Ulrike Woytich. Jakob Wassermann

Ulrike Woytich - Jakob Wassermann


Скачать книгу
Der Spiegel bewegte sich wie eine Schranktür in Scharnieren. Da jauchzte es in Ulrike, aber als der Hofrat erschrocken innehielt, sich ihrer entsann, zurückkehrte und die Tür schloss, nicht ohne einen misstrauischen Blick auf sie zu werfen, schaute sie unschuldig gegen das Fenster.

      Ehe sie schlafen ging, steckte sie den Schlüssel zur Flurtür zu sich. Und in der Nacht, es war ungefähr zwei Uhr, kam sie in blossen Strümpfen herunter, sperrte leise auf, schritt auf Zehen über den Gang, öffnete leise die Stubentür und horchte lange. Das den Fenstern gegenüberliegende Dach war von friedlich schimmerndem Mondlicht übergossen. Sie liess sich lautlos auf dem Sofa nieder und wartete, bis sie die Atemzüge des Greises durch die halboffene Tür seines Schlafzimmers als die eines Schlummernden unterscheiden konnte. Dann erhob sie sich und ging hinein. Auf dem Nachttisch im Alkoven brannte ein Öllämpchen, dessen Schein ihr half, die Kleider des Alten, die über die Stuhllehne gebreitet waren, nach dem Schlüsselchen abzusuchen. Als sie es fand und samt der Kette loslöste, zitterten ihr die Hände bei der Bemühung, ein Klirren zu vermeiden, und sie blickte scheu auf den Schläfer. Er lag auf dem Rücken; das Gesicht war zitronengelb, die Unterlippe hing in welthassender Schlaffheit herab.

      Nun schlich sie unhörbar zurück, doch um ins dritte Zimmer zu gelangen, musste sie die Tür aufklinken, und dies erforderte grösste Vorsicht. Sie wusste, dass der Schlaf des Alten wie ein dünnes Membran war, das beim geringsten Geräusch zerriss. Endlich stand sie vor dem Spiegel. Der Widerschein des Mondlichts vom Dach drüben gab genügend Helligkeit, auch hatte sie Augen, die im Dunkeln an Sehschärfe zunahmen. Sie gewahrte sogar ihr Gesicht im Spiegel, und es erschien ihr so unbekannt, dass sie beinahe zurückgebebt wäre.

      Der Spiegel wurde beweglich, wenn man einen Metallhebel unten verschob. Dies entdeckte sie schnell. Die Tapete dahinter zeigte ein längliches Viereck, etwa fünfzig Zentimeter hoch und dreissig breit. Sie sperrte auf. In der Tiefe des eingemauerten Schrankes, den sie mit dem ganzen Arm durchsuchte, lag in einem Lederfutteral die Geige. Sie zog sie heraus, streifte die Hülle ab und hielt das Instrument in Händen.

      Sie hielt und betrachtete es lange. Es fühlte sich eigentümlich warm an, eigentümlich zart und glatt wie ein winziger Menschenleib. Es war als vibriere das Holz unter ihren Fingern und als seien die beiden symmetrischen Öffnungen neben dem Steg zwei erloschene Augen. Da fühlte sie eine fremde, unendlich düstere und schwere Bewegung in ihrer Brust. Sie, die von keinem Menschenleid und Schicksalshauch wahrhaft angerührt wurde, die mit Kälte und Gebundenheit zielentschlossen durch die Welt der Kreaturen schritt und sich gewöhnt hatte, deren Not und Qual nur rechnend in sich aufzunehmen, bedurfte der grössten Selbstbeherrschung, um beim Anblick der Geige nicht in Tränen auszubrechen und zu weinen wie ein Kind. Es war eine fremdartige und wohl auch unerforschliche Gewalt, die da wirkte; sie empfand es wie Abschied; Abschied von Erinnerungen, von einem Land der Seele, an dem auch sie einst teilgehabt, und das nun versank für immer. Jeder Mensch steht einmal vor seinem inneren Kreuzweg, an dem er sich unwiderruflich entscheiden muss.

      Sie verharrte mit tiefgesenktem Haupt. Eine Versuchung kam über sie und verstärkte sich zu leidenschaftlichem Wunsch: sie wollte den Ton der Geige hören, einen einzigen Ton bloss. Und so zupfte sie an der G-Saite. Ein feiner klagender, ungemein melodischer und rasch verhallender Klang antwortete. Sie lächelte und lauschte entzückt.

      Im selben Augenblick legte sich eine schwere Hand auf ihre Schulter, und ein unheimlich glucksendes Geräusch war hinter ihr. Sie drehte sich um. In seinem grünen Schlafrock stand der Hofrat da. Er sprach kein Wort. Er schaute sie an. Seine Augen schienen bodenlos.

      „Sie werden sich erkälten, Onkel Klemens“, sagte Ulrike.

      Wieder das Glucksen wie aus einem Flaschenhals, halb Gelächter, halb böses Erstaunen. Er nahm ihr die Geige sanft aus den Händen; er stülpte das Futteral umständlich über das Instrument; er legte es wieder in den Mauerschrank, schloss die Türattrappe, drehte den Schlüssel um und sagte hastig, mit hohler Stimme, über die Achsel: „Kannst nicht warten? Bist ungeduldig? Dauerts dir zu lang, bis deine Zeit da ist? Geh fort. Es soll nichts gewesen sein. Ich wills vergessen. Ich will nichts gesehen haben. Es soll eine Nachtwandlerei gewesen sein. Wir wollens geträumt haben.“

      Ulrike warf den Kopf zurück, deutete mit dem Zeigefinger auf ihre Brust und erwiderte hart: „Machen Sie sich nichts vor, Onkel Klemens, hier wird nicht geträumt.“ Dann ging sie.

      Der Hofrat stelzte hager in seinen Alkoven zurück und, indem er unter die Bettdecke kroch, ächzte er: „Aufpassen muss man, immerfort aufpassen muss man ...“

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.

/9j/4AAQSkZJRgABAgAAAQABAAD/2wBDAAgGBgcGBQgHBwcJCQgKDBQNDAsLDBkSEw8UHRofHh0a HBwgJC4nICIsIxwcKDcpLDAxNDQ0Hyc5PTgyPC4zNDL/2wBDAQkJCQwLDBgNDRgyIRwhMjIyMjIy MjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjL/wAARCBAnDBwDASIA AhEBAxEB/8QAHwAAAQUBAQEBAQEAAAAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtRAAAgEDAwIEAwUFBAQA AAF9AQIDAAQRBRIhMUEGE1FhByJxFDKBkaEII0KxwRVS0fAkM2JyggkKFhcYGRolJicoKSo0NTY3 ODk6Q0RFRkdISUpTVFVWV1hZWmNkZWZnaGlqc3R1dnd4eXqDhIWGh4iJipKTlJWWl5iZmqKjpKWm p6ipqrKztLW2t7i5usLDxMXGx8jJytLT1NXW19jZ2uHi4+Tl5ufo6erx8vP09fb3+Pn6/8QAHwEA AwEBAQEBAQEBAQAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtREAAgECBAQDBAcFBAQAAQJ3AAECAxEEBSEx BhJBUQdhcRMiMoEIFEKRobHBCSMzUvAVYnLRChYkNOEl8RcYGRomJygpKjU2Nzg5OkNERUZHSElK U1RVVldYWVpjZGVmZ2hpanN0dXZ3eHl6goOEhYaHiImKkpOUlZaXmJmaoqOkpaanqKmqsrO0tba3 uLm6wsPExcbHyMnK0tPU1dbX2Nna4uPk5ebn6Onq8vP09fb3+Pn6/9oADAMBAAIRAxEAPwDxnbil 24GajV8jNOySKYCFu1MNOPWmNuFAD096k2g1ACcVItAAw2EY708E4pGIHWgNnpSAcRkcUz5s1Ogp WxQBWYmnRg45pSMmnfw4oACaYzmnUhFADN5AppXIzUpAxQq8UARoMc1LupoHNShcYoAENOdQ9IBi nDrzQA6NQgpZCG7ULjPNOyD1oEysQg6imMARxVkqo54qCX2oBEO2pFXimcinoeKBjgOaVhnFG4Ad 6YXFAC5ppWlUgmnNx3oAaFxSGnZprc0ANJpBQaTmgCQ5xUQyXqRSSKF+9zVAKvytmlOOtOlA2jFN QZoAcoBpWfjFG3DDFMb5TzQAFwvFAIpnDHNO47UAJuoJobApmaAJFNSEkDioVNSbz07UAKBuPNDL ilI2jNRl+e9ABnimdafkUoFADAcUFs0rLTQOKAHBuKXtSKOaccbqAEAxQTxStxTetADScGl3ZFIR QooAAOalHSmhe9PxxQAxhTQMU8nmmnigAPNMIpwNIaAEA5pyOOlIBmlCAUgH8UZA5poHFGMUAIWJ NPDnpSqBTiBihgNNNLZpxpuMUgDdS5GKQrml200AwtzUkb1GwxQh56GmBMXzTHfA4pxFRtQAiZNS gnpUanApwJzQBLt4zSDrSBj0pcgUAK2ajAO6nmQUitlqAEGaerlTSySKOxqINuNACSsSaaDzzUrC lAXGSDQUR1Ii8ZpcDIpx4oEROajzUrjvUYGaBDl45p4lIOKFA9RQwUDjrQAqnnJp20E5quzc1PG6 lcc0ARsAGpjkAUr8txThHleSKAGA/LTkxjk0CPPAp3lBRzn8KAE4JpDtPBpwAqCTO6gB5QdqVVGO etRqcU/IIoAdwOlAFRkntTwcUASDHSkfgVFuO7ipQRjmgCPNNJyaecE8UhXAoKQhXFNxml5NJ0NA DDH81SY4oJyaBQAU7tRkYpCaAGOM0gO0UuDmjaTQAJzT8YFIF2+lGaAI2JBpFclqe3NIODQIecnF OC03dkingHGaAGlcjFPVcDFNDgHJpwYE8VIDjz1qPaxPFSHnrQDg8UCF2KvPelYb1xTHBPOaRWIo AQqRxSbakDdc00mgY3FJigNmnZxTAbgCkJak3DNOBzQA8crzSY20A0rYxQxj8/LTcmmhuMUDNIQv NMbNPyaaTQA0YFG8Y56UYzSFQKYC7l7CnbjmkVcjpSgUALTdpobNCk96QIePSnO+FpmaYxzQMQks KVVfrSKtO3YoJFOe9Jijfmj6UAGzNP2cUKeKehBoAaoKnihnwfmFSllFRsQe1ADPMTsKXAPSgc9q cFoAaBtp3UUh5NPx8tAEXel4pCDmjFABuBYCnlRTAozmpFGaQiVEGKRohQDzxUygEUAVXTihRhas OuRTABtoERZo605sU3NAxQKdwBxSDmkbg0gELGhc5o3D0pd2BQA7aTSlMDmlRqcxyKAGKAKNuTml 24ozigBy0pFR85p5ORQMQDmnYpoOOTTsg0AAOKUtUbdTSx8nmgB4CtSkBelB2imk56UAKrZppUim k4qVTkZNACqhNObIFNEmDTWk5oATmjHenb1x3puc0ANyM1KpqPaM08Y7UgFJptKabigB4OBQW3U3 tQjAHBoAduIFJuJpW6cUwZpgOPWlApvbNPGMZoARulR4xTmYU0sDQAmM0bcc04dKeuDQAwMG607G OlOZFH1qMnFIB+d3FNddopEzuzTn5b2oAYoI5p2etTJtIxStGCOCKAIEAJpd2GxTwmzrTDjdQA71 96YSF5p+M01gO9ACB807NN4pc4oAkVc0jKA2e9AcYprnNADiW7GmHPemj60Fh2oGhCaSgtmjNA7i EUBc0E0gamIUqBSAZpxHrSdDQA3o1PztpDilwW5oAQAE5NKAM8UgHrSgYoAd05pwOajz60dCD2oG SFKjIweKl3gioz1oAQA07BFKppWNADVUs+DTjB5XPrSBwD704ybhg0AQlfmzQVzUhwaAKBEYHzVI RQBzmnZBoATtSFc1IcAUwnrQDGqMA0cGmk84pVxQICmeaNtScbeKauc0FIaV2iljTdS/eGKRcqaB MJItozUa1OxyKixzQSPHSoJU54qcelBXNAysobFLgipgpzQ6nFAiJSaf97g9KQAjrSk8UFIRmI47 U0Jk5FByaeg4xTQMRjgVGHbvUkhAqItTEPHPSlKGmIcGpy3y0mBDtzTGGDipT0zUROaAFFO5pgNP B5oAVQTRjFKxwOKbmgBS3FIg3UHmnR8UwGn
Скачать книгу