Das letzte Gefecht - Tatsachenroman. Will Berthold

Das letzte Gefecht - Tatsachenroman - Will Berthold


Скачать книгу
– in einem Fallschirmjägerregiment.«

      »Und wo – wo ist Pierre jetzt?«

      »In Italien. Vielleicht bald auf dem Sprung nach Nordafrika.«

      »Tun Sie mir einen Gefallen?« fragt Nicole, eine Elsässerin, geborene Molitor, verwitwete Lemaire, seit ihr Mann, ein Weingutsbesitzer, vor eineinhalb Jahren bei Sedan gefallen ist.

      »Zwei, Madame«, verspricht der Diplomat mit einem anzüglichen Lächeln.

      »Würden Sie bitte«, antwortete Nicole hastig, »Ihr Wissen für sich behalten?«

      »Sie möchten keinen Mann in der Familie, der für uns kämpft?« erwidert ihr Tanzpartner ironisch. »Obwohl Ihr Bruder natürlich nach unserer Auffassung Deutscher ist – wie Sie ja eigentlich auch. Vielleicht werden Sie sich nach unserem Endsieg daran erinnern.«

      »Vielleicht«, spöttelt Nicole. »Aber bis dahin bleibe ich Französin.«

      »Dann fällt es Ihnen um so leichter«, erklärt Attaché Melzer kalt, »festzustellen, welche Offiziere im Stab der Generäle Mast und Juin im Falle eines Falles zu den Anglo-Amerikanern überlaufen würden –« Der Deutsche lächelt, als ob er Nicole bei seiner Werbung nähergekommen wäre.

      »Ich bin kein Spitzel«, erwidert die Französin süffisant. »Und was heißt im Falle eines Falles?« Sie bleibt während des Tanzes stehen. »Rechnen Sie damit, Monsieur Melzer«, fragt sie halblaut, »daß die Anglo-Amerikaner bei uns landen werden?«

      »Ich rechne nicht damit«, versetzt der Deutsche, »aber ich halte es auch nicht für ausgeschlossen. Aber«, fährt er fort, »kann ich mit Ihnen rechnen?« und beginnt zu drohen: »Andernfalls –«

      Die Französin schüttelt den Kopf.

      »Morgen?« drängt Melzer.

      »So bald wie möglich«, entgegnet Nicole.

      Melzer reicht Nicole den Arm und führt sie an die Bar. Er hilft ihr auf den langen, schmalen Hocker neben Hauptmann Prenelle, bestellt etwas zu trinken, macht Nicole Komplimente und entschuldigt sich, weil er telefonieren muß.

      Auch US-Vizekonsul Miller telefoniert. Von einem anderen Apparat aus. Er heißt so wenig Miller von Geburt an wie Melzer etwa Melzer. Im Grunde haben sie beiden den gleichen Auftraggeber: den Untergrund.

      Nur auf verschiedenen Seiten.

      Dieses Algier – oder besser ganz Französisch-Nordafrika – ist ein offenes Benzinfaß.

      Ein Funke genügt, um es hochzujagen.

      Und jeder spielt mit dem Feuer. Vizekonsul Miller feiert Erfolge als Salonlöwe, doch nur so nebenbei. Sein Chef ist Generalkonsul Robert Murphy, Spitzenagent des Office of Strategic Services (OSS), der US-Spionageorganisation, vor kurzem noch US-Statthalter in Vichy.

      Zu diesem Zeitpunkt hat Frankreich als einziges von Hitler überfallenes Land eine Sonderbehandlung: Nur ein Teil seines Gebietes ist besetzt; der andere wird von Vichy aus regiert.

      Vichy ist ein berühmter Leberkurort, aber den meisten Franzosen kommt die Galle hoch, wenn man diesen Namen nennt. Hier sitzt General Philippe Pétain, der französische Hindenburg; hier sind Männer wie Laval und Admiral Darlan, Halbfaschisten.

      Die Franzosen verfügen über eine intakte Flotte. Und über eine Armee. In Nordafrika stehen 200000 Mann unter Waffen – schlecht ausgerüstet, aber hervorragend ausgebildet. Erstklassige Offiziere.

      Auf welcher Seite sie stehen?

      Der Gesandte Murphy und seine elf »Vizekonsuln« haben die französischen Streitkräfte durchsiebt. Sie können sich durchaus ein Bild von der Lage machen, obwohl sie mehr als verworren ist. Fast alle Franzosen – bis auf wenige Kollaborateure – hassen die Deutschen und warten auf den Tag der Befreiung. Trotzdem möchten sie sich, zumindest in Nordafrika, aus dem Krieg noch heraushalten. Sie haben in ihren Kolonien genügend Scherereien mit den Arabern. Sie sagen sich ganz richtig, daß hier ein Kampf mit Sicherheit das Ende ihrer Kolonialherrschaft mit sich brächte, daß aus einem Kriegsschauplatz in Nordwestafrika letztlich die selbständigen Staaten Algerien, Tunesien und Marokko hervorgehen könnten.

      Dazu kommt die mehr als gefühlsmäßige Abneigung gegen die Briten, von denen sich die Franzosen verraten glauben. Werden diese kämpfen? Werden sie schlafen? Werden sie den Einmarsch dulden? Oder werden sie für Pétain ihre Haut zu Markte tragen? Auf zwei Seiten weiß man keine Antwort auf diese Fragen.

      Hauptmann Prenelle, Ordonnanzoffizier bei General Mast, betrachtet die Französin an seiner Seite mit verzogenen Lippen. »Schade –«, sagt er.

      »Was ist schade?« fragt sie.

      »Daß Sie mit einem Boche reden.«

      »Ich hasse sie«, versetzt die hübsche Witwe leise.

      »Oh«, antwortet der Offizier. »Pardon, Madame.« Seine schlechte Laune desertiert auf der Stelle. »Allein?« fragt er dann.

      »Im Moment –«

      »Ich liebe Momente«, erwidert der Offizier, »vor allem, wenn sie länger andauern.«

      »Das liegt an Ihnen«, entgegnet Nicole keß.

      »Dann will ich tun, was ich kann«, antwortet der Hauptmann, klettert lächelnd vom Hocker und entführt die junge Frau auf das Parkett.

      Ein neuer Tanz. Ein anderer Mann. Nichts Besonderes bei Nicole. Sie ist verliebt in das Leben, und sie zeigt es, sie spielt die lustige Witwe überzeugend. Vielleicht ist es nur Tarnung. Fast alle tarnen sich in Algier. Aber die junge Französin ist keine Agentin, sie ist eine Patriotin.

      Hauptmann Prenelle: Das ist keine Aufgabe für Nicole oder eine, die ihr Spaß macht, denn der Offizier gefällt ihr. Er küßt ihr galant die Hand, doch seine Augen sind schon viel weiter: hübsche, dunkle Augen, groß und werbend.

      Der Offizier bringt sie in einem alten Citroën nach Hause. Er macht Umwege, Nicole merkt es und lächelt. Prenelle steigt aus, geleitet sie an die Tür. »Bis morgen, Nicole?« fragt er.

      »Warum bis morgen?« entgegnet die Französin kokett. »Wollen Sie nicht noch eine Tasse Kaffee –«

      »Wenn ich darf«, erwidert der Offizier überrascht.

      »Sie dürfen viel mehr, als Sie annehmen«, versetzt Nicole frivol. Vielleicht bin ich zu plump, überlegt sie sich, aber was soll’s. Die Zeit drängt – und Miller wartet.

      Es ist keine Kunst, einen Verliebten auszufragen.

      Hauptmann Prenelle steht neben ihr in der Küche, zieht die junge Frau an sich, streichelt sie.

      »So kommst du nie zu deinem Kaffee«, sagt Nicole.

      »Ich will keinen Kaffee«, antwortet er.

      »Sondern?«

      »Dich –«

      »Geduld, mon chéri –«, versetzt sie.

      »Geduld erfordert Zeit, und Zeit ist knapp.«

      »Warum?«

      »Der Dienst –«

      »Ist General Mast denn so eifrig?« wagt sich Nicole vor. Sie geht zurück in den Salon, setzt sich auf eine tiefe Couch, legt die Beine übereinander. »Na, kommt schon«, fordert sie den Zögernden auf, der sich dann ein wenig zu schnell neben ihr niederläßt.

      Prenelle küßt sie. Die Französin läßt es sich gefallen. Seine Hände wandern vom Nacken abwärts.

      Sie schlägt ihm spielerisch auf die Finger. »Lentement, mon ami«, sagt sie, als sie der Hauptmann um die Taille faßt und an sich zieht.

      Zeitweilig vergißt Nicole, was sie erfahren möchte, aber als der Offizier ein paar Stunden später direkt von ihrer Wohnung in seine Garnison geht, ist sich die junge Französin ziemlich sicher, daß ihr neuer Freund bald vor ihr keine Geheimnisse mehr haben wird, auch keine militärischen.

      Die


Скачать книгу