Inferno. Siege und Niederlagen - Tatsachenroman. Will Berthold

Inferno. Siege und Niederlagen - Tatsachenroman - Will Berthold


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Nachbarstaffeln haben ihre Toten vom Eis geholt. Sie stehen stramm, als die fünf Jagdflieger der Erde übergeben werden. Sie setzen der Zeremonie angepaßte Gesichter auf, hoffend, daß es bald vorbei sein wird und daß sie nicht das nächste Mal in den Särgen liegen werden.

      Dann singen sie: »Ich hatt’ einen Kameraden ...« Heute hatten sie fünf: sie hatten schon über fünfhundert gehabt, sie werden Millionen gehabt haben, wenn der Krieg zu Ende ist, und nicht alle waren Kameraden gewesen, aber ausnahmslos werden sie tot sein.

      Der blasse Hinrichs macht schlapp, heult Rotz und Wasser. Feugele scheißt ihn zusammen und hat selbst nasse Augen.

      Die Verluste sind furchtbar, nicht nur durch Feindeinwirkung, sondern auch durch Unfälle. Dabei kommt es zu Szenen, die jegliche Kaltblütigkeit überfordern. Der Autor und Stuka-Flieger Valentin Mikula berichtet über einen abgestürzten Kameraden: »Der Flugzeugführer wurde nach fünfzehn Minuten in einen Sanka verladen. Was sie dort an fleischigem Rest verluden, hatte keine Ähnlichkeit mit einem menschlichen Wesen. Der Mund war bis zu den Ohren aufgespalten, die Zähne hingen wahllos aus den Kiefern, er war skalpiert, der Brustkorb deformiert, kein heiler Knochen. Der linke Arm aus der Schulter gerissen, der rechte in sich zusammengestaucht. Das rechte Bein war am Knöchel ab, Hautfetzen zeugten von einer ehemaligen Fortsetzung. Am linken Knie war die Kniescheibe fein säuberlich ausmontiert und blieb unauffindbar. Das Gesäß war verkohlt. Diese Menschenmasse lebte aber noch. Der Arzt spritzte ihm Morphium, damit er weniger wahrnahm. Aber der Lebenshauch, der aus diesem Fleischbündel kam, war durch kein Mittel zu dämmen, er schien geradezu geweckt worden zu sein. Er fluchte über das Mißgeschick und versuchte mit einem klaren Auge aus den Gesichtern der anderen die volle Tragik seines Geschickes abzulesen. Die jungen Flieger, die eben am Notlandeplatz aufsetzten, sahen, wie man nachher aussieht. Bei der Verladung in den Sanka fluchte er auf plattdeutsch im halben Delirium und verschied erst kurz vor dem Luftwaffenlazarett ... Ein normaler Soldat stirbt, wenn seine Zeit abgelaufen ist, ein Stukaflieger muß gestorben werden ...«

      Ohne Übergang gehen sie in die Nahkampfdiele. Ausgang bis Mitternacht. Danach zwei Stunden Verlängerung, weil das Wetter inzwischen noch schlechter wurde. Oberleutnant Michalski ist nach der Beerdigung sofort zum E-Hafen zurückgefahren, um die Briefe für die Angehörigen zu drechseln. Obwohl er stets nach dem gleichen Muster strickt, kommt er nicht recht voran, setzt einen Moment lang ab und überlegt, wer den Brief an seine Mutter schreiben wird und wann. Vater hat Michalski keinen; er ist schon im ersten Weltkrieg gefallen.

      In irgendeiner schmuddeligen Kneipe, in Gesellschaft noch schmuddeligerer Französinnen, saufen sie sich ihr Weltbild wieder richtig zurecht, klopfen sich an die hochdekorierte Brust und pfeifen auf den Kater, den sie morgen haben werden. Aber morgen ist einsatzfrei, ohnedies ist es wurscht, ob sie mit Haarwurzelkatarrh starten oder nicht. Die Scheiße ist immer die gleiche, und sie sind weit von ihrem Kampfauftrag entfernt, den Himmel über Großbritannien von Feindflugzeugen freizufegen.

      »Ich glaube, der Wasserlöwe ist seekrank«, sagt Feugele.

      »Kümmere dich lieber um die Rote da hinten«, versetzt Hinrichs, »bevor die anderen sie uns wegschnappen.«

      Die Kellner kennen sie schon und bedienen sie freundlich. Sie als Franzosen sind zwar nicht sehr gut auf deutsche Soldaten zu sprechen, aber wenn schon, sind ihnen die Männer vom fliegenden Personal noch am liebsten, weil sie ihre Fliegerzulage am Tresen versaufen und hohe Trinkgelder geben. Gelegentlich fragen sie nach dem einen oder anderen, dessen Namen sie aufgeschnappt haben, und dann gibt es meistens betretene Gesichter, und das heißt: Den hat’s erwischt, oder, wie Güßregen es formuliert: »Jagdflieger leben gut, aber kurz.«

      »In der Mitte von dem Teiche schwimmt ’ne nackte Frauenleiche.«

      Möllner hebt das Glas zum üblichen Trinkspruch: »Und auf ihren prallen Brüsten frönen Frösche ihren Lüsten.« Sie lachen noch immer über den Kalauer und fallen im Chor ein: »Und durch den Geschlechtskanal windet sich ein fetter Aal. Und der Arsch, der war bemoost –« Sie drohen am Lachen zu ersticken. »Prost!«

      Am 19. Juli 1940 war die Reichshauptstadt ein riesiges Flaggenmeer. Begeisterungsstürme fegten über die Straßen. Hitler feierte in Berlins Kroll-Oper seinen Triumph über Frankreich. »In dieser Stunde fühle ich mich verpflichtet«, sagte er unter donnerndem Applaus, »noch einmal einen Appell an England zu richten. Ich glaube dies tun zu können, weil ich ja nicht als Besiegter um etwas bitte, sondern als Sieger für die Vernunft spreche.«

      Die Briten lehnten ab. Sie dachten nicht an einen Frieden, so wie der Diktator nie daran gedacht hatte, gegen England Krieg zu führen. Durch eine mißverständliche Äußerung des Fliegergenerals Hans Jeschonnek war das Gerücht aufgekommen, Hitler habe vor Dünkirchen seine Panzer bewußt angehalten, um die Engländer zu schonen. Davon konnte keine Rede sein, aber als der selbsternannte Feldherr jetzt die Invasion auf die Insel anordnete, tat er es seltsam halbherzig.

      »Die deutschen Generale waren sich der Risiken voll bewußt, die ihre Truppen eingehen würden, wenn sie das Meer überquerten«, schreibt Liddell Hart. »Sie zweifelten daran, daß Marine und Luftwaffe die Durchfahrt freihalten könnten, und drängten darauf, daß die Invasion auf einer genügend breiten Front durchgeführt werden sollte (von Ramsgate bis Lyme Bay), um die englischen Verteidigungskräfte zu verzetteln und abzulenken. Die deutschen Admirale hatten noch größere Befürchtungen darüber, was geschehen würde, wenn die britische Flotte am Schauplatz auftauchte. Sie hatten wenig oder kein Vertrauen auf ihre eigene Fähigkeit, ein solches Eingreifen zu verhindern. Daher betonten sie, daß dem Plan des Heeres, der nach einer breiten Invasionsfront verlangte, unmöglich Dekkung gegeben werden könne und daß die Überquerung auf einen relativ schmalen, minengeschützten Korridor mit kleineren Heeresstreitkräften beschränkt bleiben müßte – Einschränkungen, die wiederum die Zweifel der Generale vertieften. Vor allem betonte Admiral Raeder, daß die Luftüberlegenheit in der Überfahrtzone unentbehrlich sei.

      Nach einer Besprechung mit Raeder am 31. Juli akzeptierte Hitler die Ansicht der Marine, daß ›Seelöwe‹ nicht vor Mitte September gestartet werden konnte. Aber die Operation wurde bis 1941 aufgeschoben, da Göring versicherte, die Luftwaffe könne sowohl das Eingreifen der britischen Marine verhindern als auch die britische Luftwaffe vom Himmel verjagen ...«

      Inzwischen wurden von deutscher Seite drei Luftflotten für die »Operation Seelöwe« bereitgestellt. Sie sollte mit einem Donnerschlag eröffnet werden. Die Luftwaffe verfügte dafür über 1000 Bomber, 870 Jäger, 330 Stukas und 270 Zerstörer. Die Ju 87 konnten, ebenso wie die Mes, von E-Häfen am Kanal aus starten. Aus Südnorwegen sollten Ju 88 gegen England fliegen. Die Einsatzzeit hing nur noch vom Wetter ab. Nach Möglichkeit Anflug in den Wolken, Angriff bei strahlendem Sonnenschein. Stichwort des Startbefehls: »Adlertag.«

      Die ersten Verbände wurden am 13. August um 5 Uhr 30 über Amiens festgestellt, ein zweiter bei Dieppe, ein dritter über Cherbourg. Das Wetter war ideal, aber sowie die Verbände den Wolkenschutz verließen, waren die Spitfires und Hurricanes da und stürzten sich auf die Angreifer, trafen und wurden getroffen. Während sich die Jäger wilde Luftschlachten lieferten, waren die Kampfflieger ungeschützt. Rund um die Uhr hetzte Göring seine Verbände in die Schlacht, aber nur selten trafen sie die neun ausgesuchten Ziele in Südostengland.

      Abfangjäger sprengten auch die zweite Welle noch vor dem Bombenwurf. Und die dritte. Den ganzen Tag tobte eine blutige und erbarmungslose Luftschlacht. Die He 111 zerplatzten am Himmel. Aus den Ju 88 sprangen die Besatzungen in die Gefangenschaft ab. Und die lahmen Ju 87 erwischte es oft noch beim Rückflug über den Kanal. An diesem Tag verloren die Deutschen 55 und die Engländer 13 Flugzeuge. Der Nimbus der Luftwaffe begann zu verblassen.

      Der »Adlertag« – eher einer des Pleitegeiers.

      Schon bei der Eröffnung der Battle over Britain deutete sich ein Verschleiß- und Abnutzungskampf an, der Werner Mölders – As, Idol und erster General der Jagdflieger – später bekennen ließ: »Ich habe hundert Alpträume erlebt. Als die Luftschlacht zu Ende war, war ich ein alter Mann ...«

      Der Adlertag war flügellahm. Am 14. August verhinderte das schlechte Wetter massive Luftoperationen, aber am Donnerstag, den sie den blutigen nennen werden, war alles, was Schwingen


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