Seewölfe - Piraten der Weltmeere 674. Jan J. Moreno

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 674 - Jan J. Moreno


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ursprünglich leicht einzuschätzenden Bewegungsrichtung war ein unberechenbarer Zick-Zack-Kurs geworden.

      „Wir können so oder so Pech haben, Ben.“

      Der Erste nickte knapp.

      „Fock und Besan?“ fragte er. „Ebenfalls wegnehmen?“

      Die Wasserhose wirbelte einen riesigen Gischtvorhang auf. Sie schien nach Süden abzudrehen, verharrte vorübergehend nahezu auf der Stelle und näherte sich dann erneut den Schiffen.

      Luftbewegungen wie diese entstanden hauptsächlich über flachen Küstengewässern. Aber selten betrug die Lebensdauer einer Wasserhose mehr als fünfzehn Minuten. Hasard wußte genug über diese seltsame Erscheinung.

      „Laß alle Segel bergen“, sagte er zu Ben Brighton, „bevor das Tuch in Fetzen von den Rahen hängt. Allerdings hoffe ich, daß es nicht allzu schlimm wird.“

      „Dein Wort in Gottes Ohr“, erwiderte der Erste. Nach einem flüchtigen Blick auf die, „Respectable“ wandte er sich um und erteilte die nötigen Befehle.

      Auf dem Kriegsschiff hatte offenbar noch niemand bemerkt, was sich im Westen zusammenbraute. Oder aber die sehr ehrenwerten Lords ignorierten den Wirbel einfach. Wahrscheinlich mokierten sie sich bereits über die Arwenacks, die aus unerfindlichen Gründen die Segel einholten.

      „Sollen sie“, murmelte Hasard vor sich hin. „Wenn ihnen der Wind erst die Perücken vom Kopf reißt, werden sie vielleicht begreifen.“

      Die Lords empfanden, um es deutlich auszudrücken, für die Schebecke der Seewölfe in etwa das gleiche wie der Teufel für die arme Seele. Gold und Silber übten eine geradezu magische Anziehungskraft aus.

      Andererseits hatte Philip Hasard Killigrew ein verständliches Interesse an der „Respectable“. Obwohl es ihm und seinen Männern leichtgefallen wäre, mit ihrem schnellen Dreimaster dem Kriegsschiff davonzulaufen, hielten sie sich zurück, weil fünf von ihnen zum Dienst auf die „Respectable“ gepreßt worden waren.

      So hatte es sich ergeben, daß die beiden ungleichen Schiffe stets in Sichtweite zueinander segelten.

      Don Juan de Alcazar lachte spöttisch. Er hielt Hasard das Spektiv hin, durch das er eben noch die Verfolger beobachtet hatte.

      „Das mußt du dir ansehen“, sagte er, sichtlich in seinem Glauben an eine gute Seemannschaft erschüttert. „Die Kerle haben ‚Klar Schiff zum Gefecht‘ befohlen. Sie sind im Begriff, ihre Stücke auszurennen.“

      Hasard schob die Hand mit dem Spektiv freundschaftlich zur Seite.

      „Wundern würde es mich nicht, wenn die Lords eine Falle wittern. Oder verstehst du, warum wir ohne jeden Grund die Segel bergen?“

      „Eigentlich nicht.“ Don Juan lachte gequält. „Man kann nur hoffen, daß die Wasserhose an der ‚Respectable‘ vorbeizieht oder vorher in sich zusammenfällt.“

      Noch einer lachte. Es war Donegal Daniel O’Flynn, Hasards kauziger Schwiegervater. Sein Lachen klang gereizt.

      „Die Taugenichtse schießen in den Wind!“ rief er.

      „Siehst du schlecht, Granddad?“ fragte Philip junior, der soeben zum Achterdeck aufenterte. „Die Lords halten unverändert auf uns zu, als wollten sie uns rammen.“

      „Ha!“ Der Alte begann heftig zu gestikulieren. „Die schießen in den Wind, verstehst du? Mit ihren Kanonen schießen sie. Das finde ich köstlich.“

      „Mit was sollen die Kerle sonst schießen, wenn nicht mit ihren Kanonen? Und das Ziel dürften höchstwahrscheinlich wir sein.“

      Old Donegal, den sein eigenes Wortspiel derart faszinierte, daß er darüber alles andere vergaß, stutzte.

      „Wie meinst du das, Junge?“

      „Wie ich es sagte, Granddad.“

      „Hm. Und wenn ich nicht richtig hingehört habe?“

      „Dann ist das deine Schuld, nicht meine.“ Philips Blick wanderte von Norden nach Westen und wieder zurück. Vergeblich versuchte er abzuschätzen, welche Bedrohung die schlimmere sein würde, vor allem, welche zuerst die Schebecke erreichte.

      Die Segel waren eingeholt; alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde unter Deck geschafft.

      Der Wolkenwirbel, noch achthundert Yards querab, wuchs bedrohlich an. Die Gischt ließ Himmel und Erde miteinander verschmelzen. Ein dumpfes Brausen erfüllte die Luft und übertönte den anhaltenden Donner. Nur die Blitze schienen spärlicher geworden zu sein, doch das lag eher daran, daß sie hinter dem die Sicht versperrenden Wirbel niederzuckten.

      „Alle Luken dicht!“ meldete Matt Davies.

      Ben Brighton nickte knapp. „Spannt die Manntaue!“ befahl er.

      Von Hektik war wenig zu spüren. Die Arwenacks arbeiteten präzise wie stets. Nur hin und wieder galt ein flüchtiger Blick dem Wolkenwirbel und der schäumenden Wasserwand.

      „Was sagt dein Zweites Gesicht, Granddad?“ fragte Philip junior.

      Old Donegal musterte ihn überrascht. „Das willst du nicht wirklich wissen, oder?“

      „Doch.“

      „Sturm zieht auf, mein Junge“, erklärte der Alte.

      Philip war schlichtweg platt. „Nein“, sagte er ächzend. „Auf den Gedanken wäre ich bestimmt nicht gekommen. Das ist eine äußerst tiefschürfende Erkenntnis.“

      Donegal Daniel O’Flynn schwieg beleidigt. Für eine umfassende Antwort blieb ihm ohnehin keine Zeit mehr. Er bekreuzigte sich und wich an den Besanmast zurück, wo er ein festes Tauende aufnahm und sich damit sicheren Halt verschaffte.

      Auf der „Respectable“ waren endlich einige besonnene Gemüter zu der Einsicht gelangt, daß weniger von der Schebecke der Seewölfe Gefahr drohte als vielmehr von dem gischtenden, sich windenden Wolkenrüssel, der beachtliche Wassermassen in die Höhe saugte und spurlos verschwinden ließ. Jedenfalls wurden die Stückpforten plötzlich wieder geschlossen.

      Dann war die Wasserhose heran.

      Eine heftige Sturmbö packte die Schebecke und ließ sie nach Backbord krängen. Die Takelage knarrte und ächzte, und das Vibrieren der Taue übertrug sich sogar auf die Decksplanken.

      Stiebende Nässe fegte über das Schiff hinweg, gefolgt von einer über der Kuhl zusammenschlagenden Sintflut. Den einen oder anderen, den die Welle mit unwiderstehlicher Gewalt umwarf, bewahrten die Manntaue davor, in die aufgewühlte See gespült zu werden. Back und Achterdeck blieben von den Wassermassen teilweise verschont, die den Großmast umschäumten, als wollten sie ihn umbrechen.

      Zum Glück waren die Beiboote sicher vertäut. Hätten sie sich losgerissen, wären beträchtliche Schäden entstanden.

      Der Spuk währte nur wenige Augenblicke, danach stand das Wasser knapp kniehoch auf der Kuhl, weil es nicht schnell genug durch die Speigatten abfließen konnte.

      „Schadensmeldung!“ befahl der Erste Offizier.

      Abgesehen davon, daß aufgeklart werden mußte, weil die Flut Unmengen von Tang und Seegras hinterlassen hatte, waren die Arwenacks ungeschoren geblieben.

      „Ich glaube, ich hab einen Fisch verschluckt“, meldete Luke Morgan halblaut. Eigentlich war die Feststellung nur für Jeff Bowie, Will Thorne und die Zwillinge bestimmt, die in seiner Nähe standen, aber der Kutscher, Feldscher und Erster Koch in einer Person, hatte Ohren wie ein Luchs.

      „Um so besser“, stellte er lapidar fest. „Dann fällt für dich das abendliche Backen und Banken aus.“

      Mac Pellew, der Zweite Koch, stand mit bitterböser Miene daneben. Deshalb schluckte Luke jeden Protest unausgesprochen hinunter. Denn Mac war imstande und ließ die Drohung wahr werden. Besonders dann, wenn er schlechte Laune hatte.

      Und die hatte er mit Sicherheit, wirkte er doch wie zur Salzsäule


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