Die Einfälle der heiligen Klara. Pavel Kohout

Die Einfälle der heiligen Klara - Pavel Kohout


Скачать книгу
Frage?

      – Kann man sich dazu ausbilden lassen?

      – Ja. Im Zirkus. Läßt du mich eine Weile lesen?

      – Wie kannst du das sagen!

      sagte vorwurfsvoll Frau Tikalová. Sie kam eben aus der Küche zurück und zündete sich eine Zigarette an. Den sich häufenden emotionalen Rückziehern ihres Gatten trachtete sie ein gesteigertes intellektuelles Übergewicht entgegenzusetzen.

      – Zum Beispiel dieser Hanumann? Kürzlich stand in den »Kuriositäten aus aller Welt« etwas über ihn geschrieben!

      – Du meinst wohl Hanussen!

      sagte Doktor Tikal ätzend. Die endlose Polemik, die seine Frau aus krankhafter Eifersucht mit ihm führte, ging ihm gleich aus zwei Gründen auf die Nerven: weil sie zu Recht eifersüchtig war und weil sie sich nicht einmal die allereinfachsten Namen merken konnte.

      – Wenn du weißt, wie er heißt, dann weißt du auch, daß er ein berühmter Hellseher war,

      verkündete Frau Tikalová, deren Übergewicht in letzter Zeit durch das untrügliche Gefühl gesteigert wurde, ihr Gatte habe sich wieder mal mit einem Weibsbild eingelassen.

      – Ich weiß nur das, wovon ich mich selbst überzeugt habe. Und das möchte ich gern auch meinem Sohn einimpfen.

      Er begann aufs neue mit der Lektüre des ersten Absatzes. Seine Frau setzte sich ihm kampfeslustig gegenüber.

      – Wer eine Möglichkeit nur deshalb ausschließt,

      sagte sie und überlegte, ob es wieder eine Patientin war oder eine seiner Kolleginnen,

      – weil es der Wissenschaft noch nicht gelungen ist, sie aufzuhellen, der hemmt die Entfaltung des Denkens!

      Ihr Tonfall ließ Doktor Tikal aufhorchen. Sollte sie von der Existenz der bildhübschen Schwester Dušková bereits Kenntnis erlangt haben? Sicherheitshalber gab er sich äußerst versöhnlich.

      – Aber ich will doch nichts hemmen! Ich sage nur meine persönliche Meinung, nichts weiter. Meiner Ansicht nach ist jegliche Hellseherei entweder ein Trick oder ein Schwindel. Darf ich jetzt diesen Artikel zu Ende lesen? Ich muß morgen einen Fall entscheiden.

      Er begann zum drittenmal mit der Lektüre des ersten Absatzes.

      – Seltsam!

      sagte Frau Tikalová und brach ab. In dem Moment hatte sie die Erleuchtung durchzuckt, sie könnte sich den Monatsdienstplan verschaffen: Sollte sie dem Personal angehören, mußte sich die Unbekannte durch einfachen Vergleich mit den Dienstzeiten des Gatten glatt aussondern lassen. Jawohl, dem Herrn Doktor Tikal würde über kurz oder lang nichts anderes übrigbleiben, als wieder einmal zu Kreuze zu kriechen, sich durch reichliches Lösegeld freizukaufen und, was die Hauptsache war, längere Zeit leisezutreten! Der künftige Triumph schwang schon jetzt in ihrer Stimme mit.

      – Seltsam,

      wiederholte sie,

      – daß du’s fertigbringst, nach dem Artikel irgendeines englischen Scharlatans einen Menschen aufzusäbeln, und gleichzeitig schimpfst du auf den Hanussík, mit dem sich die größten Schriftsteller befaßt haben, etwa dieser ... Wie heißt er doch ...?

      – Erstens,

      sagte Doktor Tikal nun wieder gereizt, weil er sich eben genau ausgerechnet hatte, daß seine Frau von der erst vor knapp einem Monat erfolgten Einstellung der neuen Schwester in der entlegenen Inneren keinen blassen Schimmer haben konnte,

      – hieß der Kerl Hanussen, zweitens ist Professor Applebaum kein Scharlatan, sondern der größte Orthopäde Europas, drittens säble ich niemanden auf, sondern operiere, und viertens lese ich diesen Artikel eben deshalb, damit ich morgen vielleicht nicht operieren muß!

      – Was ereiferst du dich? Wenn du deinem Sohn etwas einimpfen willst, dann lern erst mal diskutieren. Wenn man will, kann man sich auch überzeugen lassen. Ich zum Beispiel habe mich überzeugen lassen. Noch bevor ich dich kennengelernt habe, da gab’s bei uns in der Nähe eine sehr bekannte Wahrsagerin, eine gewisse ... Nun, der Name tut nichts zur Sache, und die hat mir prophezeit, ich heirate einen Arzt und bekomme einen Jungen. Wie erklärst du dir das?

      – Ihre Fehlprognosen hast du wahrscheinlich mittlerweile vergessen.

      – Ich habe zufällig ein sehr gutes Gedächtnis!

      – Besonders für Namen!

      – Du merkst dir vielleicht ein paar Namen, aber dafür bist du nicht imstande, deinem Sohn die einfachsten Fragen zu beantworten!

      – Ich habe ihm geantwortet!

      – Du hast gesagt, er soll zum Zirkus gehen!

      – Ich habe nicht gesagt ... Ich habe gesagt ...

      Doktor Tikal stellte fest, daß er sich ums Verrecken nicht erinnern konnte, was er gesagt hatte, und ging in die Luft.

      – Herrgott, und hat dir die Hexe auch gesagt, wer dich nach mir heiratet?

      In heiligem Zorn, vom Bewußtsein der bislang unbefleckten Unschuld gesteigert, ergriff er die Zeitschrift, knallte die Tür zu, riß sich einen Knopf vom Schlafanzug ab und warf den Wecker herunter. Er atmete auf, als er endlich wohlbehalten im Bett lag, und schlug die Zeitschrift wieder auf. Als er den ersten Absatz zum sechstenmal las, stellte er fest, daß er vor Wut sein Englisch vergessen hatte.

      Tikal junior, der bis dahin schweigend dem Wortgefecht der Eltern zugeschaut hatte, mit dem Kopf pendelnd wie beim Tennis, murmelte, er habe noch zu lernen, und begab sich in seine Bude. Nach dem Verarzten einiger Schrammen, die er mittags beim siegreichen Zweikampf mit dem Häuptling der 8 b hinter der Schule abbekommen hatte, widmete er sich der Literatur. Es handelte sich jedoch nicht um den für Mutters Auge angefangenen »Letzten Mohikaner«, sondern um die »Vollkommene Ehe«, während des Abendessens aus der verschlossenen Abteilung des väterlichen Bücherschranks entwendet. Einige der abgebildeten Organe erregten ihn zunächst. Dann erfaßte ihn Beklommenheit und schließlich Widerwillen. Er löschte das Licht aus und versuchte, sich im Dunkeln die Mandelaugen der Klára Zimová zu vergegenwärtigen.

      Frau Tikalová weinte noch eine Zeitlang im Eßzimmer. Doktor Tikals rechtschaffene Empörung hatte sie in Zwiespalt versetzt. Sie weinte beim Gedanken, ihn diesmal zu Unrecht der Untreue verdächtigt zu haben, und zugleich beim Gedanken, er sei ihr diesmal auf raffiniertere Weise untreu als je zuvor. Schließlich beschloß sie, sich direkt bei ihm Trost zu holen. Sie demolierte die Pyramide auf ihrem Kopf und barg den Gatten unterm Zelt ihres unvergleichlichen Haars, wie nur sie es hatte und wie er es am liebsten hatte. Doktor Tikal schlief schon, und ihre Liebkosungen drangen mitten in einem Traum von der bildhübschen Schwester Dušková zu ihm durch.

      Auf welch verschlungenen Pfaden das Glück doch die Menschen erreicht!

      Am selben Abend, etwas später, nach dem psychologischen Film heimgekehrt, zu dessen Anfang sie noch zurechtgekommen waren, dessen Ende jedoch beide nicht befriedigt hatte – Herrn Plavec nicht, weil dem älteren, seriösen Mann die junge Ehefrau abspenstig gemacht wurde; Frau Plavcová nicht, weil der Liebhaber keine seriösen Absichten hatte –, berichtete der Direktor bei der gewohnten Partie Canasta von den Ereignissen in der 8 a. Die Partie zur Guten Nacht hatte im dritten Ehejahr Frau Plavcová eingeführt. Weniges war ihr so unerträglich wie Canasta, aber seit dem vorvorigen Jahr zog sie das Spiel Plavecens Annäherungsversuchen vor. Jetzt überlegte sie, ob sie eine Partie vorschlagen sollte, damit er endlich müde wurde, oder gleich Migräne vorschützen. Sie dachte auch voll Unbehagen an den Film und voll Argwohn an Richard.

      – Und das muß ausgerechnet bei der Wachablösung geschehen,

      seufzte der Direktor sorgenschwer,

      – stell dir vor, heute hat mir der Vorsitzende Karas unter dem Siegel der Verschwiegenheit verraten, daß man das im Bezirkssekretariat ausgekocht hat!

      Frau Plavcová dachte gerade daran, wie Richard ihre neue Tönung gefallen würde; sie reagierte geistesabwesend.

      –


Скачать книгу