Reigen Reloaded. Arthur Schnitzler
das Sofa gegenüber legt. Er setzt sich wieder neben Anna, sie stoßen an.
Auf das Geschäft!, sagt Anna.
Auf einen wunderbaren Abend, sagt Benedikt. Übrigens: Vier Leute im Service sind dabei, zwei am Buffet, ich natürlich auch, um alles zu beaufsichtigen …
Ein Handy klingelt.
Das ist deins, sagt Anna und deutet auf das Jackett. Benedikt geht wieder um den Couchtisch herum, nimmt das Handy aus dem Jackett. Schaut auf das Display, seufzt: Ja? Aha, jaja. Wird noch dauern. Ja, großer Kunde. Achtzig Leute, Geburtstagsfeier... Ich bitte dich, hör doch … Ich leg jetzt auf … Nein! Ich hab jetzt keine … Wird spät, wird spät … Starrt auf das Display, seufzt, stellt das Handy auf Flugmodus, schiebt es zurück in das Jackett. Er setzt sich wieder zu Anna.
Deine Frau?, fragt sie.
Ja, sagt er, hat aufgelegt.
Sie starren einander an, dann beginnen sie einander leidenschaftlich zu küssen. Nach einer Weile lassen sie wieder voneinander ab, um zu trinken.
Und dein Ehemann?, fragt Benedikt.
Hat mir was angehängt.
Ein Kind?
Papillomaviren. HPV 16. Kann zu Gebärmutterhalskrebs führen. Wenn ich daran sterbe, wird er mich umgebracht haben, der Arsch.
Also du bist … du hast …
Ich war immer treu, sagt Anna, bis ich draufgekommen bin, dass er es nicht war. Wie hat es Arthur Schnitzler doch so schön formuliert? „Wenn Treue nicht ein Gegengeschenk ist, dann ist sie die törichteste aller Verschwendungen.“
Wow, Schnitzler, sagt Benedikt und nimmt einen Schluck Whisky, aber um noch einmal auf diese Papillomasache zurückzukommen …
Anna steht auf, nimmt ihre Handtasche vom Sofa gegenüber, holt eine Handvoll Kondome heraus: Die von mir präferierte Marke, dein Einverständnis vorausgesetzt.
Wird schon passen, sagt Benedikt. Aber warum so sachlich die ganze Zeit? Bist du denn gar nicht romantisch? Das ist ja kein Tinder-Date.
Auf Tinder sind auch alle ganz romantisch, sagt Anna, im Chat heißt es: Ich will mit dir an einsamen Stränden die Seelen verschmelzen lassen und so weiter, und dann im real life: wham, bam, thank you ma’am.
Benedikt schüttelt den Kopf: Das gehört sich aber nicht.
Nein, oder?
Nein. Man muss doch aus so einer Gelegenheit was machen. Ich meine: mit so einer Frau! Er nimmt Anna das Weinglas aus der Hand, stellt es auf dem Couchtisch ab und küsst sie. Als er ihr mit der Hand unter den Rock fährt, schiebt sie ihn weg. Sie seufzt.
Was ist?, fragt Benedikt.
Ich denke schon an danach, sagt Anna, ich weiß, ich sollte das nicht tun. Es ist immer das Gleiche. Du bist dann schon weg, geistig und körperlich, aber ich …
Na na, sagt Benedikt und legt ihr begütigend die Hand auf den Oberschenkel, aber über dem Rock.
Weißt du was?, sagt Anna. Ich sag dir einfach vorher, wie es für mich sein wird. Die Geduld wirst du ja haben. Also: Die Liebesnacht ist wie Eislaufen auf einem einsamen Fluss in nördlichen Wäldern. Dein Weg ist klar und frei und umstanden von verzauberten Gestalten: raureifumkrusteten Tannen, Schneewächten mit Gesichtern, Felsen, über die gefrorene Wasserfälle quellen. Du fährst und fährst, in dir ist es warm. Der Fluss hat Biegungen, hinter jeder fällt das Licht ein wenig anders. Links, rechts, links, rechts schneiden deine Kufen in das Eis und die kleine Bewegung wächst ganz von selbst zu einem großen Gleiten. Wer hätte gedacht, dass du so schnell sein könntest, so todesverachtend, so stark! Liegt ein Zweig auf dem Eis, weichst du ihm geschickt aus, fährst du über eine plötzliche Unebenheit, federst du sie ab mit einem eleganten Sprung, taucht aufgewehter Schnee auf deinem Weg auf, fährst du hinein und er stäubt in einer glitzernden Wolke auf, die du auch gleich wieder verlässt. Unter dem Eis siehst du riesige Fische zu dir heraufschauen, aus dem Unterholz blinzeln silberne Pelztiere, von den Wipfeln lösen sich Vögel mit einem heiseren Schrei. Der Mond gleißt, die Sterne funkeln, Nordlichter und Luftspiegelungen wabern. Du fühlst dich von der Landschaft umfangen, ja, von der Welt. Denn auch hinter der Landschaft pulsiert alles in einem tieferen Sinn nur für dich und hält dich und leuchtet und rauscht.
Klingt doch super, sagt Benedikt.
Ja, sagt Anna, aber du weißt auch, dass das Eis nicht halten wird. Dass der Moment kommen wird, wo du einbrichst und in das schwarze, eisige Wasser stürzt. Wo jeder Versuch, dich am Eisrand festzuhalten und wieder hinaufzuziehen, unweigerlich dazu führt, dass noch mehr Eis abbricht, und das Loch, in dem du strampelst, größer und größer wird. Die Kälte hat blitzschnell all deine Schutzhäute überwunden. Sie greift ganz tief in deinen Kern und du weißt, dass du mutterseelenallein bist und dass die Welt und die Landschaft sich nicht um dich scheren.
Ist das so eine postkoitale Depression, oder was?, fragt Benedikt.
Nein, nein, sagt Anna, das kommt nicht gleich nach dem Koitus, eher am Mittag danach. Wenn die schlagartige Erkenntnis einsetzt, dass es keine Liebesnacht war, sondern nur eine banale Ficknacht.
Warum machst du es dann?, fragt Benedikt.
Das Eislaufen ist ja super, sagt Anna.
Benedikt schwenkt sein Whiskyglas und riecht daran. Ich rieche nördlichen Torf, sagt er, Lagerfeuer, bittere Eiche und – etwas kandierten Apfel. Er nimmt einen kräftigen Schluck. Aber bitte sag nicht banale Ficknacht, sagt er, das klingt so … Es ist ja doch etwas Besonderes. Du bist was Besonderes.
Ja?
Du bist eine tolle Frau, sehr attraktiv, gebildet, hast eine Galerie … Die ganzen Künstler liegen dir zu Füßen …
Oh ja, sagt Anna, vor allem, wenn sie eine Ausstellung wollen. Aber du bist auch toll. Charmant … sehr gut gebaut … ein erfolgreicher Gastronom … Sie klettert auf dem Sofa etwas hinauf, um seinen Nacken zu küssen. Der Hemdkragen ist im Weg. Benedikt knöpft das Hemd auf und zieht es aus. Sie küsst weiter. Er senkt seinen Kopf, um noch besseren Zugriff zu gewähren.
Die Sache ist die, sagt Anna innehaltend – im Gegensatz zu dir zahl ich für jeden Orgasmus einen hohen Preis. Da darf ich auch ein bisschen wütend sein und so ungerecht wie die Neurobiologie.
Benedikt hebt wieder den Kopf. Schenkt sich Whisky nach. Trinkt.
Du als Mann, sagt Anna, du zahlst vielleicht allenfalls mit Geld …
Ich zahl sicher nicht, nie, sagt Benedikt, es gibt wahrlich genug attraktive Freiwillige, die liebend gern, und die man nicht aus Moldawien herschleppen muss …
Schon gut, sagt Anna, du bist eh sehr fesch, wie gesagt. Und lieb. Was ich sagen wollte, ist, dass für dich am nächsten Tag alles gut ist. Vielleicht bist du ein bisserl müde, oder ausgelaugt, oder verkatert, aber dein Kopf ist von den rezenten Ereignissen frei. Du kannst die Liebesnacht vergessen …
So ist’s brav, Liebesnacht heißt das, sagt Benedikt und küsst sie. Anna küsst zurück, dann nimmt sie einen Schluck Wein und spricht weiter: Du kannst die Liebesnacht vergessen, dich auf die Arbeit konzentrieren, alles paletti. Aber ich – wenn die Liebesnacht halbwegs gut war …
Von halbwegs reden wir hier nicht, sagt Benedikt und tänzelt mit der Zunge über ihren Hals, mit halbwegs brauchst du bei mir nicht rechnen …
Also wenn die Liebesnacht super gut war, fährt Anna sich zurücklehnend fort, dann … also …
Benedikt tänzelt mit der Zunge in ihr Ohr und sie kichert. Lass mich ausreden, sagt sie, also wenn die Liebesnacht … dann am nächsten Tag … ist mein Gehirn voll im Oxytocin- und Dopaminrausch.
Benedikt lässt von ihr ab. Du wirfst was ein?, fragt er, brauchst du das? Ich mein, ein bisserl kiffen wär schon okay.
Ich werf nichts ein, du Dillo, sagt Anna, das sind körpereigene Drogen. Beim Knutschen und Rummachen und Aufheizen und Überhitzen und Explodieren schießt das Zeug in mein Gehirn und tränkt