Da wir uns lieben. Marie Louise Fischer

Da wir uns lieben - Marie Louise Fischer


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an, daß du Egon hast suchen lassen.« Sie schwieg und zeichnete mit der Schuhspitze Kreise auf den Boden. »Das kannst du doch nicht ohne Grund getan haben«, drang er in sie.

      »Ich hatte Angst.«

      »Wovor denn?«

      Sie zuckte die Achseln. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Aber Egon muß doch ohnehin jeden Augenblick nach Hause kommen.«

      »So? Meinst du?« Sie warf den Kopf in den Nacken. »Aber das tut er nicht. Er läßt mich allein. Abend für Abend.«

      »Mit was für einer Erklärung?«

      »Lügen.«

      Er legte ihr die Hand unter das Kinn. »Eifersüchtig? Aber, Rosy! Jeder weiß doch, daß Egon ganz vernarrt in dich ist.«

      »Und warum läßt er mich dann dauernd allein?« Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen.

      »Ich werde ihn mir bei nächster Gelegenheit vorknöpfen«, versprach er, die Türklinke schon wieder in der Hand. »Jedenfalls bin ich froh. Ich habe mir schon schreckliche Sorgen gemacht.«

      Sie packte ihn beim Arm. »Bitte … geh nicht!«

      »Ich muß nach Hause. Sabine wartet.«

      »Aber ich habe Angst!«

      »Egon wird jeden Augenblick kommen.«

      »Dann bleib wenigstens so lange.« Sie lehnte sich leicht an ihn. »Ich mache dir auch was Gutes zu essen …« Ihr Körper war hart und gespannt, wie verkrampft.

      Er mußte sich beherrschen, nicht vor ihr zurückzuzucken wie vor etwas Krankem. Sie wirkte keineswegs verführerisch auf ihn, und noch weniger versprach er sich von ihren Kochkünsten. Aber er brachte es nicht über sich, sie allein zu lassen. Er spürte, daß ihre Angst – Angst wovor nur? – echt war. »Na schön«, sagte er, »ich kann meine Frau ja anrufen.«

      Aber dann tat er es doch nicht, und Rosy erinnerte ihn auch nicht daran. Er hätte nicht gewußt, wie er Sabine erklären sollte – jedenfalls nicht am Telefon und nicht in Rosys Gegenwart –, was er in der Wohnung ihres Bruders zu suchen hatte und warum er dort blieb.

      Rosy eilte ihm jetzt voraus in das Wohnzimmer, ganz Gastgeberin oder vielmehr ganz Kind, das die geübte Gastgeberin spielt. »Willst du dich nicht setzen?« plapperte sie. »Was darf ich dir anbieten? Mach’s dir bequem!«

      Der Raum wirkte chaotisch, aber sie schien das nicht wahrzunehmen. Der Bücherschrank war halb ausgeräumt, ein Teppich zusammengerollt, Stühle auf den Tisch gestellt – alles sah so aus, als habe sie mitten im Großputz die Lust verloren und aufgehört. Sie machte jetzt auch keinerlei Anstalten, ihm etwas anzubieten, nahm einen Stapel Bücher auf, schien nicht mehr zu wissen, was sie mit ihm vorgehabt hatte und ließ ihn auf einen Sessel fallen – den letzten, der noch frei gewesen war.

      »Kannst du mir verraten, wohin ich mich setzen soll?« fragte er.

      »Wohin?« Sie lachte. »Das ist gut! Du bist immer so witzig, Arnold.«

      »Es ist ja nirgends Platz.«

      Rosy sah sich um. »Wirklich, du hast recht! Na so etwas! Ich werde dir einen Stuhl aus der Küche holen.«

      »Das wäre auch eine Lösung«, gab er zu, »aber ich glaube, es ist besser, wir gehen beide in die Küche und kümmern uns um das Essen, ja? Was soll es denn geben?«

      »Ach, irgend etwas«, sagte sie gleichgültig, »ich habe viele Büchsen da. Alles mögliche.«

      »Na, dann laß uns mal sehen.« Beim Hinausgehen wäre er beinahe über einen vollen Putzeimer gestolpert. In der Küche sah es besser aus als im Wohnzimmer. Entweder hatte es Rosy fertiggebracht, sie aufzuräumen oder – und dieser Verdacht kam Arnold jetzt – sie hatte sie heute noch gar nicht benutzt. In der Speisekammer stapelten sich Büchsen mit Gemüse, Fleisch oder Eintopf, die aus dem Supermarkt stammten. Da Arnold keine Lust hatte, eine große Kocherei in Gang zu bringen, fragte er: »Wo ist das Brot?«

      Rosy begann sofort eifrig in allen Schubladen nachzuschauen und sagte dann: »Nichts mehr da. Egon wird welches mitbringen.«

      »Kartoffeln?« Sie schüttelte den Kopf. »Na schön, dann essen wir Würstchen mit Sauerkraut.« Er öffnete die Dosen und bat sie, den Küchentisch zu decken.

      Sie tat es auf ihre seltsam unorganisierte Weise, stellte einen Teller hin, legte eine Serviette dazu, holte das Salzfaß, starrte auf das begonnene Werk und schien plötzlich nicht mehr weiter zu wissen. Er erbarmte sich ihrer und sagte: »Vier Teller, Rosy … einen für dich, einen für mich, einen für Christian und einen für Andreas … vier Gabeln … vier Servietten …« Plötzlich ging es, Rosy bewegte sich anstellig. »Und nun leg noch ein fünftes Gedeck auf«, ordnete Arnold an, »für den Fall, daß Egon noch rechtzeitig zum Essen kommt.«

      Aus dem Wohnzimmer drang unterdrücktes Quietschen herüber, auf das sie erst achteten, als es in lautes Wut- und Wehgeschrei überging. Arnold Miller riß die Tür auf. »Was ist los?« Im gleichen Augenblick entdeckte er die Bescherung. Die Zwillinge hatten sich gegenseitig mit dem Schmutzwasser bespritzt und waren jetzt völlig durchgeweicht. Der Eimer war umgekippt, und der Boden schwamm.

      Rosy, die ihrem Schwager gefolgt war, begann hilflos zu jammern: »Ihr schrecklichen Kinder! Nicht eine Minute kann man euch aus den Augen lassen! Was fange ich denn jetzt nur an? Und Vati muß auch gleich nach Hause kommen!«

      »Wisch das Wasser auf!« befahl Arnold energisch. »Ich stecke die Jungen währenddessen in die Wanne!«

      »Bloß nicht waschen!« schrie Andreas entsetzt – er war eine halbe Stunde vor seinem Zwilling zur Welt gekommen und etwas schmaler, ein kaum merklicher Unterschied, den nur Eingeweihte entdeckten.

      »Nicht waschen«, echote jetzt auch der andere.

      Arnold packte die beiden Jungen beim Kragen und zerrte sie in das Bad. Er riegelte die Tür zu, damit sie ihm nicht entwischen konnten. »Marsch, marsch, zieht euch das nasse Zeug aus!« befahl er. Die Badewanne war schmutzig, sie hatte einen breiten dunklen Rand, und an den Wänden klebten Haare. Arnold nahm es eher mit Verblüffung als mit Entsetzen wahr. Er erinnerte sich nicht mehr, wann er zuletzt so etwas gesehen hatte. Zu Hause war das Bad immer sauber, ob er es morgens oder abends betrat.

      Hier gab es nur einen altmodischen Badeofen, der mit Holz und Kohle geheizt werden mußte. Also beschränkte er sich darauf, die Jungen kalt abzuduschen, was sie sich nur unter Protest und gellendem Geschrei gefallen ließen. Er hätte ihnen gern die verklebten Haare gewaschen, verzichtete aber darauf, weil er nicht riskieren wollte, daß sie sich erkälteten. Außerdem fiel ihm mitten in der ungewohnten Tätigkeit ein, daß den Zwillingen ein bißchen mehr oder weniger Schmutz bestimmt nicht schaden würde, während es ja eigentlich ihre Mutter war, um die er sich Sorgen machen mußte. So kürzte er die Prozedur ab, so gut es eben ging, und stürzte wieder aus dem Bad hinaus.

      Rosy kniete, den Aufnehmer in der Hand, auf dem Fußboden und starrte versonnen auf die Pfütze, die schon langsam zwischen den Ritzen der Bretter versiegte. Arnold verschluckte eine heftige Bemerkung und sagte beherrscht: »Du wolltest aufwischen, Rosy!«

      Sie lächelte zu ihm auf. »Ach ja.« Sie wrang den Aufnehmer aus und begann heftig zu reiben.

      Die Zwillinge kamen, jeder in ein Frottiertuch gehüllte, aus dem Bad gehopst und schnupperten. »Hm, hiecht gut!« rief Christian, der, genau wie sein Bruder, noch kein R aussprechen konnte. Sie stürmten in die Küche. Arnold folgte ihnen rasch, damit sie kein Unheil anrichten konnten. Die Würstchen waren inzwischen aufgeplatzt, und das Sauerkraut war heiß. Er legte auf und rief Rosy herein. Die Jungen aßen mit gewaltigem Appetit – Arnolds Verdacht, daß sie mittags nichts Ordentliches zu essen bekommen hatten, verstärkte sich –, während Rosy mit weit aufgerissenen leeren Augen auf ihrem Teller herumstocherte.

      »Komm, komm«, mahnte er, »nun iß, Rosy! Oder schmeckt dir nicht, was ich gekocht habe?«

      Sie balancierte ein Stück Wurst auf der Gabelspitze, ohne es zum Mund zu führen.


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