Wer die Heimat liebt wie du. Artur Brausewetter
es nicht für ihn gewesen,“ erwiderte seine Frau, die bei den Ereignissen wie bei den Menschen immer das weniger Gute hervorzuheben suchte.
„Sage das nicht. Er hat in Rodenburg eine zahlreiche und gebildete Zuhörerschaft, da kann er in der Gemeinde viel Gutes wirken.“
„Er wird schliesslich Bärwalde übernehmen und dein Patron werden.“
„Einen besseren könnte ich mir nicht denken — aber kommt da nicht jemand? Richtig, er ist es! Willkommen und Gott zum Gruss, mein lieber Warsow! Sie wissen gar nicht, eine wie grosse Freude Sie dem alten Manne durch Ihren Besuch machen!“
Mit Herzlichkeit erwiderte Hans die Begrüssung seines früheren Lehrers. Der schnelle Gang durch die frische Herbstluft hatte einen bräunlichen Schimmer um sein bleiches Antlitz gewoben, seine Augen leuchteten jugendlich. Nun sass er mit den beiden Alten unter der dichten Pfeifenkrautlaube, wie er es in früheren Jahren so oft getan, und Erinnerungen aus vergangenen Zeiten wurden lebendig.
Ein junges Mädchen erschien und brachte den Kaffee.
„Hanna Teichgräber, Theos Tochter, die jetzt als meine und der Grossmutter treue Gehilfin bei uns lebt,“ stellte der alte Herr vor. Und Hans’ Auge weilte mit Wohlgefallen auf der lieblichen Erscheinung, deren wohlgebauter Körper in dem einfachen Leinenkleide mit der weissen Schürze zur rechten Geltung kam, indes das gelbblonde Haar zu beiden Seiten über die Stirn gekämmt war. Ein Hauch von Reinheit und Frische lag auf dem rosigen Antlitz, sprach aus den sammetblauen Augen, in denen zugleich etwas für so junge Jahre Starkes und Entschlossenes war. Die Frische des quellenden Lebens, das der Reife entgegendrängte, umhauchte die ganze Gestalt.
Das Sonnengold lag voll und weich auf dem Pfeifenkraut und erzwang sich dann und wann einen Eingang in das stille Dunkel der Laube. Draussen flogen einige Tauben hin und her und badeten die hellen Schwingen in der Luft, in den Obstbäumen zwitscherten die Spatzen um so lauter, je mehr der Tag sich neigte.
Wunderbar berührte dies Bild voll beschaulicher Ruhe und still umhegenden Friedens Hans’ Seele. Er gedachte der inneren Kämpfe, der zehrenden Unruhe, die er in der letzten Zeit durchlitten. Dieser Gegensatz jedoch wirkte nicht versöhnend auf ihn, er wusste, dass sein Leben noch manchem schweren Kampf entgegengehen würde. Aber er fühlte zugleich Mut und Kraft in sich, ihn aufzunehmen.
Ein leichter Herbstnebel kroch über die Erde, die Luft wurde noch reiner, aber zugleich auch kühl. Der Pfarrer schlug einen Spaziergang mit Hans vor, da vernahm man das Nahen eines Wagens.
„Die Bärwalder Droschke!“ rief Hanna, und ein wunderliches Gefährt rollte heran: ein einziger graugepolsterter Sitz mit einer hohen Lehne auf einem seltsam verschnörkelten, gelbgestrichenen Rädergestell. Auf ihm lag, der Länge nach ausgestreckt, Fritz Warsow und lenkte mit lässiger Hand die fromme Stute, die man vor dies Gefährt zu spannen pflegte. Es konnten auch zwei, ja unter Umständen drei Personen auf der Droschke fahren, sie mussten dann zu beiden Seiten sitzen, Rücken an Rücken, sehr schlank und wenig anspruchsvoll in bezug auf den Platz sein, der Dritte allenfalls vorn, um die Leine zu führen. Jetzt war aber Fritz Alleinherrscher und machte es sich bequem.
Wiederum wollte der alte Pfarrer vorstellen, aber Fritz unterbrach ihn: „Ich habe bereits die Freude gehabt, das gnädige Fräulein auf einem ihrer Samaritergänge in Bärwalde zu begrüssen.“
Und als in diesem Augenblick eine Flasche Rotwein auf den Tisch kam, konnte er sich nicht enthalten, die Geschichte von dem alten Karenke und den zehn Flaschen des Onkels zum besten zu geben, ohne sie jedoch in irgendeiner Weise mit Hannas Liebeswerk in Verbindung zu bringen. Der Pfarrer und seine Frau lachten, sie aber verstand seine Absicht sehr wohl. Sie liess sich jedoch nicht im geringsten aus der Fassung bringen, ja, aus ihren Augen traf ihn ein schneller, kampfesmutiger Blick, der da sagte: Warte nur! Auch meine Stunde kommt vielleicht, dann rechnen wir ab! Gerade das gefiel ihm. Er wollte sie in Verlegenheit bringen, und sie nahm den Fehdehandschuh auf.
Auf weichen Füssen kam der Abend geschlichen. Die Sonne sank tiefer, aus dem Tal stieg das Gold und hing sich in glitzernden Schuppenketten an die weissgraue Wolkenwand, die den Horizont säumte. Einmal noch griff die Sonne mit purpurnen Händen durch und schaute mit feurigen Augen auf die Erde. Die Sperlinge zwitscherten nur noch leise, auch die Tauben waren zur Ruhe auf ihren Schlag in der Bodenkammer gegangen. Es war ganz still auf der Welt geworden, ein leiser Wind zog von der Wiese her und trug herbstliche Düfte herüber. Tiefer Abendfriede deckte das Pfarrhaus, seinen Garten, seine Gehöfte mit weiten, schattenden Fittichen; von der Kirche gegenüber tönte die Abendglocke einige wenige Male, dann verstummte sie.
„Wunderbar,“ sagte da Fritz, der sich bis dahin in schweigender Andacht dieser feiernden Abendstimmung hingegeben hatte, während die andern um ihn ein gleichgültiges Gespräch führten, „wenn man hier so sitzt, inmitten dieser Pfarridylle, dieses Abends, der die Welt mit seiner Sabbatstille erfüllt, dann ist einem, als müsste es immer so auf Erden bleiben, als könnte es nie anders werden. Und wenn man dann daran denkt, wie mit einem Male über diese friedlichen Täler der Krieg ziehen, wie er uns alle aufwecken kann aus der sorglosen Ruhe, dem friedlichen Genuss der Natur!“
Er konnte nicht weitersprechen. Wie ein Feuerfunke waren seine Worte in die kleine Versammlung gefallen. „Krieg!?“ rief Hans. „Wie kommst du mit einem Male auf den Krieg?“
„Krieg!“ sagte gleichzeitig der Pastor, und die Hände nach seiner Art unwillkürlich faltend, fügte er hinzu: „Gott bewahre uns in Gnaden vor ihm!“ Die schwächliche Pastorsfrau aber war totenbleich geworden, ein stammelndes Zucken lief über ihre blutlosen Lippen, sie wollte etwas sagen, aber das Wort erstarb, bevor sie es hervorbringen konnte.
Hanna bemerkte es und streichelte beruhigend ihre Hand: „Lass gut sein, Grossmutter. Der Herr Rittmeister ist heute sehr kriegerisch gesonnen; er war es schon bei seinem Eintritt, aber er meint es nicht böse.“
„Ich weiss gar nicht, warum sich die Herrschaften über mein Wort so erregen. Wir können doch nicht immer im Frieden bleiben, und vorbereitet sein heisst hier alles. Oder wollten wir uns verhehlen, dass wir rings von einer Welt von Feinden umgeben sind, die nur auf den gegebenen Augenblick warten, während wir uns hier noch in die lieblichsten Träume der Liebe und Verbrüderung lullen?“
„Kommt der Krieg, so kommt er von Gott, und wir müssen uns in ihn finden,“ meinte der alte Pfarrer. „Jetzt an ihn zu denken, ist wohl ein wenig verfrüht.“
„Ich weiss auch nicht, Fritz, wie du mit einemmal auf diese Gedanken kommst,“ und mit einem schnellen, verweisenden Blick zeigte Hans auf die alte Pastorsfrau, der die Furcht aus jedem Zuge ihres welken Antlitzes lugte.
Jetzt sah Fritz, was er angerichtet. „Du hast recht,“ sagte er einlenkend, „es war eine Grille, die mir dieser friedliche Abend eingab. Wir leben und denken nun einmal gern in Gegensätzen.“
Nach dem Abendessen ging man in das Wohnzimmer, und die Unterhaltung drehte sich um minder ernste Dinge. Etwas harmlos Frohes lag in der Luft und auf den Gesichtern. Fritz hatte ein kleines Geplänkel mit der hübschen Hanna eröffnet, bei dem ihre Samaritertätigkeit wieder eine Rolle spielte. Und sie antwortete ihm so schlagfertig und mit so gutem Witz, dass ihm dieses heitere Duell eine wachsende Freude bereitete. Ihrer beiden Augen leuchteten vor Kampfeslust, der Eintritt der ernsten Männer, die sich in die veränderte Stimmung nicht gleich zu finden wussten, störten sie wenig, sie beachteten ihn kaum und scherzten in der Unbekümmertheit ihrer Jugend weiter.
Ihr froher Sinn ging auch über die Sorgen und Leiden der alten Frau hinweg, die, das müde Haupt an ein Kissen gelehnt, in der Ecke des altertümlichen Sofas sass. Nur ab und zu flog ein kurzer, mitleidiger Blick aus den jungen Mädchenaugen zu ihr hinüber. Warum machte sie sich nur so viele schwere Gedanken? Das Leben war doch so schön und reich! Man musste es nur recht sehen und mit guter Zuversicht anfassen! Ihr Los war doch auch wahrhaftig kein leichtes gewesen. Von früher Kindheit an verwaist und mittellos, nur von der Wohltat der Grosseltern erhalten zu werden — nicht jeder würde es so gefasst auf sich nehmen! Aber sie hatte den Mut nie verloren. Und wenn sie einmal ganz allein dastehen müsste, sie wollte den Kampf nicht fürchten. Ob die Grossmutter immer noch an Fritzens ernste Worte vorher im Garten dachte? Aber sie