Das letzte Gefecht - Tatsachenroman. Will Berthold

Das letzte Gefecht - Tatsachenroman - Will Berthold


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      Will Berthold

      Das letzte Gefecht - Tatsachenroman

      Saga

      Das letzte Gefecht – TatsachenromanCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1987, 2020 Will Berthold und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726444766

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

      – a part of Egmont www.egmont.com

      Tunisgrad

      Nordafrika, Ende Oktober 1942: Die noble Gesellschaft tanzt im Ballsaal des ersten Hauses im französischen Algier, und sie tanzt auf einem Vulkan. Die Nacht hat heiße Hände, sie ist feuchtfröhlich und stürmisch. Trotz der vielen Uniformen ignoriert man den Krieg, obwohl er langsam von Osten nach Westen sich Frankreichs nordafrikanischem Besitz nähert. Das Publikum ist erlesen, doch gemischt: schwitzende US-Diplomaten im Frack, erfolgreiche Geschäftemacher beim Flirt, schöne Frauen und Gentleman-Typen dubioser Herkunft, eine Atmosphäre, wie sie der Kultfilm »Casablanca« meisterlich festhielt.

      Eine arabische Band peitscht die Gäste mit wilden Rhythmen. Die Damen, Französinnen und Hängengebliebene aus vielen europäischen Ländern, wirken elegant und verführerisch. Sie tragen Roben, wie sie nur Paris zaubern kann – dabei ist Paris längst von den Deutschen besetzt.

      »Permettez-vous, Madame?« fragt US-Vizekonsul Miller die ungekrönte Ballkönigin des Abends.

      »You’re welcome«, entgegnet Nicole Lemaire höflich. Die Französin ist an die achtundzwanzig, reich und unabhängig. Meergrüne Augen. Blauschwarze Haare. Ein Dekolleté, das so viel Haut zeigt, daß man Appetit auf die ganze Nicole bekommt.

      »Sie sind hier die Schönste«, raunt ihr der Amerikaner zu.

      »Und Sie der größte Schmeichler«, entgegnet die junge Frau lachend. »Wußte gar nicht, daß ihr Yankees das fertigbringt.«

      Rings um das Parkett sitzen Gäste und verfolgen die beiden mit ihren Blicken. Wo sich zwei Menschen treffen, sind in diesem heißen Oktober mindestens drei Geheimdienste vertreten, aber man tanzt, lacht und parliert. Ein langer, ausgelassener Monat voller Feste und voller Gerüchte geht zu Ende. In einem Winkel, den der Zweite Weltkrieg noch ausgespart hat, denn die Kanonen donnern auf der anderen Seite Nordafrikas. Sehr weit ostwärts: bei El Alamein.

      Seit ein paar Tagen, seit dem 24. Oktober, drehte sich das Wüstenkarussell wieder. Die »Operation Lightfoot« des neuen englischen Oberbefehlshabers Montgomery, eine gewaltige Offensivanstrengung, war angelaufen. Der Durchbruch soll gelungen sein, aber das ist nur Hörensagen, und wer wird schon an einem so festlichen Abend darüber nachgrübeln? Man scheint sich vielmehr den Kopf darüber zu zerbrechen, wer bei Nicole Lemaire das Rennen machen wird, als wer die blutige Wüsten-Samba gewinnt.

      Man lebt im französischen Kolonialreich trotz des Krieges wie Gott in Frankreich: flotte Feste, dicke Geschäfte. Und wer sich Sorgen macht, hat auch Likör. Der Alkohol fließt in Strömen auf diesem turbulenten Schauplatz.

      Frankreichs nordafrikanische Kolonien werden von Generalresidenten verwaltet. Sie sind neutralisiert, ihre Verwaltung ist der Vichy-Regierung loyal ergeben, und der Oberkommandierende, General Alphonse Juin, hat sein Wort gegeben, daß er die Neutralität der französischen Truppen wahren und nicht gegen die Deutschen arbeiten wird. In London hält General Charles de Gaulle als Vertreter des Freien Frankreichs flammende Appelle vor dem Mikrophon; sie finden zunächst keinen großen Anklang, denn die Militärs – immer geneigt, Befehlen zu gehorchen – betrachten den Abgefallenen als Verräter.

      Einig sind sich die Kolonialfranzosen nur in ihrem Haß gegen die Deutschen, die ihr Mutterland überrollt und besetzt haben. Auch ihre Verachtung gegen die Italiener ist einstimmig. Man bewertet Mussolini, der in Frankreich eingefallen war, als es sich, von den Deutschen besiegt, nicht mehr wehren konnte, als einen Leichenfledderer. Haß und Abneigung treiben aber die Franzosen – die sich für gute Patrioten halten – noch lange nicht in die Arme der Engländer, die gegen die Deutschen und Italiener kämpfen.

      Die Franzosen halten den früheren Bundesgenossen vor, daß sie sich in Dünkirchen zurückgezogen hatten, ohne die französischen Waffenbrüder zu verständigen, daß ihnen die Briten die »Spitfires« vorenthalten hatten und daß schließlich die englische Flotte nach dem Waffenstillstand die französische im Hafen von Mers El Kébir, in der Nähe von Oran, im Schlaf überfallen und sie – um sie nicht den Deutschen in die Hände fallen zu lassen – erbarmungslos zusammengeschossen hatte, wobei 1297 französische Matrosen gefallen waren.

      Man lebt in Algier, in Tunis und in Marokko in den Tag hinein und feiert die Feste, wie sie fallen. Amerika liegt zwar mit Deutschland im Krieg, ist aber gegenüber Frankreich neutral. Wenn die Franzosen die Yankees auch weit höher einschätzen als der Reichsmarschall Göring, der spöttelnd immer wieder feststellt, sie könnten nur »Rasierklingen herstellen«, so haben sie doch zunächst einmal in Fernost im Kampf gegen die Japaner eine Schlappe nach der anderen hinnehmen müssen. Die USA haben den abwartenden Franzosen erst einmal zu zeigen, was sie zu leisten vermögen. Man hängt in Algier wie in Vichy der Beurteilung an, die in ihrem Sachbuch »Unternehmen Sonnenaufgang« die Autoren Bradley F. Smith und Elena Agarossi mit den Worten wiedergeben: »Mit dem größten wirtschaftlichen Kriegspotential der Welt, mit einer Armee von der Größe der schwedischen und mit einer Marine, die zum großen Teil auf dem Meeresgrund von Pearl Harbor lag, trat Amerika in den Zweiten Weltkrieg ein ...«

      Einstweilen beschränken sich die Yankees im Umgang mit den Franzosen auf eine lebhafte diplomatische Tätigkeit. An Nordafrika scheint ihnen besonders zu liegen, denn hierher haben sie gleich elf Vizekonsuln entsandt. Einer von ihnen nennt sich Miller und absolviert sonst ganz andere Tänze, aber er bewegt sich geschickt und rhythmisch. Es ist auch nicht schwer bei einer Frau wie Nicole, die jede Schwingung des Partners auffängt, in deren Armen Herren zu Männern werden.

      Links herum, rechts herum.

      Ihre Haare streifen sein Gesicht, und der Yankee spitzt die Lippen. »Kennen Sie den Offizier an der Bar?« fragt er unvermittelt.

      »Monsieur Prenelle?«

      »Er ist Ordonnanzoffizier bei General Mast.«

      »Und?« fragte Nicole.

      »Scheint heute Liebeskummer zu haben«, entgegnet der Amerikaner. Er lächelt knapp: »Vielleicht könnten Sie ihn aufheitern.«

      »Und warum sollte ich das tun?« fragt die Französin halblaut.

      »Er ist amüsant«, erwidert der Diplomat. »Außerdem gehört er zu den Vertrauten des Generals Mast – und ich muß mit ihm sprechen. Unauffällig.« Er geleitet seine Tänzerin zurück zum Tisch. »Es ist brandeilig – Sie würden mir einen großen Gefallen tun.«

      Der Amerikaner entfernt sich, fast gleichzeitig kommt der deutsche Attaché Melzer: schlank, glatt, kalt. Für Unbeteiligte sind diese Feste in Algier von unfreiwilliger Komik: Da stehen sich Feinde als Diplomaten auf neutralem Boden stocksteif gegenüber, reden kein Wort miteinander, intrigieren: um Frauen, um Nachrichten.

      Ihre Uniform ist der Frack, das Sektglas ihre Waffe.

      »Würden Sie auch mir einen Tanz schenken, Gnädigste?« fragt der deutsche Diplomat.

      »Ich tanze mit allen«, antwortet Nicole, »so sie tanzen können.«

      »Ich hoffe es zu können«, erwidert der Attaché steif. Die junge Frau weiß, daß er etwas ganz anderes von ihr will als einen Tango.

      »Ich habe Nachricht – von Ihrem Bruder«, sagt er während einer eleganten Wendung.

      »Von Pierre?« fragt die Französin eine Spur zu rasch.

      »Er heißt


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