Schick mich, ich bin schnell!. Ilja Behnisch
im Gegenzug zu 90 Prozent perfekt funktioniert, nur eben dieses eine von zehn Malen eben nicht? Was nutzen mehr Ballbesitz, mehr gewonnene Zweikämpfe und mehr Eckbälle, wenn der Gegner am Ende der 90 und mehr Minuten schlicht und ergreifend ein Tor mehr erzielt hat?
Vier Tore in 45 Minuten – keine schlechte Quote, dachte sich dann auch Rafael K. vom SPV 05 Nürtingen und ließ sich beim Halbzeitstand von 4:2 aus dem Spiel nehmen. Chronische Knieprobleme plagen ihn, da will jede Einsatzminute mit Bedacht gewählt werden. Doch die Heimmannschaft des TSV Ötlingen kämpfte sich zurück in das Spiel, erzielte in der 64. Minute den Ausgleich. Zum Glück sind erneute Einwechslungen erlaubt, in der Kreisliga B, Neckar-Fils. Und so betrat K. in der 66. Minute erneut den Rasen, nur um zwischen der 71. und 81. Minute drei weitere Treffer folgen zu lassen. Am Ende standen sieben Tore in 55 Minuten auf der Stechuhr.
Noch effizienter wäre er nur noch gewesen, hätte er mit seiner erneuten Einwechslung noch fünf Minuten gewartet. Doch Effizienz ist zwar eine Wissenschaft für sich, nur eben trotzdem wahnsinnig schlecht vorherzusagen.
Dr. Megavolt
Mit Spitznamen ist es eigentlich ganz einfach: Entweder man hat oder hasst sie. Lulatsch, Brillenschlange, Körperklaus zum Beispielft – nicht so geil. Dann gibt es noch die eher beschreibenden Spitznamen, die irgendwo zwischen »Ach ja« und »Egal« angesiedelt sind: Weizen-Peter, Piano-Klaus oder Leder-Uschi. Und schließlich die Sorte Spitznamen, die man sich redlich verdient hat. Nicht dadurch, dass man irgendwie aussieht oder irgendwas besonders gern macht. Sondern dadurch, dass man besonders ist. Anders als alle anderen, anders als wir, die als Durchschnitt ausmachen, was als normal gilt. Gerade auch im Fußball.
Michael Ballack ist auf ewig der »Capitano«. Jürgen Kohler der »Kokser«. Und André W. ist »Dr. Megavolt«.
Ein Samstag im November, irgendwo in Arnsberg, dieser verwegenen Sauerland-Metropole. W., Torwart der zweiten Mannschaft des örtlichen Deutsche Jugendkraft Grün-Weiß, handwerkelt im Haus umher. Dann trifft ihn der Schlag. Wortwörtlich. Beim Versuch, Fußleisten anzubringen, rutscht er ab und durchtrennt mit dem Teppichmesser ein Verlängerungskabel. Das Haus ist alt, die Sicherung springt nicht sofort heraus und W. hängt satte fünf Sekunden am Strom, ehe er endlich zurückgeworfen wird. Die Muskeln krampfen, und für eine kleine Ewigkeit ist er von Sinnen wie Oliver Kahn im »Weiter, immer weiter Beast-Mode«, kurz vor dem Endgegner.
Seine Frau fährt ihn schließlich ins Krankenhaus, wo gute Nachrichten folgen: nichts passiert, noch mal gut gegangen. Doch zur Sicherheit soll W. und zur Beobachtung für 24 Stunden vor Ort bleiben. Die Ärzte wollen für den Fall eines verzögerten Herzinfarktes gewappnet sein.
Unmöglich, denkt sich der Patient, schließlich steht am nächsten Tag das Kreisligaderby gegen den Nachbarn und Erzrivalen vom FC Neheim-Erlenbruch II an. Und so spricht er vier Stunden vor Ende der Schonfrist immer und immer wieder auf den Chefarzt ein: »Ich muss hier raus.« Der hat irgendwann ein Einsehen: »Sieh zu, dass du zu deinem Spiel kommst.«
W. eilt zum Stadion, eilt in die Kabine und zu seinen Jungs, die ihren Torwart mit Applaus und einem Spitznamen für die Ewigkeit begrüßen: Dr. Megavolt. Das Spiel endet mit 5:1. Wie sich das Gegentor erklärt? Vermutlich Spannungsabfall.
Spielabbruch wegen Sexorgie
Es gibt Fußballplätze, die sind besonders, weil sie besonders gelegen sind. Auf 5.000 Metern über dem Meeresspiegel, mitten im Wasser, quasi als eigene Insel, oder in Felsen gesprengt. Und es gibt Fußballplätze, die sind besonders, weil sie besonders schlecht gelegen sind. Aus der Reihe »Ungünstige Orte für einen Fußballplatz«: Embrach in der Schweiz. Eine Gemeinde im Norden von Zürich, ganz viel Natur, wenig Trubel. Gilt auch für den Fußballplatz des heimischen FC, der zwischen einem Biotop und einem Waldstück liegt. Für die örtlichen Frösche ist der Fußballplatz da nichts weiter als eine Transitstrecke zwischen den Welten. Denn offenbar bevorzugen die Tierchen die kuschelige Abgeschiedenheit des Waldes, um sich der Paarung hinzugeben.
Nur sind es in der Regel ein paar wenige Tiere, die sich auf den Fußballplatz verirren. Doch auch Frösche brauchen offenbar ab und an ein bisschen Abwechslung in ihrem Liebesspiel. Bei einem Altherrenspiel zwischen dem FC Embrach und dem Gast aus Räterschen kam es daher zu Beginn der zweiten Halbzeit zu einem regelrechten Frösche-Platzsturm.
Von jeder Schüchternheit befreit, quakten und sprangen die Amphibien in tierischer Geilheit auf den Platz, füllten ihre Schallblasen, die eigens für den Paarungsruf vorhanden sind, gingen voran, gnadenlos getrieben vom Wunsch zu laichen und zielstrebiger als jeder Stürmer, der je über diesen Platz pflügte, im Sinn, endlich zum Abschluss zu kommen.
»Anfänglich hüpften nur ein paar Frösche vom nahegelegenen Biotop auf das Feld«, sagte Embrachs Vizepräsident hernach. »Kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit, beim Spielstand von 2:2, änderte sich das dann aber dramatisch. Es war unmöglich weiterzuspielen, weil der Platz voll mit Fröschen war.«
Das Spiel wurde somit kurz nach Anpfiff der zweiten Halbzeit beendet und verlegt. Von einem Stadionverbot für die Frösche ist nichts bekannt.
Von der Champions League in die Kreisklasse
Der Amateurfußball ist nicht nur der Unterbau, das Fundament für die Träume von der großen Profikarriere, nicht nur das Rückgrat aller nationalen Dachverbände, sondern auch bester Freund und Therapeut. Für jene, die nur im Fußball ganz bei sich sind und ansonsten von Zeit zu Zeit aus allen Rahmen springen. Für jene, die mit den Begleiterscheinungen des höherklassigen Fußballs nicht immer einverstanden sind, die einfach nur wieder entdecken wollen, warum sie einst angefangen haben damit, gegen den Ball zu treten.
Im Spätherbst seiner Karriere hatte etwa Ex-Bayern-Profi Christian Lell mehr mit Boulevardgeschichten als auf dem Platz auf sich aufmerksam gemacht. Und schon stand der Amateurfußball zur Rettung bereit und nahm sich des ehemaligen U21-Nationalspielers an, da der seinerzeit vereinslose 31-Jährige im Urlaub auf Ibiza den richtigen Leuten über den Weg lief und sich beschallern ließ, die Töppen zukünftig für den TSV Weyarn in der 2. Kreisklasse Zugspitze zu schnüren.
Ein Riesencoup für den kleinen Verein, der sich nicht nur über einen gesteigerten Bekanntheitsgrad freuen durfte, weil dann ja doch wieder über Christian Lell berichtet wurde, sondern auch darüber, zukünftig einen Spieler in seinen Reihen zu wissen, der »eigentlich überall spielen kann«, wie es bei seiner Vorstellung von Vereinsseite hieß. Davon war wohl auszugehen, schließlich hat Lell stolze 119-mal in der Bundesliga und immerhin zehnmal in der Champions League gespielt.
So freute sich der Ex-Profi, einfach mal wieder nur Fußball zu spielen. Und so freute sich die Mannschaft, bald auf ein neues Level gehoben zu werden vom so begabten, neuen Mitspieler, von ihm mitgezogen zu werden, auf dass sie selbst neue Gipfel erstürmen würden. Seine Unterschrift allein allerdings versetzte noch keine Berge. Ganz im Gegenteil. Im ersten Spiel nach der Lell-Verpflichtung setzte es gleich mal die erste Saisonniederlage – mit 0:7 ging das Heimspiel gegen den TSV Brunnthal verloren. Lell. Verzeihung: LOL.
Mit dem neuen Heilsbringer lief es mit der Zeit aber besser. Vier Spiele, zwei Siege und zwei Unentschieden standen am Ende seines kurzen Gastspiels zu Bucheft – Tor und Torvorlage sowie eine Gelbe Karte inklusive. Dann hatte er plötzlich genug, der Lell, Schocktherapie abgeschlossen. Und so kümmerte er sich lieber wieder darum, Boulevard-Zeitungsgeschichten zu dementieren. Sie hatten recht in Weyarn: Er kann halt überall spielen.
Flitzer der Massen
Der Großraum Göttingen, das ist in Sachen Fußball eine Art Bermudadreieck des Erfolgs. Lothar Sippel und Maximilian Beister wurden hier geboren. Ansonsten gilt: Der große Fußball, das ist immer anderswo. Und trotzdem überraschte das Ergebnis der Wahl zum »Lieblingsspieler der Region« 2016, da der Sieger Onkel Günther hieß.
Das ist nicht etwa einer dieser zu bedauernden Brasilianer, deren Eltern im Namensfindungswahnsinn einen über die eigenen, gesunden Sinne entschieden hatten, kein Leidensgenosse von Kickern wie Bismarck, Creedence Clearwater Couto oder Overath Breitner. Onkel Günther ist an sich ein gewöhnlicher Fan. An sich. Etwas Besonderes ist ihm dann doch zu eigen.
Denn Onkel Günther hatte sich dereinst