Schimmer. Anna Teufel
ich mag Kekse und die Vorstellung, dass irgendwo in mir drin ein Kekskrümel ist, der mich zu dem macht, was ich bin, ist irgendwie schön.
Jedenfalls, ich bin nicht so ganz richtig im Kopf. Also ich finde, ich bin voll richtig im Kopf, ich glaub, ich bin sogar richtiger im Kopf als alle anderen. Weil, zum Beispiel so Zeug wie Lügen, das geht bei mir gar nicht. Ich kann das nicht! Ich kann mir keine Geschichten ausdenken, was passiert wäre, wenn alles anders gelaufen wäre, wie es eigentlich gelaufen ist, und ich weiß auch gar nicht, was mein Gegenüber denkt, was hätte passieren können, daher weiß ich auch gar nicht, was ich ihm erzählen sollte, damit er hört, was er hören will, ich versteh das einfach nicht, dazu fehlt mir der Kopf. Manchmal, wenn ich mal wieder was nicht verstehe, dann komm ich mir wieder vor, als wäre mein Kopf für die richtig großen Sachen einfach ein bisschen zu klein. Aber ich bin froh, dass er für so was wie Lügen zu klein ist, weil Lügen sind ganz arg doof.
Nervig find ich es auch, wenn ich was mache, was für mich ganz normal ist. Oft ist es dann nämlich für andere aufdringlich oder unangebracht – ich find das echt komisch. Letztens war ich mit meiner Mutter einkaufen und ich hab endlich einen neuen BH bekommen. Und Mann, was für einen! Einen roten, mit Blumen drauf. So schön ist der! Ich war total stolz drauf und hab ihn direkt nach dem Bezahlen angezogen. Als wir zu Hause grade aus dem Auto gestiegen sind, kam unsere Nachbarin vorbei und hat gefragt, wo wir waren, und als ich ihr erzählt habe, dass wir einkaufen waren, dann hat sie gefragt, was wir gekauft haben. Ich hab dann natürlich als Antwort stolz mein T-Shirt hochgezogen und ihn ihr gezeigt! Die Nachbarin war dann sehr schnell wieder zu Hause und meine Mutter hat mir dann drinnen gesagt, dass ich ihr meinen BH jetzt nicht unbedingt hätte zeigen müssen, aber ich versteh nicht, warum. Ich mein, der BH macht mich glücklich, weil er schön ist. Wieso sollte er andere Leute nicht glücklich machen? Er ist wirklich schön!
Ich versteh auch nicht, warum Menschen so wenig lachen. Wenn was lustig ist, dann lach ich ganz laut. Ich kann das dann gar nicht zurückhalten. Wenn was nicht lustig ist, dann lach ich halt nicht. Das ist ganz einfach. Lustig: Lachen, nicht lustig: Nicht lachen. Viele Menschen täuschen Lachen vor oder unterdrücken es, wenn sie nicht lachen wollen oder sollen, und ich versteh nicht, warum, aber das ist mir eigentlich auch egal, solange ich lachen darf.
Ich werde manchmal gefragt, ob ich, wenn ich mal selbst ein Kind bekommen würde, vorher nachschauen lassen würde, ob es genauso ist wie ich. Ich weiß zwar nicht, wie das funktioniert, aber ich würde es auch nicht machen. Was würde es mir denn bringen? Ich würde das Kind auch nicht wegmachen lassen, wenn es auch einen Kekskrümel hat. Es hätte ein schönes Leben. Ich glaub nicht, dass meine Eltern so ein arg anstrengendes Leben mit mir haben, ich gebe mir nämlich echt Mühe, alles richtig zu machen, weil ich hab meine Eltern ganz arg lieb. Ich mache ihnen nur manchmal Sorgen, weil mein Herz nicht so richtig funktioniert, weil bei meiner Geburt war in der Mitte zwischen meinen Herzklappen ein Loch und dann ist das Blut in meine Lunge geflossen und das ist nicht so gut, deswegen hat man das Loch dann zumachen müssen. Manchmal denk ich mir, dass man den Kekskrümel ja ganz einfach in das Loch hätte stecken können, aber so funktioniert das irgendwie nicht. Jedenfalls denk ich, dass gute Menschen ihr Kind liebhaben würden. Und wenn man ein Kind wegmachen lässt, nur weil es einen Kekskrümel hat, dann ist man halt, glaub ich, einfach kein so ein guter Mensch.
Ich werde oft gefragt, ob ich mir wünschen würde, ein Chromosom weniger zu haben. Aber ich kann dem Krümel ja auch nicht böse sein. Vor allem hat meine Mutter gesagt, ich hab nicht den normalen Kekskrümel, sondern einen Mosaik-Kekskrümel, also einen ganz besonderen. Also nein, ich wünsche mir nicht, ohne Kekskrümel auf die Welt gekommen zu sein. Das wäre erstens ein kleines Wunder, und das bin ich schon, deshalb brauch ich nicht noch mal eins, und zweitens wäre ich ja dann nicht ich. Dann müsste ich lügen und große Gedanken haben und ich glaube, das wäre echt anstrengend. Der Kekskrümel setzt mir ja auch keine Grenzen, er kann ja nichts dafür, dass er da ist. Es ist nur doof, dass man sofort in meinem Gesicht sieht, dass ich gekekskrümelt bin. Ich weiß genau, dass andere Menschen mich nicht schön finden, aber das ist okay, ich finde mich ja selber schön. Jedes Mal, wenn man mich anschaut, dann sieht man das, aber ich find es doof, sofort darauf reduziert zu werden. Die anderen setzen mir die Grenzen, nicht mein Krümel. Wer sich zu viele Gedanken macht, der setzt sich selbst Grenzen, und das lass ich halt einfach nicht zu, weil es nicht geht. Und ich fühl mich schön und ohne Grenzen, und ich glaub, dann ist ein Leben viel schöner. Und wenn alle Menschen sich so fühlen könnten, wie ich mich fühle, dann wäre alles einfacher.
Und wenn ich jetzt aufhöre zu denken und schlafen gehe, dann bin ich glücklich. Das ist immer so. Ich glaube, jeder sollte das machen. Weil, wenn man glücklich ist, dann schläft man viel besser.
Und ich schlafe fantastisch.
Zwei
Szenerie:
Eine graue Stadt im Süden Deutschlands, die Sonne schien kurz, als es noch hell war, man riecht es noch am Asphalt. Ein Wohngebiet, ein Hallenbad, vier Bäume auf Rasen für die Hunde; es ist zu spät, um noch Menschen auf der Straße zu begegnen und zu früh für uns, im Bett zu sein. Die Fußgängerampel springt von rot auf grün und du sagst: Da ist es gleich.
Den ganzen Abend lang hab ich dich angestarrt wie ein scheues Kaninchen. Habe jedes deiner Worte aufgesogen wie ein Schwamm, habe jedes Zucken deines Mundwinkels betrachtet, wenn du verstandest, was ich sagte, und es geliebt, dass nur dein rechter Mundwinkel zuckt, ohne links; habe in Gedanken deine Hand gehalten, während du noch wild vor deinem Gesicht gestikuliertest, habe deinen Körper betrachtet, deine Form.
Du bist ein Mensch, nach dem man sich auf der Straße umdreht, wenn du vorbeiläufst, um, da man bedauerlicherweise keinen Blick mehr in dein blitzendes Gesicht erhaschen kann, wenigstens noch dein formvollendetes Hinterteil in Jeans zu bestaunen, über stramme Waden nach unten, weiße Sneakers und der Rücken gerade, du weißt, wie du aussiehst, du straffst dich ganz automatisch.
Lass dir gesagt sein, an guten Tagen mag ich mich auch. Ich stelle tatsächlich ab und zu mal fest, dass ich ein äußerst angenehmer und sympathischer Mensch sein kann, aber neben dir fühle ich mich wie ein herausgerotztes Exemplar himmelschreiender Mittelklasse. Ich bin nicht deine Liga und das wissen wir beide; aus welchem Grund auch immer du mir deinen Lieblingsplatz gezeigt, mir Kekse mitgebracht und mir deinen Pulli gegeben hast, es ist ja noch recht frisch draußen.
In deiner Wohnung stelle ich meine Sneakers in den Flur, neben deinen sehen sie aus wie Kinderschuhe. Wir kochen Tee und unterhalten uns. Ich sitze am Fenster und sehe die Ampel, an der wir eben noch standen, rot auf grün, grün auf rot.
Dann sagst du, dass es ein überraschend schöner Abend war. Ich frage, wieso überraschend. Du antwortest, dass du normal nicht mit Frauen wie mir ausgehst; und, na ja, normalerweise hättest du mich schon lange geküsst, aber irgendwas ... stimmt da nicht.
Ich denke kurz nach, nehme einen Schluck Tee und schaue schweigend aus dem Fenster; die Ampel springt gerade von grün auf rot, mein Herz klopft sich wühlend aus meiner Brust frei, baut sich vor mir auf und schreit «Na? Na? Reicht dir das nicht? Das ist nicht deine Liga, das wird niemals deine Liga sein!», und bevor es hämisch grinsend zurück an seinen Platz marschieren kann, springt die Ampel von rot auf grün, ich sehe aus dem Augenwinkel eine Bewegung und zwischen zwei Atemzügen stehst du vor mir, beide Hände um mein Gesicht abgeschlossen wie einen Hochsicherheitstrakt; ich bin mir sehr sicher, dass du meine Gedanken in Schönschrift in meinen Augen lesen kannst, denn du sagst «Scht. Nicht.» Ich sehe nichts davon kommen, ich spüre es nur; deine Hände schieben meinen Kopf ein klein wenig nach hinten, deine Augen sind groß und braun und blinzeln einmal kurz wie nervöse Schmetterlingsflügel, deine Lippen brennen auf meinen. Es ist anders, als ich es kenne, anders, weil es sanft ist, anders, weil du wartest, anders, weil du auch irgendwo zögerst, anders, weil wir beide nicht so richtig wissen, ob das wirklich sinnvoll ist, was wir da tun, aber wir tun es trotzdem, weil wir beide es wollen, ich greife mit beiden Händen nach dir. Ich erwische mit rechts deinen Arm irgendwo am Ellbogen und mit links gelange ich in deinen Nacken; du zuckst kurz, als ich in dein Haar greife, vielleicht lächelst