Reigen Reloaded. Arthur Schnitzler
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JOSH: Biiitteeee …
LEONIE: hebt langsam das Leibchen, entblößt zuerst die rechte, dann die linke Brust.
JOSH: Mmmhhhh, nice, nicht runterlassen …
Aus dem Handy ist ein anerkennendes Raunen zu hören.
LEONIE: zieht abrupt das Shirt über die Brüste. Ich weiß nicht, ob ich das mag.
JOSH: Natürlich magst du das. Deswegen bist du ja hier. Kannst jederzeit auflegen.
LEONIE: Jetzt wieder du.
JOSH: Bitte sehr.
LEONIE: beugt sich konzentriert nach vorne. Ich seh gar nix. Nur schwarz.
JOSH: Bitte sehr.
LEONIE: erschrickt kurz, verzieht das Gesicht. Holy shit. Ich weiß nicht, ob ich das sehen will.
Zeig mir lieber wieder dein Gesicht.
JOSH: Du kannst ihn ja in den Mund nehmen, dann siehst du ihn nicht.
LEONIE: zuerst angewidert, dann plötzlich beginnt sie zu kichern, öffnet die Lippen und führt das Handy nahe an den Mund, beginnt es rhythmisch zu und von ihren Lippen zu bewegen. So?
JOSH: Oh yeah. Und jetzt alles. Du weißt schon. Aber schön die Decke wegziehen, damit ich was seh.
LEONIE: verzieht das Gesicht.
JOSH: Wir haben einen Deal.
LEONIE: schlägt die Decke zurück, hält das Handy vor den Unterkörper, seufzt, zieht ein Bein an. Mit der Linken hält sie das Handy, mit der Rechten zieht sie die Unterhose zur Seite.
JOSH: Oh, niiiice. Noch ein bissschen nach unten kippen. Yeeees, genau so. Singt. Sie hat dicke Lippen …
LEONIE: lacht verlegen. Genug jetzt.
JOSH: Oops.
LEONIE: Was, oops.
JOSH: Vielleicht hab ich jetzt doch einen Screenshot gemacht?
LEONIE: reißt das Handy nach oben. Hast du nicht!
JOSH: Wer weiß.
LEONIE: Du Orschloch. Kurze Nachdenkpause. Ich hab vielleicht auch einen gemacht! Ätsch!
JOSH: Na dann schick!
LEONIE: Du zuerst.
JOSH: lacht leise. Gute Nacht, Süße.
LEONIE: Trottel.
Sie drückt ihn weg, legt das Handy aufs Nachtkästchen, zieht die Decke über die Knie und reibt sich das Gesicht. Seufzt. Greift nochmal zum Handy und schaut.
LEONIE: Fuck. Fuck. Fuck.
Sie kneift die Augen zusammen und legt das Handy wieder weg. Knipst das Leselicht aus, sitzt jetzt im Dunkeln. Im fahlen Licht der Lavalampe sind nur mehr ihre Umrisse zu sehen.
Als Josef die Bar betrat, stand sie an der Theke und lächelte.
Hallo, Franz, sagte sie, kennst du mich noch? Restaurant Zum Englischen Reiter.
Josef stutzte. Er war noch nie im Englischen Reiter.
Genau, sagte er, im Prater, oder?
Ja, sagte sie, wo ich kellneriert hab.
Ich weiß.
Du erinnerst dich?
Als ob es gestern gewesen wäre!
Wirklich?, sagte sie. Wenigstens einer, der mich nicht vergessen hat.
Wie könnte ich!, sagte Josef. Wie geht es dir?
Mia, rief einer von den Tischen, noch ein Viertel Weiß!
Bin außer Dienst, rief sie zurück.
Kannst es mir ja trotzdem bringen!
Arschloch!, sagte sie zu Josef. Nichts als Arschlöcher!
Kellnerierst du hier?
Ja, aber heut ist mein freier Tag.
Und den verbringst du ausgerechnet hier, unter den Arschlöchern?
Wo sind keine Arschlöcher?, sagte sie. Die hier kenne ich wenigstens. Außerdem wolle sie sich sowieso umorientieren. Zwei Jahre Englischer Reiter, ein Jahr Eisvogel und jetzt hier. Hier wäre sowieso der blanke Horror, sagte sie. Das ständige Blöd-angequatscht-Werden. Das dauernd Vongroßen-Plänen-hören-Müssen, von Studienabbrüchen, von Beziehungsdesastern, von vergeblichen Jobsuchen, Wohnungssuchen, Sinnsuchen.
Ich versteh dich gut, sagte Josef.
Du verstehst, dass ich das nicht mehr aushalte?
Absolut, sagte Josef. Bewundernswert, dass du es bis jetzt ausgehalten hast.
Findest du auch?
Unbedingt! Kellnerieren ist doch die Hölle, oder?
Hast du auch einmal kellneriert?
Ich? Nein. Aber ich stelle mir vor, es ist die Hölle.
Es ist nur die Hölle!, sagte sie.
In Wirklichkeit wolle sie sowieso keinen neuen Job mehr. Was sie noch niemandem gesagt habe. Was sie nur ihm sage. Weil sie ihn schon lange kenne. Weil sie Vertrauen zu ihm habe. Weil er sie verstehe. Weil er ihre Situation richtig einzuschätzen wisse. Weil sie das Gefühl habe, er sei auf ihrer Seite. Was sie wirklich wolle, sei, sich von allem zurückzuziehen, sich radikal zu minimieren. Die Wohnung aufzugeben, das Studium, das habe sie schon aufgegeben, das Handy wegzuwerfen, kein Facebook, kein Instagram, kein Twitter, nichts mehr zu kaufen, die Kleider zu verschenken, die Kosmetika, die Bücher, ihren Schreibtisch, auf dem sie nicht mehr schreibe, ihr Bett, in dem sie nicht mehr schlafen könne. Denn sie brauche nichts. Niemand brauche etwas, aber alle täten so, als bräuchten sie alles. Sie aber nicht. Sie nicht mehr. Sie wolle nichts. Sie wolle einen Film drehen über Nichts, Gedichte schreiben über Nichts, Romane schreiben, tausend Seiten, über Nichts. Sie wolle sich befreien, alles abwerfen, alles vergessen. Sie sei achtundzwanzig und habe nicht mehr viel Zeit. Sie wolle sich beschränken, jetzt, auf das Wesentliche, auf das Existenzielle, auf das Unentbehrliche, auf das absolut Unentbehrliche, auf das Wirkliche, auf das absolut Wirkliche.
Aber das Studium, sagte Josef, warum das Studium aufgeben?
Ach, was, Studium!, sagte sie. Diese sinnlosen Studien! Wer braucht schon Linguistik? Oder Komparatistik, die sie vor der Linguistik studiert habe? Oder Translationswissenschaften, die sie vor der Komparatistik, oder Kulturwissenschaften, die sie nach den Translationswissenschaften studiert habe? Auch Lebenswissenschaften habe sie studiert. Genau, sagte sie, es gebe ein Studium der Lebenswissenschaften. Sei das nicht grotesk? Aber es sei ein wunderbares Gefühl gewesen, wenn sie jemand gefragt habe, was sie studiere, zu sagen: Ich studiere Lebenswissenschaften. Heut noch, in bestimmten Momenten, würde sie diesen Satz laut vor sich hinsprechen: Ich studiere Lebenswissenschaften. Ob er sich das vorstellen könne. Ob er sich vorstellen könne, was das Aussprechen eines bestimmten Satzes in einer bestimmten Situation für sie bedeute?
Oh, ja, sagte Josef, das könne er sich gut vorstellen. Jeder habe so einen Satz, der eine besondere Bedeutung habe, der einen in einer bestimmten, beschissenen Situation wieder aufrichten könne. Auch er.
Du