noch einen Schritt weiter in seiner Wohltätigkeit. Er klinkt die Tür zu und zündet auf dem Herd ein lustig Feuerchen an. Und als das Feuerchen seine blauen, goldbefranzten Zungen emporschnellt, starrt der Krämer hinein und denkt allerlei sonderbare Gedanken, nickt mit dem Kopf und lächelt in tiefer Trauer.
In dieser elenden Hütte steht ein reicher Mann, der es sich sogar leisten kann, einen Emissär im Hause zu halten und ihn mit den teuersten Importartikeln und Weizengrütze zu füttern. Benjamin Sagensen. Er hat sich der Witwe des Post-Nikolaj angenommen. Magnhild wurde rund und dick von seiner Liebe und Fürsorge ... Aber jetzt züchtigt ihn der Himmel mit diesen bangen Nächten und vielen unnützen Gedanken.
Schon zweimal hat der Distriktsarzt Kringlen am Krämer herumgeklopft, gedrückt und gehorcht. „Es ist nichts“, sagte der Arzt. „Ein wenig Nervosität. Es geht Ihnen viel zu gut, lieber Sagensen. Zuviel Glück kann mit der Zeit auch Beschwerden machen.“
Alle Leute sagen dasselbe. „Es geht Ihnen zu gut, Sagensen.“ Und sie lächeln und legen sich nachts in ihre Betten und schlafen. Und keiner weiß, welch schreckliche Augen die Nacht hat.
Hier in dieses Feuerchen starrt ein reicher Kaufmann und tut Buße und demütigt sich immer mehr. Er zündete das Feuerchen auf dem Herde des gezeichneten Mörders an. Und seht, jetzt mahlt er sogar Kaffee und geht vors Haus hinaus und spült die Tasse im Bach. Kann denn ein Christenmensch und reicher Krämer sich überhaupt noch mehr demütigen und hinopfern?
Bei alledem weiß der Krämer-Benjamin, daß der Hornlöffelmeister ihm mit keiner Silbe danken wird. Aber das kann ihn nicht hindern, dem Mörder noch die Hand auf die Schulter zu legen, um ihn wachzurütteln. Die Sonne scheint durchs Fenster und schaut dem allem zu. Es ist eine gute weiche Herbstsonne, die da hereinschaut.
„Am Morgen lag Eis auf dem Wasser“, sagt der Krämer-Benjamin. „Fast einen Finger dick war es.“
Dazu