Feuerwehrbedarfsplanung. Thomas Lindemann
durch den gesellschaftlichen Wandel und die veränderte Arbeitswelt bedingt sind.
Gesellschaftlicher Wandel
Die Veränderung der Gesellschaft und ihres Wertesystems, in denen das Feuerwehrwesen eingebettet ist, zeigt sich vielschichtig und in ihrem zukünftigen Verlauf
Bild 1: Aktuelle Herausforderungen im Feuerwehrwesen
nicht abschließend vorhersehbar. Der demografische Wandel, der insbesondere durch einen Bevölkerungsrückgang, eine niedrige Geburtenrate, den Anstieg der Lebenserwartung und eine damit verbundene Alterung der Bevölkerung gekennzeichnet ist, führt zu einer signifikanten Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes wird die Bevölkerungszahl in Deutschland von 82,3 Millionen Menschen im Jahr 2000 je nach Ausmaß der Nettozuwanderung langfristig bis zum Jahr 2060 auf eine Zahl zwischen 67,6 Millionen und 73,1 Millionen sinken (Statistisches Bundesamt, 2015). Dann wird voraussichtlich über ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland über 65 Jahre und weniger als ein Sechstel unter 20 Jahre alt sein.
Diese Bevölkerungsentwicklung hat (auch heute schon) Auswirkungen auf die Aufrechterhaltung des Systems Feuerwehr, da durch den Bevölkerungsrückgang und die Bevölkerungsüberalterung immer weniger ehrenamtliche Kräfte insbesondere in der erwerbstätigen und damit für die Feuerwehr relevanten Altersgruppe zur Verfügung stehen. Wie mit den Alterspyramiden in Bild 2 für die Jahre 2000 und 2060 dargestellt, lag die Bevölkerungszahl der für den Feuerwehrdienst relevanten Personen (im Alter zwischen 18 und 65 Jahren) bei 53,1 Millionen Menschen im Jahr 2000, was einem Bevölkerungsanteil von 64,5 Prozent entspricht. Im Jahr 2060 wird die für den Feuerwehrdienst in Frage kommende Bevölkerungszahl zwischen 35,6 und 39,2 Millionen Menschen liegen, was nur noch einem Anteil von 52,7 bis 53,6 Prozent der dann in Deutschland lebenden Gesamtbevölkerung entspricht. Die Bundesrepublik Deutschland verliert damit zwischen 13,9 und 17,5 Millionen Menschen, die in Bezug auf ihr Alter für den Feuerwehrdienst in Frage kommen, was im Vergleich zu den 53,1 Millionen Menschen im Jahr 2000 einem Verlust von fast einem Drittel (26,2 bis 33,0 Prozent) entspricht.
Bild 2: Altersaufbau der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2000 im Vergleich zum Jahr 2060
Dabei sind insbesondere ländliche, peripher gelegene Gebiete von der demografischen Schrumpfung betroffen. Als einer der Gründe hierfür ist insbesondere die Tendenz junger Menschen, vom Land in die Stadt zu ziehen, um dort zu leben und zu arbeiten, zu beobachten. Neben den von Schrumpfungsprozessen betroffenen Räumen sehen sich Agglomerationsräume mit starkem und unaufhaltsamem Wachstum konfrontiert, das mit einem steigenden Bedarf an Gefahrenabwehrstrukturen einhergeht.
Zudem ist zunehmend eine steigende Anspruchs- und Erwartungshaltung der Bürger zu beobachten. Zwar konnte sich bislang die Feuerwehr in Zeiten, in denen sich Bürger mittlerweile über Ruhestörung durch Einsatzfahrzeuge mit Martinshorn beschweren und die Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber Rettungskräften zunimmt, trotzdem an der Spitze der alljährlichen Liste der angesehensten Berufe (Beamtenbund und Tarifunion (dbb), 2018) halten. Dennoch macht die Entwicklung zu einer »Hochleistungsgesellschaft« auch vor dem Rettungswesen keinen Halt, die mit hohem Anspruchsdenken und wachsendem Sicherheitsbedürfnis eine dienstleistungsorientierte Feuerwehr als universelle Hilfeeinrichtung fordert (»Vollkaskomentalität«). Heutzutage gibt sich der Hilfeersuchende nicht mehr nur damit zufrieden, dass die Feuerwehr »überhaupt geholfen hat«. Etwaige Schlechtleistungen der Feuerwehr1 werden nicht mehr toleriert, sondern beklagt und zumindest mit öffentlicher Imageschädigung sanktioniert (z. B. in der Lokalpresse oder den sozialen Netzwerken). Dieser Trend führt unweigerlich zum Zwang zur Professionalisierung und zur Effektivitäts- und Effizienzsteigerung der Feuerwehr, die zwar durchaus wünschenswert ist, der aber nicht nur im Ehren-, sondern auch im Hauptamt kaum nachgekommen werden kann. Nicht selten führt eine zu große Differenz zwischen dem Anspruch an die Feuerwehr und dem tatsächlich Leistbaren zu Frust und Demotivation bei den Einsatzkräften, denen häufig auch der nötige Dank sowie Wertschätzung ihrer Arbeit vorenthalten bleibt.
Doch die Feuerwehr rückt sogar noch stärker in den Fokus: Veränderte soziale Strukturen haben mittlerweile zu sinkender Nachbarschaftshilfe und Selbsthilfefähigkeit der Bürger geführt. Die Vulnerabilität der Gesellschaft und eines jeden Einzelnen ist gestiegen. Beide Effekte führen dazu, dass immer häufiger staatliche Hilfe (zum Beispiel in Form der Feuerwehr) gesucht wird und die öffentliche Hand stärker belastet wird, als es früher bei selbstorganisierter Hilfe der Fall gewesen ist.
Verändertes Einsatzgeschehen
Die Feuerwehren in Deutschland sehen sich mit einem veränderten Einsatzgeschehen konfrontiert: Zum einen kämpfen viele Feuerwehren mit einem signifikant steigenden Einsatzaufkommen.2 Mehr Einsätze für immer weniger Mitglieder führt zu einer Erhöhung der individuellen Einsatzbelastung des einzelnen Feuerwehrangehörigen, die mitunter an die Grenze des Machbaren und Verträglichen stößt.
Zum anderen werden die Gefahrenlagen immer komplexer. Früher begegneten die Feuerwehren schwerpunktmäßig dem Scheunenbrand sowie dem Verkehrsunfall mit einfach konstruierten Fahrzeugen. Heute müssen Ereignisse und Störfälle bei Kritischen Infrastrukturen sowie Unfälle mit stahlverstärkten Fahrzeugen und alternativen Antriebsarten, bei denen die konventionellen Rettungsmethoden versagen, bewältigt werden – nur um exemplarisch eine schier nicht enden wollende Liste an neuartigen Einsatzlagen zu beginnen.
Hinzu kommen neue, asymmetrische Bedrohungen (z. B. Anschläge) infolge der auch in Europa und Deutschland veränderten Sicherheitslage. Und auch die heftigen wetter- und klimabedingten Extremereignisse der jüngsten Vergangenheiten gehören mittlerweile zum regulären Einsatzaufkommen (orkanartige Stürme, Starkregen, urbane Sturzfluten, Hochwasser u. ä.).
Der Wandel im Einsatzgeschehen wird zudem durch die steigende Vulnerabilität der Gesellschaft und die gleichzeitig sinkenden Bewältigungs- und Anpassungskapazitäten der Bevölkerung ungünstig beeinflusst, sodass sich die Feuerwehren im Laufe der Zeit immer mehr zur universellen Hilfeeinrichtung entwickelt haben (»Mädchen für alles«). Durch den hohen Ausbildungs- und Ausrüstungsstand werden die Feuerwehren in zunehmender Tendenz auch für Aufgaben, die nicht zum traditionellen Kernbereich der Feuerwehrtätigkeiten gehören, in Anspruch genommen und werden als »Lückenbüßer für sachfremde Dienstleistungen« (Deutscher Feuerwehrverband (DFV), 2008) missbraucht.
Mit dem steigenden Einsatzspektrum und dem wachsenden Maß an Komplexität der Schadenszenarien steigen auch die Anforderungen an die Aus- und Fortbildung der Feuerwehrangehörigen. Und auch die immer komplexer gestaltete Technik führt zu einem hohen Aus- und Fortbildungsaufwand, bei dem sich in der Summe die Frage stellt, wie diesem nicht nur ehrenamtlich, sondern auch durch hauptberufliche Kräfte überhaupt noch adäquat entsprochen werden kann. Insbesondere den Freiwilligen Kräften wird dabei abverlangt, sich »noch nebenbei« – also neben dem Hauptberuf des Feuerwehrangehörigen – ständig fortzubilden, um jederzeit eine professionelle Gefahrenabwehr leisten zu können. Dabei gilt es nicht nur das feuerwehrtaktische und -technische Fachwissen stets auf aktuellen Stand zu halten. Auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse, aktuelle Rechtsprechung und sich ändernde politische Rahmenbedingungen müssen im ehrenamtlichen Dienstalltag die notwendige Berücksichtigung finden.
Finanzsituation der Kommunen
Darüber hinaus spielt auch die Finanzsituation der öffentlichen Haushalte eine entscheidende Rolle bei der flächendeckenden und nachhaltigen Sicherung des abwehrenden Brandschutzes und der Hilfeleistung. »Die Gemeinden, Städte und Landkreise in der Bundesrepublik Deutschland befinden sich derzeit in der schwierigsten Finanzsituation seit Beginn der 50er-Jahre.« (Albers & Rohloff, 2007). Es ist vom »Kollaps