Mamma mia! Tagebuch einer Schwangerschaft. Karin Milles

Mamma mia! Tagebuch einer Schwangerschaft - Karin Milles


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vor vier Jahren, da sind wir auch nach Griechenland gefahren. Wir saßen an der Bar und tranken lustige Drinks mit kleinen Schirmchen und redeten über das Leben. Das ist dieses Mal anders. H. kippt einen Schirmchen-Drink nach dem anderen, und ich sitze daneben mit einem Glas Eiskaffee und versuche, nicht neidisch zu sein. Er bekommt zwar auch ein Kind, muss aber deswegen in den Ferien nicht Abstinenzler werden.

      Streng genommen bin ich auch keine Abstinenzlerin. Wir haben im Tax-free-Shop eine halbe Flasche Champagner gekauft, und ich habe gestern Abend auf unserer kleinen Veranda ein Glas getrunken. Nur ein Glas, aber immerhin. Früher, zum Beispiel als ich im Bauch meiner Mutter war, nahm man es nicht so genau mit Schwangerschaft und Alkohol. In unserem Familienalbum gibt es ein sehr schönes Bild: Meine Mutter balanciert ein Weinglas auf dem Bauch, in dem ich bin. Und ich bin ja ganz gut geraten. Aber ich habe ein wenig ein schlechtes Gewissen, dass ich es nicht schaffe, mich zu opfern und für das Wohl meines Babys auf ein Glas Champagner zu verzichten. Ich sollte vielleicht nicht Mutter werden, wenn ich so egoistisch bin? Wer weiß, wie wunderbar das Baby ohne den Champagner geworden wäre? Und falls etwas schief geht, wüsste ich wenigstens, dass ich nicht schuld bin.

      Andererseits ist es blöd, so eine große Geschichte daraus zu machen. Es ist überhaupt nicht sicher, dass alles gut läuft, nur weil ich keinen Alkohol trinke, es gibt tausend Dinge, die das Kind schädigen können. Die Mütter der Contergankinder glaubten, es sei ungefährlich, die Schmerztabletten zu nehmen. Was halten wir heute für ungefährlich? Wenn man nur an all die Chemikalien und Pflanzenschutzmittel denkt, die ich vermutlich in mich aufnehme, wenn ich nur die Luft einatme oder eine Orange esse. H. hat ein erschreckend wirksames Mückenspray mit einem langen Warnhinweis auf Griechisch gekauft. Ich lege mich unter ein Handtuch, wenn er es versprüht, aber es bleibt sicher etwas im Zimmer zurück. Vielleicht ist es supergiftig für kleine Embryos, wer weiß?

      Vielleicht erkennt man erst, wenn man schwanger ist, wie viel Gefährliches es in der Welt gibt. Da ist das mit dem Alkohol eher eine Kleinigkeit – auf den kann man schließlich verzichten. Die anderen gefährlichen Sachen sind viel schlimmer, weil man ihnen nicht ausweichen kann, sie sind überall, wie Abgase und Gift im Essen.

      Gar nicht zu reden von allen möglichen gefährlichen Dingen, die man so tut. Gestern haben wir am Nachmittag einen längeren Ausflug gemacht. Ganz oben im Norden der Insel gibt es eine Landzunge, die Sapphos Klippe heißt und wo sich die griechische Dichterin der Legende nach wegen einer unglücklichen Liebesgeschichte ins Meer gestürzt hat. Dort fuhren wir hin. Die ganze Insel ist sehr mopedfreundlich, mit breiten, frisch asphaltierten Straßen, aber ausgerechnet bis zu Sapphos Klippe war die Zivilisation noch nicht vorgedrungen, und wir holperten auf einer staubigen, steinigen Straße vorwärts. Wir machten unsere Scherze und sagten, das Baby würde «geschüttelt, nicht gerührt». Aber im Innersten hatte ich Angst. Kommt jetzt alles an den falschen Platz – die Arme an den Kopf und das Ohr auf die Nase? Andererseits, Menschen sind auch früher Moped gefahren, wenn sie schwanger waren, oder? Es hat keinen Sinn, sich zu viele Sorgen zu machen, man muss einfach akzeptieren, dass man nicht alles unter Kontrolle hat.

      Mittwoch

      Ein neuer Tag. Immer noch sehr heiß. Im Badezimmer jede Menge Sand, der ins Bett gelangt und nachts scheuert. Mir ist schlecht. Es heißt, Essen hilft, aber wer will denn essen, wenn man immer kurz vor dem Erbrechen ist? Und das Ganze wird nicht besser, wenn H., der sonst nie frühstückt, ausgerechnet heute Morgen auf die Idee kommt, Eier mit Speck zu braten. Der Geruch hängt im Zimmer.

      Mir ist immer ein wenig übel, aber manchmal kommt die Übelkeit in Wellen, und dann habe ich das Gefühl, ich muss mich übergeben. Das ist für mich eine schreckliche Vorstellung, ich leide nämlich unter Erbrechensangst und habe mich nicht mehr übergeben, seit ich zehn war. Mit Grausen denke ich daran, wie es einer Freundin ergangen ist. Sie ist Lehrerin, und als sie schwanger war, musste sie mitten im Unterricht rauslaufen und sich übergeben. Und es gibt Frauen, bei denen es gar nicht mehr aufhört, die müssen dann ins Krankenhaus und werden an den Tropf gehängt.

      Aber vielleicht ist es gar nicht die Schwangerschaft, sondern ich halte einfach die Hitze nicht aus. Wie leicht schiebt man alles auf die Schwangerschaft. Früher war ich allen möglichen Einflüssen ausgesetzt – Erlebnissen, Stimmungen, Wetter usw. –, jetzt bin ich nur noch schwanger. Alles – ob ich gut gelaunt, traurig oder apathisch bin – ist mit der Schwangerschaft zu erklären. Mein Appetit – ob riesig oder winzig – rührt da her. Mein Körper ist ganz und gar von dem kleinen Leben im Bauch in Besitz genommen worden.

      Ist es wirklich so? Oder ist es nur eine bequeme Antwort, wenn man nicht sicher ist, woher all das kommt? Oder ist die Schwangerschaft tatsächlich so dominant, dass alles andere nicht mehr existiert?

      Donnerstag

      Ich habe viele Jahre nicht mehr Tagebuch geführt, und als ich jetzt wieder anfing, habe ich ein altes Tagebuch genommen, das nicht voll geschrieben war. Als ich zurückblätterte und meine Gedanken von früher las, fand ich folgende Notiz von vor fünf Jahren – ich war gerade auf einem Fest bei Studienkollegen gewesen, die etwas älter waren als ich:

      «Ich stand in der Küche und unterhielt mich mit einer Frau, das war sehr lustig. Aber als dann eine andere dazukam, redeten sie nur noch über Kinder. Das Thema Baby ist stinklangweilig! Sie finden es vielleicht spannend, aber sie müssen doch kapieren, dass es für mich total uninteressant ist?! Oder sie wissen es, aber es ist ihnen egal. Ich habe gehört, es interessiert einen nicht, was andere Leute denken, wenn man ein Kind bekommt. Und das ist vielleicht auch gut so, man wird ja so langweilig.»

      Und jetzt bin ich also selbst auf dem besten Weg, eine sterbenslangweilige Mutter zu werden. Aber ich will bleiben, wie ich bisher war, und nicht so werden wie alle anderen, die ein Kind bekommen haben! Ist das Kind einmal da, wird man wie alle anderen Eltern, Kinder sind schließlich in allen Familien gleich. Es sind die gleichen Windeln und die gleichen Schnuller und die gleichen verdammten Spielsachen in fröhlichen Farben. Die gleichen Windpocken und Kinderzeitschriften. Gleich, gleich, gleich. Aber wozu werden wie alle anderen? Was hätte es für einen Sinn, das gleiche Leben zu leben – reicht es nicht, wenn sie es tun?

      Ich glaube, ich habe Angst, ein Klischee zu werden – «eine wie alle». Eine Frau ganz einfach. Eine Frau unter anderen Frauen, die ein Kind unter ihrem Herzen getragen und es unter Schmerzen geboren hat. Mich stört es jedes Mal, wenn ich Mütter sagen höre, dass sie sich während der Schwangerschaft so fraulich gefühlt haben. Ich bin keine Frau – ich bin ein Unikum. Und will es bleiben.

      Puh, was bin ich wieder negativ. Aber ich habe gehört, wenn man schwanger ist, stürmen alle möglichen Gefühle auf einen ein. Da hilft ein Tagebuch, die Probleme zur Sprache zu bringen. Ich habe nun mal diese Gefühle, dafür kann ich nichts. Armes Baby.

      Freitag

      Draußen brennt die Mittelmeersonne. Hier drinnen ist es trotzdem ziemlich kühl. Gottlob. Kühl und trotz der weißen Wände den ganzen Tag dämmerig, weil die Fenster klein sind und die Jalousie an der Terrassentür heruntergelassen ist. H. ist mit dem Moped unterwegs, bestimmt irgendwo oben in den Bergen. Ich bleibe heute zu Hause, ich will nur schlafen. Und Tagebuch schreiben – dabei klären sich die Gedanken. Ich komme mir vor wie ein lungenkranker Aristokrat in einem englischen Roman, wie ich mit dem Stift in der Hand keuchend auf dem Bett liege.

      In meinem Kopf drehen sich jede Menge Gedanken und verlangen Aufmerksamkeit. Negative Gedanken. Ich denke darüber nach, wie sich die Beziehung zwischen H. und mir verändern wird, wenn wir ein Kind haben. Es geht uns jetzt so gut. Gestern Nachmittag waren wir mit dem Moped unterwegs. Unsere Karte stimmte überhaupt nicht, und wir hatten uns verfahren. Bald gab es keine Straßen mehr, sondern nur noch Schotterpfade, die sich in den Bergen verliefen. Wir mussten dauernd absteigen und das Moped bei glühender Hitze mühsam durch dorniges Gestrüpp zurückschieben. Als unsere Wasserflaschen fast leer waren und das Benzin zur Neige ging, fanden wir ein kleines Restaurant. Wir bestellten griechischen Salat und Joghurt mit Honig und Früchten. Der Hintern tat uns weh, und wir waren todmüde, aber es war ein Abenteuer. Und ich dachte, wie schön, dass gerade wir beide ein Kind bekommen, weil


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