Im Königreich Mjelvik. Karl Friedrich Kurz
wird aber allgemach doch ein ganz verdammter Zustand mit den obstinaten Mädchen — ausgerechnet jetzt in der brausenden Frühlingszeit, wenn sogar die Eisbäche an den Felsen die tollsten Sprünge machen.
Alter? Sollte der König wirklich alt geworden sein? Wer ist es, der das zu behaupten wagt? ... Ist jener Mann dort, der leichten Fußes den Weg heraufkommt, nicht der Müller Indrevig? Und hat der Müller nicht seine zweiundsiebzig Winter auf dem Rücken und vor ein paar Jährchen ein zwanzigjähriges Mädchen zu seiner Frau gemacht? Und ist der Müller seither denn nicht schon zweimal zum glücklichen Vater geworden?
Ja. Jawohl. Der Müller war aber schon ein erwachsener Mensch, als Sigmund Borsa noch auf der Schulbank saß. Überhaupt — es bedarf keiner weiteren Vergleiche...
Wen hat zum Beispiel diese elegante und ausnehmend hübsche Dame von all den vielen Menschen auf der Landungsbrücke angeredet? ... Nun geht sie an des Königs Seite. Und sie plaudert in zehn Minuten von zwanzig Dingen. Und sie lacht. Und das ist wie Vogelgezwitscher und Frühlingsrauschen. Das ist eine andere und feinere Melodie.
Dieser Weg hingegen ist schlecht und voller Steine und Unebenheiten. Die Dame kann nicht so leicht darauf gehen mit ihren zierlichen Füßen und kommt alle paar Schritte aus dem Gleichgewicht und stößt den König ein wenig an mit ihrer weichen Hüfte. Und dann sagt sie jedesmal leise: „Um Verzeihung!“ Und entschuldigt sich.
Aber es passiert ihr doch immer wieder, und sie kann nichts dafür. Sondern die ganze Schuld liegt am unebenen Wege. Nein, dieser Weg eignet sich schlecht für ausländische Lackschuhe.
Des Königs Lippen sind bereits trocken geworden. Er muß sie immerfort mit seiner Zungenspitze anfeuchten. Man mag sagen, was man will: das meiste geschieht doch nur durch das Zusammentreffen bloßer Zufälligkeiten.
Wenn zum Beispiel des Küsters rothaarige Petrine zu Ostern nach Trollhaugen gekommen wäre, könnte es schon möglich sein, daß des Königs Blut heute nicht so gar stürmisch rauschte, und daß sein Leben eine andere Richtung nehmen würde. Aber nein, Petrine kam nicht. Sie hatte natürlich einen Liebsten — so sind diese jungen Wesen heutigestags. Zur Hölle mit ihnen!
Hier geht ein Mann, der sich mit einmal der Mädchen von Mjelvik schämt ... Diese Bauerndirnen mit den breiten Gesichtern und den dicken Beinen, die auch Sonntags noch ein wenig nach Kuhstall und Küchenrauch und schlechtem Fett duften ...
Hahaha! Nein! — Die prachtvolle Dame an des Königs Seite duftet auch. Aber sie strömt alle Wohlgerüche des Morgenlandes von sich aus.
Eins allerdings stört den König. Daß ein so vornehmes Wesen mit dem Schmied Nils reden will — mit einem simplen Nils Ytra vom Tale. Der soll vor allen anderen zur Hölle fahren!
Nils Ytra? Er war ja ein paar Jahre lang fort in der Fremde. Man weiß nicht, was er dort getrieben. Vor kurzem kehrte er mit einem Motorrad zurück. Gut. Er bleibt trotzdem ein Dreckfink, der sich niemals in die Nähe einer feinen Dame wagen sollte.
Der König wird noch heute den alten Isaksen aufs Kontor kommen lassen und ihm einen deutlichen Wink geben.
Das finstere Schweigen des Königs gefällt Oline nicht. Sie erkundigt sich, wann der nächste Postdampfer in die Stadt zurückfährt.
Das werde nicht vor übermorgen um die Mittagszeit sein, sagt der König.
„Du große Welt!“ ruft Oline aus, bleibt stehen und blickt den König mit vollständig leeren Augen an. So sehr ist sie aus der Fassung gebracht.
„Ja“, sagt der König. Und die Dame werde nun zweimal in Mjelvik übernachten müssen, sagt er. Und das ließe sich absolut nicht ändern. Ja, wenn seine Jacht „Solrenningen“ nun gerade hier im Hafen und nicht unterwegs wäre ... Aber so ... Hingegen bei der Marte im Tale dürfe eine richtige Dame sich überhaupt nicht zeigen. Platt unmöglich ...
Und da bleibt also nur noch die einzige Möglichkeit: Trollhaugen.
„Trollhaugen?“
Jawohl, Trollhaugen, die Königsburg. Dort oben steht sie, breit und weiß, hinter alten stolzen Bäumen steht sie. Um Oline wird es hell.
Ach, Oline hat ja schon längst verstanden. Diese gesegnete Oline! Es fehlt ihr doch nicht an Lebenserfahrung und Menschenkenntnissen. Aber sie macht sich nun fabelhaft unwissend und furchtsam und alles in allem ungeheuer reizend. Sie ruft: „Das ist doch völlig ausgeschlossen und unmöglich! Gibt es denn hier gar kein Gasthaus?“
„Unmöglich — wieso? ... Und nicht die geringste Spur von Hotel!“
Alle besseren Reisenden fragen beim Krämer um Unterkunft. Der Krämer-Benjamin ... nein, er ist nicht fein genug ... Er ist nur für gewöhnliche Verhältnisse eingerichtet.
Darauf schweigt Oline und zeigt sich sehr verlegen. Und sie macht vier oder fünf hastige Schritte, als ob sie dem allem entfliehen könnte, und sagt: „Ach, alle Männer sind untreu und schlimm ... Man darf keinem einzigen trauen.“
Was soll nun das heißen? wundert sich der Mjelvikkönig. Aber er ist doch stark von eigenen Empfindungen eingenommen. Er richtet nun auch noch das andere Auge, das eigentlich nur für ferne Dinge bestimmt ist, auf Oline. Und was er sagt, bleibt ebenfalls einigermaßen verwunderlich. „Kristin liegt schon drei Jahre lang im Bett. Sie ist im Winter angezapft worden ... Aber das Wasser sammelt sich schon wieder in den Beinen.“
„Kristin?“
„Ja, meine Frau.“
„Oh!“
Oline ist nicht gefühllos. Nach kaum drei Schritten bezeugt sie dem König mit verschleierter Stimme sogleich noch etwas mehr Teilnahme. „Auch Sie müssen also ein hartes Los tragen!“ Und gleich darauf sagt sie: „Verzeihung!“
Der Weg wird ja immer schlechter.
Der Mjelvikkönig hält inne. „Wenn wir diesen Pfad emporsteigen, kommen wir zu einer kleinen Wiese.“
„Ei!“ wundert Oline sich und läßt zugleich ein paar blaue Blitze aus den Augenwinkeln fahren.
„Ja. Es steht eine kleine Scheune dort.“
„Ach!“ ruft Oline.
„Ja. Vor der Scheune steht eine Steinbank.“
„Das ist aber reizend!“ sagt Oline.
„Es ist auch gar nicht weit ... Eine kleine Viertelstunde ...“
Nun macht sich Oline wirklich gar zu kindisch. Sie schweigt plötzlich und nagt mit ihren Goldzähnen an der Unterlippe. Und dieses raubt dem König seine Besinnung und lähmt alle Widerstände. Das alles gleicht ja einem seligen Märchen. Hier, auf Armeslänge nur, steht des Märchens Prinzessin.
„Wenn es Sie nicht so sehr anstrengt ...“ bittet er.
„Nein“, sagt Oline, „das nicht ... Aber was sollen wir denn dort oben tun?“
Und so bringt sie den König immer mehr aus der Fassung mit ihrer rührenden Unschuld.
„Tun ...?“ stottert er. „Nein ... ich weiß nicht ... Wir könnten uns doch ein Weilchen unterhalten ...“
Hier steht nun der König und ringt mit seinen Gefühlen.
„So selten verirrt sich ein wirklicher Mensch in diese Gegend ...“
Das erscheint Oline nicht ganz unglaubhaft. Sie gibt selber zu, daß sie von diesem Orte Mjelvik nur durch Zufall und den Schmied Nils Ytra Kenntnis erhalten. Wenn jedoch ein schwergeprüfter Mann und König eine kleine Stärkung dringend bedarf, so ist Oline Jensen doch nicht die stolze, hartherzige Dame, die ihn mit kalter Hand und kalten Herzens von sich stoßen möchte. Durchaus nicht. Dahingegen handelt es sich hier nun wirklich um teure Lackschuhe und nicht um Bergstiefel. Und diese Schuhe sitzen außerdem sehr knapp. Wenn sie aus Glas anstatt aus Leder wären, könnte man leicht bemerken, daß die Zehen darin nicht nebeneinander, sondern übereinander liegen. Mit solchen Schuhen in diesen Bergen herumzusteigen, ist für Oline kein Vergnügen, sondern ein Opfer. Wohlan, Oline bringt